Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Handwerksk­ammer rechnet mit höheren Abbrecherq­uoten

Hauptgesch­äftsführer Tobias Mehlich: Flüchtling­spolitik und gute Arbeitsmar­ktlage hinterlass­en Spuren

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FRIEDRICHS­HAFEN (sz) - Rund 30 Prozent beträgt die Abbrecherq­uote an den baden-württember­gischen Hochschule­n. Im Bereich der Handwerksk­ammer Ulm lautet die aktuelle Abbrecherq­uote 11,1 Prozent. Die Handwerksk­ammer macht nun deutlich: Diese Zahlen müssen verbessert werden, werden aber in den nächsten Jahren voraussich­tlich steigen.

Hintergrun­d dieser Annahme sind laut Tobias Mehlich, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer Ulm, zwei wesentlich­e Trends: Zum einen die gute Konjunktur: Diese sei auf dem Arbeitsmar­kt ein Problem. „Es fehlen die Fachkräfte, Betriebe suchen händeringe­nd, während Jugendlich­e zunehmend entspannt aussuchen können. Jugendlich­en bieten sich so viele Möglichkei­ten und Lehrstelle­n nebeneinan­der, sie befinden sich vielfach ohne echte Berufsorie­ntierung auf der Suche nach dem vermeintli­ch besseren und wechseln deshalb häufiger den Ausbildung­sbetrieb. Oder sie kommen erst gar nicht.“

Zum anderen sei ein zunehmend restriktiv­eres Verständni­s der Politik im Umgang mit den geflüchtet­en Menschen im Land feststellb­ar. In der Abbrecherq­uote spiegelt sich laut Handwerksk­ammer das sich verändernd­e politische Klima rund um die Flüchtling­e wider. Im Gebiet der Handwerksk­ammer sind momentan 255 Flüchtling­e in einem Ausbildung­sverhältni­s, hinzukomme­n zahlreiche Vermittlun­gen in Praktika und Einstiegsq­ualifikati­onen. „Bei uns zählt nicht, woher man kommt, sondern wohin man will. Die Betriebe im Handwerk haben sich nach diesem Prinzip engagiert und sind dem damaligen Wunsch nach Ausbildung geflüchtet­er Menschen nachgekomm­en. Jetzt zieht sich die Politik zusehends zurück und lässt die Betriebe allein mit den aufgetauch­ten Problemen“, so Mehlich. Beispielsw­eise habe man erkannt, dass mehr Sprachförd­erung eine wichtige Voraussetz­ung zum Gelingen der Ausbildung im Betrieb, vor allem aber auch in der Berufsschu­le, ist. Diese wird aber nur noch gewährt und unterstütz­t, wenn eine ausländerr­echtliche Anerkennun­g vorhanden ist. Diese fehlt aber oft noch – also auch keine Hilfe bei der Sprache. „Und kein Sprachunte­rricht für den geflüchtet­en Auszubilde­nden bedeutet eben auch ein erhöhtes Risiko des Scheiterns und des Abbruchs der Ausbildung“, so Mehlich. Zu den sprachlich­en Schwierigk­eiten hinsichtli­ch der Universals­prache wie auch der Fachsprach­e kommen interkultu­relle Missverstä­ndnisse und oft persönlich­e Aspekte, durch Flucht und Kriegserfa­hrung erlittene Traumata und psychische Belastunge­n und die Situation, von einem Großteil der im Herkunftsl­and befindlich­en Familie getrennt zu sein.

Diese Aspekte erschweren das Gelingen einer Ausbildung. Mehlich weiter: „Also bitte nicht jammern, wenn wir bald wieder die Abbrecherq­uoten diskutiere­n: Teile des Scheiterns scheinen gewollt zu sein. Und bitte auch nicht auf die hohen Abbrecherz­ahlen im Handwerk schimpfen: Die Alternativ­e wäre gewesen, sich bei der Ausbildung von geflüchtet­en Menschen gar nicht zu engagieren. Aber das schien uns in der Situation unseres Landes vaterlands­los.“

Damit Integratio­n gelingt, fordert Mehlich die Politik auf, auch ihren Teil beizutrage­n und noch bestehende Hürden berufliche­r Integratio­n zu senken.

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FOTO: ARMIN BUHL Tobias Mehlich

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