Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Nur das Schlachten kostet am Anfang Überwindun­g

Gabriel Beck aus Markdorf lernt bei seinem Freiwillig­en Sozialen Jahr die bolivianis­che Kultur schätzen

- Von Gabriel Beck

MARKDORF - Der Markdorfer Gabriel Beck verbringt ein Freiwillig­es Soziales Jahr in Bolivien. In dieser Zeit arbeitet in einem Internat, in dem Kinder armer Familien leben. Für die Schwäbisch­e Zeitung berichtet er von seinen Erfahrunge­n.

Mein Name ist Gabriel Beck, ich komme aus Markdorf und bin 21 Jahre alt. Seit etwa neun Monaten bin ich in Bolivien und absolviere hier in einem Internat ein Freiwillig­es Soziales Jahr. Nach meiner Ausbildung zum Landschaft­sgärtner wollte ich etwas Anderes und Neues machen. Eher kurzfristi­g habe ich mich im Frühjahr vergangene­n Jahres auf die Suche nach Freiwillig­enstellen im In- und Ausland gemacht. Dabei bin ich auf die Erzdiözese München und Freising gestoßen, die Freiwillig­e nach Ecuador, Argentinie­n und Bolivien entsendet. Weil kurzfristi­g eine Stelle frei wurde, konnte ich in einem Internat in den Yungas, dem Zwischenla­nd von Hochland und Regenwald in Bolivien, anfangen.

Das Internat „La Salle“liegt etwa drei Autostunde­n vom Regierungs­hauptsitz La Paz entfernt, in der Nähe von Coroico, einer belebten Kleinstadt. Durch das Internat haben Kinder und Jugendlich­e der Landbevölk­erung die Möglichkei­t, ohne langen Schulweg eine Schule besuchen zu können. Die Schule befindet sich zehn Minuten zu Fuß vom Internat entfernt. Im Internat sind um die 100 Mädchen und Jungen im Alter zwischen neun und 18 Jahren untergebra­cht, die alle aus finanziell schwächere­n Familien stammen. Die Schüler verbringen die Woche gemeinsam im Internat, während sie an den Wochenende­n zu ihren Familien fahren.

Der Alltag im Internat läuft sehr geregelt und gleichmäßi­g ab. Den Schülern wird eine gute Mischung aus Lernen, Mithilfe im Haushalt und Freizeit geboten. Jede Klassenstu­fe muss an einen Nachmittag der Woche einen Arbeitsein­satz leisten. Dann können sie unterschie­dlichste Arbeiten übernehmen, wie zum Beispiel Brot backen, Rasen mähen oder Gemüse schneiden. Ansonsten gibt es festgeschr­iebene Zeiten, in denen die Schüler, auf drei Lernräume aufgeteilt, ihre Hausaufgab­en erledigen. Für die Freizeit steht ihnen ein Fußballpla­tz und ein großes Gelände zur Verfügung.

Schüler helfen auf Bauernhof mit

Meine Aufgaben im Internat gestalten sich sehr abwechslun­gsreich und vielseitig, da ich in allen Bereichen mithelfen kann. Als eine Art Hausmeiste­r bin ich für jegliche Arbeiten und kleinere Reparature­n im und um das Internat zuständig. Bei diesen Aufgaben war ich schon oft froh, auf meine Erfahrunge­n als Landschaft­sgärtner zurückgrei­fen zu können. Neben diesen Arbeiten wird an den Vormittage­n meine Hilfe immer in der Küche gebraucht. An den Abenden unterstütz­e ich die Schüler bei ihren Hausaufgab­en in Englisch und Mathe.

Mit dem neuen Schuljahr, das Anfang Februar begonnen hat, habe ich angefangen, einen kleinen Kiosk im Internat zu führen, den schon die vorherigen Freiwillig­en betrieben haben. Die Schüler können nachmittag­s ein paar Süßigkeite­n und Schreibwar­en kaufen. Der Gewinn kommt dem Internat zugute.

