Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Strahlendes Risiko im Kinderzimmer
BUND warnt vor Gesundheitsgefährdung durch Puppe, Plüschtier und Plastikrassel
Puppe, Plüschtier und Plastikrassel werden dank Digitalisierung interaktiv. Es geht um einen weltweiten Milliardenmarkt. Doch nun warnt der Umweltverband BUND vor Gefahren für die Kinder durch die Funkstrahlung
Der Schnuller wird schlau, hat einen Sensor. Nimmt das Kind ihn in den Mund, funkt er die Körpertemperatur an das Handy der Eltern. Die Windel, in der ein Minirechner eingelegt wird, misst Feuchtigkeit und Methangehalt, und schickt eine Nachricht, wenn die Windel zu voll ist. Die Plastikrassel hat in der Mitte Platz fürs Smartphone, im Plüschtier sendet ein Babyphon Signale.
Doch die moderne Elektronik berge Gefahren, warnt Hubert Weiger, Vorsitzender des Umweltverbandes BUND, als er die Broschüre „Mobilfunk im Kinderzimmer“präsentiert. Die Umweltschützer haben zwei Jahre lang den Markt analysiert, bisherige Studien durchforstet und Empfehlungen für Eltern und Politik entwickelt. Weiger fordert, Kleinund Vorschulkinder vor Funkstrahlen zu schützen: „Sie sind besonders sensibel, es ist dringend notwendig einen vertretbaren Umgang zu finden.“
Die Elektronik, die Spielzeughersteller in Plüsch und Puppen einbauen, ist schon länger umstritten. Bisher war aber vor allem vom „Lauschangriff im Kinderzimmer“die Rede. Im vergangenen Jahr verbot Deutschland dann zum Beispiel die sprechende „Cayla“-Puppe. Sie nahm durchgängig Stimmen im Kinderzimmer auf. Aber ein Gesundheitsrisiko, das vom digitalen Kinderzimmer ausgehen soll? Das ist neu.
Viele Untersuchungen zeigten, dass der „kindliche Organismus auf Funkstrahlung empfindlicher reagiert als der des Erwachsenen“, schreiben die BUND-Leute. Alles, was Wasser enthält, wird von der Strahlung erwärmt. Experten sind sich sicher, dass Schäden entstehen, sobald in einem Körperteil die Temperatur um ein Grad zunimmt. Deshalb gibt es für Handys, allerdings nicht für Tablets, Grenzwerte. Das Maß dafür ist der SAR-Wert, die spezifische Absorptionsrate. Sie gibt an, wie viel Strahlungsenergie der Körper maximal aufnimmt. Handys dürfen einen SAR-Wert von zwei Watt je Kilogramm nicht überschreiten. Inwieweit auch die Durchblutung des Gehirns gestört wird, Spermien oder Erbinformationen beeinträchtigt werden, ist umstritten. Die Weltgesundheitsorganisation hat die Funkstrahlung im Jahr 2011 aber immerhin als „möglicherweise krebserregend“eingestuft. Im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz stellten Wissenschaftler fest, dass zumindest bei Mäusen bereits bestehende Tumore schneller wuchsen.
Die Umweltschützer pochen darauf, schon mögliche Risiken ernst zu nehmen. „Wir, die seriösen Hersteller, halten uns an die Vorschriften, die es gibt“, sagt Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des Deutschen Verbandes der Spielzeugindustrie. Nur haben diese Vorschriften, genauer die EU-Spielzeugrichtlinie, aus Sicht von Weiger und seinen Mitstreitern eine Lücke: Regeln, um die Belastungen speziell für Kinder durch digitale Spielzeuge zu mindern, fehlen.
Einige Länder sind darum vorgeprescht. In Frankreich ist WLAN in Kindergärten und in Vorschulen für Kinder bis drei Jahren verboten und in Grundschulen nur zugelassen, wenn es der Unterricht erfordert. In Belgien ist der Verkauf von Handys für unter Siebenjährige verboten, ebenso entsprechende Werbung. Und der SAR-Wert von Handys muss in Reklame und Verkauf immer angegeben werden. Der BUND empfiehlt: Hersteller werden verpflichtet, für mobile Geräte einen Kindermodus zu entwickeln. Kinderabteile in der Bahn werden wahlweise als funkfreie Zonen angeboten. Bei Planung und Bau von Mobilfunk-Sendeanlagen werden Kindergärten und Schulen besonders berücksichtigt. Für das digitale Kinderzimmer werden neue Standards geschaffen. Das Bundesamt für Strahlenschutz rät vorerst, Handytelefonate bei Kindern „so weit wie möglich einzuschränken“.