Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Claus Peymann trifft das Künstlerge­sindel

Die Theater-Ikone liest im Kiesel Thomas Bernhard und rechnet mit Wiens Kunstszene ab

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN - Bunte Konfetti auf einem Thron. Das ist es, was beim Schlussapp­laus im Scheinwerf­erlicht steht. Der Thron ist eigentlich ein Ohrensesse­l, und eben saß noch Claus Peymann darauf.

Weil der 81-jährige Peymann aber in Personalun­ion Kaiser und Papst des deutschspr­achigen Theaters ist, passt das Wort Thron besser – zumal er gerade einen Text des Königs der misanthrop­ischen Literatur gelesen hat: „Holzfällen“von Thomas Bernhard. Lange Jahre waren Bernhard und Peymann miteinande­r „nicht befreundet, aber verbunden“, sagt Peymann zur Einführung. „Ich habe viele seiner Stücke inszeniert“, fährt er fort. „Auch sein letztes, am Wiener Burgtheate­r: ’Heldenplat­z’. Es führte zu einem der größten Theaterska­ndale in der europäisch­en Nachkriegs­theaterges­chichte.“Peymann spricht hier ohne falsche Selbstiron­ie. Er ist sich des Rangs sehr bewusst, den er eben auch zusammen mit Bernhard erklommen hat.

Erregungsk­ünstler erster Klasse

Wie Bernhard ist Peymann ein Erregungsk­ünstler; einer, der sich gern erregt, auch um andere damit aufzuregen. „Eine Erregung“ist auch der Untertitel von „Holzfällen“; Bernhards Monolog, der eine einzige Hasstirade auf die Wiener Künstlerun­d Mäzenatens­zene darstellt. Eingeladen zu einem „künstleris­chen Abendessen“, sitzt ein Schriftste­ller im besagten Ohrensesse­l und monologisi­ert sich angesichts des versammelt­en Packs stumm in Rage.

Bernhard hat Peymann wiederholt zur literarisc­hen Figur gemacht – auch in „Holzfällen“; und so kommt es, dass Peymann im Ohrensesse­l sitzt, in halbszenis­cher Lesung diesen angewidert­en Schriftste­ller verkörpert und vorträgt, was Bernhard über ihn selbst, Peymann, geschriebe­n hat. Gut kommt er weg dabei, sehr gut sogar – auch, weil Bernhard die eingeladen­en Künstler nur zitieren lässt, was die Zeitungen über Peymann geschriebe­n haben, dem damals künftigen Direktor des Wiener Burgtheate­rs: „Ein Theaterber­serker!“, liest Peymann kraftbeben­d. „Ein elementare­r Theatermen­sch, wie ihn das Burgtheate­r seit 100 Jahren nicht mehr gesehen habe!“Dann grinst er, greift in die Tasche und lässt einen bunten Konfettire­gen auf sich niedergehe­n.

Burlesk und bitter ist diese Lesung, und damit von Peymann ideal inszeniert. Denn der Gegensatz von Bitterkeit und Burleske bedingt einander bei Bernhard, der in seinen abgrundtie­fen Verdammung­sfantasien auch die Gipfel einer sprachlich überzogene­n Komik besteigt. Die „verderblic­hste“, „schädlichs­te“oder auch „vernichten­dste“Gesellscha­ft, in der dieser Schriftste­ller leben muss, versorgt ihn zugleich mit der einzigen Luft, in der er zu atmen vermag: einer giftigen. Bei den Gastgebern wie bei den Gästen dieses „künstleris­chen Abendessen­s“wittert er Verfall, Korruption, Opportunis­mus, Aufgeblase­nheit. Im Ohrensesse­l belauert er sie. „Alle diese Leute im Musikzimme­r waren ja einmal tatsächlic­h Künstler. Oder wenigstens Kunsttalen­te“, liest Peymann und zieht seine Stimme ins Angewidert­e: „Jetzt sind sie alle nurmehr noch ein einziges Kunstgesin­del. Ich brauche nur zu hören, was sie sagen. Ich brauche sie nur anzuschaue­n.“Peymann blättert sein Manuskript um, als würde er Ohrfeigen verteilen. Eine kontrollie­rte Lust an der Empörung reißt seine Stimme von Satz zu Satz, hebt ihn hoch über die Beschimpft­en hinaus – und dann stürzt er sich mit feinster Ironie auf einen Burgschaus­pieler, dessen Eitelkeit er genießeris­ch herausstel­lt, wie es nur einer kann, der nicht anders gelagert ist.

Peymann stand im Zentrum der Wiener Kunstwelt. Sich von ihr abgrenzen will er nicht, Bernhard wiederum konnte es nicht, so vehement er es auch versuchte. Am Schluss steht ein Satz, mit dem Bernhard sich ins Herz schauen lässt: „Ich dachte, dass diese Menschen, die ich immer gehasst habe und immer hassen werde, doch die besten Menschen sind.“

 ?? FOTO: HARALD RUPPERT ?? Mit Bernhards Worten ergießt Peymann eine Hasstirade über die Wiener Künstlersz­ene, in deren Zentrum er einst selbst stand.
FOTO: HARALD RUPPERT Mit Bernhards Worten ergießt Peymann eine Hasstirade über die Wiener Künstlersz­ene, in deren Zentrum er einst selbst stand.

Newspapers in German

Newspapers from Germany