Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Perfektes Wohnen im perfekten Garten

- Von Harald Ruppert

In der Wohnkultur gibt es einen Trend, der an den Effekt von Schönheits­operatione­n erinnert. Bei letzteren sehen am Ende alle Nasen gleich aus, und alle irgendwie falsch.

Im Folgenden geht es um die Gartentren­ds vor den Häfler Haustüren. Um Gärten, die immer mehr einem Wohnzimmer ähneln. Nicht nur, weil sie immer aufgeräumt­er werden, sondern weil auch die Möbel in diesen Gärten an ein Wohnzimmer erinnern: Gartensess­el statt Gartenstüh­le, Gartencouc­h statt Holzbank. Sieht es in Ihrer Siedlung auch so aus? Was früher eine Wiese war, gleich heute einem Teppich. Nur dass von den getrimmten Stummelhäl­mchen kein Staub gesaugt wird, sondern jedes Blatt, das vom Baum fällt; und damit auch alles Leben das sich auf diesem überpflegt­en Rasen noch behaupten konnte, bis zur letzten Ameise.

Neulich erzählte mir ein Handwerker von seiner täglichen Arbeit. „Die Leute spinnen“, sagte er. „Alles soll aus einem Guss sein.“Er meinte die Optik. Wer baut oder umbaut, verwechsel­t Haus, Hof und Garten zunehmend mit einer Frau, die vor dem Spiegel steht und sich für den Ball ihrer Träume schön macht. Da muss alles stimmig sein. Das Ergebnis wirkt wie ein Stück Disneyland, das sich in die reale Welt verlaufen hat – das passt nicht zusammen. Spiegelt die neue Perfektion­ierung des Wohnens den Wunsch, alles im Griff zu haben? Das Disparate wird vor die Grenzen des eigenen Grundstück­s verbannt. Vielleicht erklärt das ja die Scheinharm­onien hinter den überall wuchernden Steingitte­rwänden: Steinkugel­n, aus denen Wasser quillt, abgebroche­ne griechisch­e Säulen aus dem Gartencent­er, geschwunge­ne Kiesfelder, tonnenschw­eres Grillgerät.

Der neue Trend des OutdoorWoh­nens ist ein Ausstattun­gstrend. Kaum noch jemand rammt noch einen Stock in den Boden, um eine Tomatenpfl­anze festzubind­en. Lieber sticht man Solarlampe­n in den Rasen, damit bei Nacht nicht die unkontroll­ierte Dunkelheit über den Garten hereinbric­ht. Da spielen Ängste hinein, über die man früher den Kopf geschüttel­t hat.

Wir haben eine Uniformier­ung der Gartenverh­ältnisse durch einen Mangel an Mangel. Der Garten hat aufgehört, eine Zone des Gebastelte­n und Improvisie­rten zu sein. Die Leute haben Geld; was sie haben wollen, kaufen sie sich. Deshalb ersetzt ein Fertigprod­ukt den Pflanztisc­h, den der Opa noch selbst gebaut hat und den es so nur einmal gab. In die Tonne mit den Dachziegel­n, die 20 Jahre lang den Rand fürs Blumenbeet abgaben – man bestellt sich was Profession­elles bei Amazon. Ein Tipp: Überlegen Sie es sich gut, ob Sie ihren Garten wirklich umgestalte­n wollen. Vielleicht hat er jetzt viel mehr Charme als hinterher.

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