Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Es ist doch absurd, dass wir über einen Vorschlag streiten, der nicht einmal vorliegt“
BERLIN - Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages (Foto: dpa), tritt im Asylstreit für eine europäische Lösung ein. das sagte er im Gepräch mit Andreas Herholz.
Was spricht gegen die Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), bereits in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen?
Diese Pläne beruhen auf einer Fiktion. Denn es gibt diesen Ort an der Grenze nicht, an dem Flüchtlinge zurückgewiesen werden könnten. Flüchtlinge, die kommen, befinden sich in aller Regel auf deutschem Hoheitsgebiet und die Rechtslage ist klar: Jedes Asylbegehren muss geprüft werden wie in jedem europäischen Land auch. Es gibt ein klares rechtliches Verbot der Zurückweisung ohne Prüfung. Für die Ermittlung eines bereits laufenden Asylverfahrens ebenso wie für die Überstellung ist man auf die Kooperation des zuständigen Landes angewiesen. Die prüfungslose Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze gibt es weder rechtlich noch tatsächlich.
Deutschland, Frankreich und Spanien wollen eine gemeinsame Initiative in der Asylpolitik auch mit Blick auf den EU-Gipfel Ende der Woche starten. Machen Lösungen ohne Italien und die osteuropäischen Partner überhaupt Sinn?
Eine solche enge Kooperation zwischen Berlin, Paris und Madrid ist sehr sehr gut. Wir müssen aber alles daran setzen, dass auch Italien Teil dieser Lösung ist. Die meisten Flüchtlinge kommen in Italien an. Jeder Plan, der darauf hinausliefe, das europäische Flüchtlingsproblem zu einem italienischen zu machen, würde Europa sprengen. Italien muss beteiligt sein. Dass sich die osteuropäischen Partner noch beteiligen, halte ich für unrealistisch. Die Regierungen, wie die in Polen und Ungarn, haben ausdrücklich erklärt, dass sie nicht zu einer Beteiligung an einer europäischen Lösung bereit sind. Das ist traurig, aber Realität.
Im Streit der Unionsparteien über die Asylpolitik lenkt die CSU nicht ein. Bricht die Fraktionsgemeinschaft jetzt auseinander?
Die Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer sind ja gar nicht bekannt. Es ist doch absurd, dass wir über einen Vorschlag streiten, der nicht einmal vorliegt und inhaltlich immer wieder anders dargestellt wird. Es ist völlig unklar, wie die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze praktisch und rechtlich umgesetzt werden soll. Es gibt bis heute keinen denkbaren Plan für eine nationale Lösung. Wir reden über eine Fiktion. Und dafür kann doch nicht alles aufs Spiel gesetzt werden: Nicht nur der Bestand der Bundesregierung sondern auch der der Fraktionsgemeinschaft von CDU/CSU. Hier geht es um die Zukunft Deutschlands und Europas in einer international fragilen Zeit. Die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU steht für Erfolg und Stabilität in Deutschland seit 1949. Nur daran zu denken, diese aufs Spiel zu setzen, ist vollkommen unverantwortlich.
Wie erklären Sie sich diese Eskalation?
Mich erinnert das Ganze an den britischen Premier Cameron, der, um einen innerparteilichen Konflikt zu lösen, die Zukunft des ganzen Landes riskiert und verspielt hat. Dass es sich hierbei übrigens um eine Frage der verfassungsrechtlich völlig unbestrittenen Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers handelt, kann und sollte nicht, auch nicht vom Verfassungsminister bestritten werden.