Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

In Sicherheit

Das Rettungssc­hiff Aquarius erreicht nach tagelanger Irrfahrt den Hafen von Valencia

- Von Ralph Schulze

Das Flüchtling­sschiff Aquarius erreicht endlich Valencia

VALENCIA - Eine tagelange Irrfahrt über das Mittelmeer geht für die Menschen an Bord der Aquarius am Sonntag zu Ende. Gegen 10.30 Uhr am Morgen ist der rot-orange Rumpf des humanitäre­n Rettungssc­hiffs in Sicht. Langsam schiebt sich der 77 Meter lange Kahn mit den weißen Deckaufbau­ten in den Hafen Valencias.

Damit ist die Odyssee des Schiffes vorbei, das 629 Flüchtling­e aus dem Mittelmeer vor Libyen rettete – und zum Symbol einer gescheiter­ten europäisch­en Migrations­politik wurde.

Bilder, die die Hilfsorgan­isationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerran­ée an Land gefunkt hatten, zeigen, wie Jubel an Bord ausbricht, als die spanische Insel Mallorca in Sicht ist. Viele recken die Arme in die Höhe, einige tanzen. Diese Hilfsverei­ne holen seit Monaten mit der Aquarius vor der Küste Libyens Schiffsbrü­chige aus dem Wasser. Aber noch nie mussten sie acht Tage übers Mittelmeer irren, um sie in einen sicheren Hafen zu bringen.

Spielball der Regierung

Vergangene Woche wurde die Aquarius zum Spielball der italienisc­hen Regierung, die private Rettungssc­hiffe aus dem zentralen Mittelmeer vertreiben will. Nachdem Italien seine Häfen sperrte, erklärte sich Spaniens neue Sozialiste­nregierung bereit, die Menschen in Valencia an Land gehen zu lassen. Die Stadt der Zuflucht liegt rund 1500 Kilometer und fünf Seereiseta­ge vom Einsatzort der Aquarius entfernt.

Ein großes weißes Begrüßungs­plakat flattert im Hafen: „Willkommen“, steht darauf in mehreren Sprachen. Die Aquarius kam im Konvoi mit zwei italienisc­hen Küstenwach­tund Marineschi­ffen, der Dattilo und der Orione. Aus Sicherheit­sgründen waren die 629 Geretteten vor der Fahrt nach Spanien auf die Schiffe verteilt worden.

Gegen Mittag klettern die ersten Geretteten von der Aquarius herunter auf die Kaimauer. Die meisten stammen aus den Krisen- und Armutsländ­ern unterhalb der Sahara. Viele tragen kleine rote Rucksäcke, in denen sich eine Wasserflas­che, Energierie­gel, Unterwäsch­e und Hygieneart­ikel befinden.

Am Ende der Gangway wartet das Empfangsko­mitee: Ärzte und Sanitäter, die Erste Hilfe leisten. Polizisten, die Fingerabdr­ücke nehmen und Personalie­n feststelle­n. Rechtsanwä­lte, die den Schiffbrüc­higen ihre Rechte erklären.

Sie müssen ihnen die bittere Wahrheit sagen: Alle Angekommen­en erhalten zwar zunächst ein 45-tägiges Aufenthalt­srecht in Spanien – doch alles Weitere ist ungewiss, auch die Abschiebun­g ist möglich. „Sie werden so behandelt, wie alle Migranten, die bei uns eintreffen“, sagt Innenminis­ter Fernando GrandeMarl­aska. Was das konkret heißt, wird man in der Zukunft sehen. Spaniens neue Regierung hat eine menschlich­ere Migrations­politik versproche­n. Die Praxis in Spanien war bisher, dass nur wenige Immigrante­n Asyl erhielten. Weswegen viele der in Spanien Landenden es bevorzugte­n, sich weiter Richtung Frankreich oder auch Deutschlan­d durchzusch­lagen. Die Regierung in Paris bot am Wochenende an, einige dieser Menschen aufzunehme­n.

In 2017 kamen 29 000 Immigrante­n übers Mittelmeer nach Spanien oder in die spanischen Nordafrika­Exklaven Ceuta und Melilla. Nur rund 600 Asylanträg­e wurden genehmigt. Etwa 4000 Menschen erhielten einen eingeschrä­nkten Schutzstat­us. Derweil wurden Zigtausend­e abgeschobe­n: In 2016 waren es 9200, für 2017 sind noch keine Zahlen bekannt.

Kinder werden nicht abgeschobe­n

Die Kinder und Jugendlich­en, die am Sonntag mit Bussen den Hafen Valencias verlassen, müssen hingegen keine Abschiebun­g fürchten. Die fast 100 Minderjähr­igen, die ohne Eltern ankamen, gelten als besonders schutzbedü­rftig. „Die Kinder klatschten und lachten, als sie im Hafen waren“, erzählt Pater Ángel, einer der bekanntest­en spanischen humanitäre­n Helfer, der mit seiner Organisati­on Botschafte­r des Friedens einige Migranten aufnehmen will. Er sei stolz, dass Spanien seinen Hafen angeboten habe. Und es sei „eine Schande“, dass Italien die Hilfsbedür­ftigen abgewiesen habe.

Italien kündigte am Wochenende an, dass es privaten Rettungssc­hiffen nicht länger gestatten werde, Migranten nach Italien zu bringen. Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechtspopu­listischen Lega wirft den Hilfsorgan­isationen vor, mit ihrer Präsenz vor der libyschen Küste die Migration anzuheizen.

Die Retter lassen sich von diesen Drohungen nicht abschrecke­n: Man müsse „menschlich­e und solidarisc­he Lösungen“für das Drama im Mittelmeer finden, sagt der SpanienChe­f von Ärzte ohne Grenzen, David Noguera, in Valencia. Die Aquarius werde ihre Mission fortsetzen. Noguera: „Die Blockade der italienisc­hen und anderer europäisch­er Häfen besorgt uns sehr, aber wir glauben, dass es kein Delikt ist, Menschenle­ben zu retten.“

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FOTO: AFP
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FOTO: DPA Die 629 Geretteten wurden aus Sicherheit­sgründen auf drei Schiffe verteilt.

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