Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
In Sicherheit
Das Rettungsschiff Aquarius erreicht nach tagelanger Irrfahrt den Hafen von Valencia
Das Flüchtlingsschiff Aquarius erreicht endlich Valencia
VALENCIA - Eine tagelange Irrfahrt über das Mittelmeer geht für die Menschen an Bord der Aquarius am Sonntag zu Ende. Gegen 10.30 Uhr am Morgen ist der rot-orange Rumpf des humanitären Rettungsschiffs in Sicht. Langsam schiebt sich der 77 Meter lange Kahn mit den weißen Deckaufbauten in den Hafen Valencias.
Damit ist die Odyssee des Schiffes vorbei, das 629 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer vor Libyen rettete – und zum Symbol einer gescheiterten europäischen Migrationspolitik wurde.
Bilder, die die Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée an Land gefunkt hatten, zeigen, wie Jubel an Bord ausbricht, als die spanische Insel Mallorca in Sicht ist. Viele recken die Arme in die Höhe, einige tanzen. Diese Hilfsvereine holen seit Monaten mit der Aquarius vor der Küste Libyens Schiffsbrüchige aus dem Wasser. Aber noch nie mussten sie acht Tage übers Mittelmeer irren, um sie in einen sicheren Hafen zu bringen.
Spielball der Regierung
Vergangene Woche wurde die Aquarius zum Spielball der italienischen Regierung, die private Rettungsschiffe aus dem zentralen Mittelmeer vertreiben will. Nachdem Italien seine Häfen sperrte, erklärte sich Spaniens neue Sozialistenregierung bereit, die Menschen in Valencia an Land gehen zu lassen. Die Stadt der Zuflucht liegt rund 1500 Kilometer und fünf Seereisetage vom Einsatzort der Aquarius entfernt.
Ein großes weißes Begrüßungsplakat flattert im Hafen: „Willkommen“, steht darauf in mehreren Sprachen. Die Aquarius kam im Konvoi mit zwei italienischen Küstenwachtund Marineschiffen, der Dattilo und der Orione. Aus Sicherheitsgründen waren die 629 Geretteten vor der Fahrt nach Spanien auf die Schiffe verteilt worden.
Gegen Mittag klettern die ersten Geretteten von der Aquarius herunter auf die Kaimauer. Die meisten stammen aus den Krisen- und Armutsländern unterhalb der Sahara. Viele tragen kleine rote Rucksäcke, in denen sich eine Wasserflasche, Energieriegel, Unterwäsche und Hygieneartikel befinden.
Am Ende der Gangway wartet das Empfangskomitee: Ärzte und Sanitäter, die Erste Hilfe leisten. Polizisten, die Fingerabdrücke nehmen und Personalien feststellen. Rechtsanwälte, die den Schiffbrüchigen ihre Rechte erklären.
Sie müssen ihnen die bittere Wahrheit sagen: Alle Angekommenen erhalten zwar zunächst ein 45-tägiges Aufenthaltsrecht in Spanien – doch alles Weitere ist ungewiss, auch die Abschiebung ist möglich. „Sie werden so behandelt, wie alle Migranten, die bei uns eintreffen“, sagt Innenminister Fernando GrandeMarlaska. Was das konkret heißt, wird man in der Zukunft sehen. Spaniens neue Regierung hat eine menschlichere Migrationspolitik versprochen. Die Praxis in Spanien war bisher, dass nur wenige Immigranten Asyl erhielten. Weswegen viele der in Spanien Landenden es bevorzugten, sich weiter Richtung Frankreich oder auch Deutschland durchzuschlagen. Die Regierung in Paris bot am Wochenende an, einige dieser Menschen aufzunehmen.
In 2017 kamen 29 000 Immigranten übers Mittelmeer nach Spanien oder in die spanischen NordafrikaExklaven Ceuta und Melilla. Nur rund 600 Asylanträge wurden genehmigt. Etwa 4000 Menschen erhielten einen eingeschränkten Schutzstatus. Derweil wurden Zigtausende abgeschoben: In 2016 waren es 9200, für 2017 sind noch keine Zahlen bekannt.
Kinder werden nicht abgeschoben
Die Kinder und Jugendlichen, die am Sonntag mit Bussen den Hafen Valencias verlassen, müssen hingegen keine Abschiebung fürchten. Die fast 100 Minderjährigen, die ohne Eltern ankamen, gelten als besonders schutzbedürftig. „Die Kinder klatschten und lachten, als sie im Hafen waren“, erzählt Pater Ángel, einer der bekanntesten spanischen humanitären Helfer, der mit seiner Organisation Botschafter des Friedens einige Migranten aufnehmen will. Er sei stolz, dass Spanien seinen Hafen angeboten habe. Und es sei „eine Schande“, dass Italien die Hilfsbedürftigen abgewiesen habe.
Italien kündigte am Wochenende an, dass es privaten Rettungsschiffen nicht länger gestatten werde, Migranten nach Italien zu bringen. Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega wirft den Hilfsorganisationen vor, mit ihrer Präsenz vor der libyschen Küste die Migration anzuheizen.
Die Retter lassen sich von diesen Drohungen nicht abschrecken: Man müsse „menschliche und solidarische Lösungen“für das Drama im Mittelmeer finden, sagt der SpanienChef von Ärzte ohne Grenzen, David Noguera, in Valencia. Die Aquarius werde ihre Mission fortsetzen. Noguera: „Die Blockade der italienischen und anderer europäischer Häfen besorgt uns sehr, aber wir glauben, dass es kein Delikt ist, Menschenleben zu retten.“