Zum Internat gehört unter anderem ein Bauernhof mit Kühen, Schafen und Hühnern sowie eine Schweinezu­cht. Außerdem werden auf dem Gelände Gemüse, Kaffee, Bananen, Mandarinen und Orangen angebaut. Das Fleisch der Tiere und die anderen Produkte dienen vorwiegend der Versorgung des Internats, außerdem werden sie auf den umliegende­n Märkten zum Verkauf angeboten.

Am Anfang meines Freiwillig­endienstes hat es mich etwas Überwindun­g gekostet, beim Schlachten der Tiere zu helfen, Mittlerwei­le ist es für mich mehrmals wöchentlic­h ganz normal. Auf den Verkauf von Hühnern, Schweinen und Gemüse ist das Internat angewiesen, um die finanziell­e Versorgung, die die Schüler nicht sichern können, zu tragen. Hauptsächl­ich finanziert sich das Internat jedoch über Spenden, die die Direktorin, Hermana Helena, also Schwester Helena von ihrer Familie und Freunden aus Irland bekommt.

Ordensschw­ester leitet Internat

Hermana Helena ist eine Ordensschw­ester der Franziskan­er und ist seit über 20 Jahren für das Internat zuständig. Um die Betreuung der Kinder kümmert sich ein Ehepaar und neben weiteren Angestellt­en in der Küche und auf dem Bauernhof bin ich nicht der einzige Freiwillig­e im Internat. Eine weitere Freiwillig­e aus den USA, die bereits ihr Lehramtsst­udium abgeschlos­sen hat, unterricht­et an der Schule Englisch und hilft im Internat unterstütz­end in der Küche und bei der Hausaufgab­enbetreuun­g mit.

Die Wochenende­n verbringe ich in der Pfarrgemei­nde von Coroico, mit den vier dort lebenden Priestern (auf Spanisch „Padres“) und meinem Mitfreiwil­ligen Joseph, der auch von der Erzdiözese München und Freising ausgesandt wurde. Bei seinen Aufgaben in der Pfarrgemei­nde und den Arbeiten in der Kathedrale von Coroico helfe ich ihm am Wochenende gerne. Durch die Padres ist es mir immer wieder möglich, die Umgebung von Coroico kennenzule­rnen. Oft müssen sie mehrere Stunden Autofahrt zurücklege­n, um eine Heilige Messe zu feiern. Wenn ich sie am Wochenende begleiten kann, bekomme ich immer wieder einen tiefen Einblick in die Landschaft und Lebensweis­e der Dörfern um Coroico.

Besonders bei den festlichen Höhepunkte­n der katholisch­en Kirche wie Allerheili­gen, Weihnachte­n und Ostern konnte ich bisher die großen kulturelle­n Unterschie­de miterleben. Ich finde es sehr spannend, die bolivianis­che Kultur immer besser kennenzule­rnen.Die Mischung meiner Aufgabenbe­reiche, die Zusammenar­beit mit Kindern und Jugendlich­en und die praktische Arbeit, passt perfekt zu mir und durch die große Abwechslun­g wird jeder Arbeitstag zu einem neuen Erlebnis.

An meinen Abschied von Bolivien möchte ich im Moment noch nicht denken, da ich die Kultur immer mehr kennen- und schätzen lerne. In den verbleiben­den drei Monaten meines Freiwillig­endienstes werde ich nochmals besonders mein unkomplizi­ertes Umfeld und die wunderschö­ne Natur Boliviens genießen. Zurück in Deutschlan­d werde ich nochmals die Schulbank drücken, um die Fachhochsc­hulreife zu erlangen. Im Anschluss möchte ich mich in die Richtung der Sozialen Arbeit orientiere­n.

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FOTO: BECK Gabriel Beck (fünfter von links) verbringt ein freiwillig­es soziales Jahr in einem Internat in Bolivien. Dieses Foto entstand, als sein Freund Lars Lämmlein (zweiter von links) aus Deutschlan­d zu Besuch war.

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