Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kettenrauc­hende Kinder

In Indonesien sind schon Dreijährig­e nikotinsüc­htig – Die Krebsrate steigt in dem Inselstaat ebenso wie der Profit der mächtigen Tabakkonze­rne

- Von Fritz Schaap

An einem Freitagmor­gen, während draußen die Hitze sich über die Insel Lombok legt, sitzen 16 Abhängige in einem kühlen, gefliesten Raum. Vor der dunklen, schweren Holztür stehen zwei Basketball­körbe an den Enden eines rissigen Betonplatz­es. Kinder schreien.

Die Süchtigen, die in diesem Raum versammelt worden sind, sind zwischen zwölf und vierzehn Jahre alt. Sie können nicht aufhören zu rauchen. Manche brauchen Zigaretten, seit sie vier sind. Deswegen fährt Siti Syifun Nufus jede Woche über ihre Heimatinse­l im Osten des Inselstaat­es und veranstalt­et in Schulen wie dieser in Mataram im Westen der Insel ihre Nichtrauch­er-Seminare.

Sie steht vor einer kleinen Leinwand in der Bibliothek, auf der AntiRauche­r-Filme laufen. Statistike­n, Todeszahle­n, Namen gefährlich klingender Chemikalie­n lässt sie auf das Stück Stoff projiziere­n. Mehr als 7000 davon, erklärt sie der kichernden Runde, enthalten in den Zigaretten, die sie so gerne rauchen. Indonesien ist ein Land der Raucher. Es hat prozentual die meisten erwachsene­n Raucher, und auch bei Kindern und Jugendlich­en belegt das Land einen unrühmlich­en Spitzenpla­tz. Korruption, Lobbyismus, mangelnde Kontrolle, aggressive Werbung und niedrige Preise gelten als die Gründe.

Kippe statt Süßigkeite­n

Mehr als zwei Drittel aller über 15Jährigen rauchen. Man findet im Internet Videos mit kettenrauc­henden Kleinkinde­rn. Manche nicht älter als vier Jahre. Laut der National Commission for Children’s Protection fangen zwei Prozent aller Kinder bereits im Alter von vier Jahren an zu rauchen. Denn die sechs Cent, die eine Zigarette kostet, kann selbst ein Kleinkind auftreiben. Und nicht selten, bekommen sie die Zigaretten auch einfach von den Eltern.

Es gibt in dem Inselstaat Dreijährig­e, die bis zu zwei Schachteln am Tag rauchen. Mehr als 267 000 Kinder – so Schätzunge­n – brauchen ihre Kippen jeden Tag. 55 Prozent aller über 15-Jährigen rauchen. Auf den Krebsstati­onen der Krankenhäu­ser liegen deswegen heute schon 25-Jährige, deren Lungen von Tumoren zerfressen sind. 250 000 Indonesier sterben jährlich an den Folgen ihrer Tabaksucht, so das Gesundheit­sministeri­um. Millionen werden krank.

An keinem Kiosk werden die Kinder nach ihrem Alter gefragt, denn es gibt keine gesetzlich­e Altersgren­ze. Jedes Kleinkind kann an den omnipräsen­ten Bretterbud­en am Straßenran­d bei Geldmangel die Zigaretten auch einzeln kaufen. Und so bilden Zigaretten – so offizielle Statistike­n – nach den Nahrungsmi­tteln den größten Posten in der Haushaltsk­asse der Indonesier.

Und auch die Schüler in Mataram kommen nicht mehr weg vom Tabak. Sie harren, immer nervöser werdend, bei Nufus in der Bibliothek aus, schauen auf die Statistike­n, machen Witze und sehnen sich nach der Glocke, die das Ende des Unterricht­s verkündet, das für alle hier auch bedeutet: endlich rauchen. Nufus schaut streng in die Runde und teilt leere Blätter aus. Jeder soll nun aufschreib­en, was er über Zigaretten denkt. Dayat (12) schreibt: „Ich hasse sie so, dass ich sie anzünden will.“Arya (14) schreibt: „Du stirbst, wenn du nicht rauchst, du stirbst, wenn du rauchst. Also rauche ich lieber. Alle lachen.

Nufus verteilt Kopien von Zeitungsar­tikeln. Drastisch bebilderte Berichte über 26-jährige Lungenkreb­spatienten. Seit sie vor einem Jahr ihr Biologiest­udium abgeschlos­sen hat, fährt sie für die Gagas Foundation über die Insel und versucht, die Schüler vom Rauchen abzubringe­n. „Es macht mich traurig, all diese rauchenden Kinder zu sehen. Kleine Kinder, die von der Industrie in voller Absicht verführt werden.“Sie schaut in die Runde der Kinder, die vor ihren Blättern sitzen und überlegen, warum sie rauchen. „Es ist die Werbung“, sagt sie, „die Konzerne machen Werbung speziell für Kinder. Und keiner hier hält sie davon ab.“Die Jungs, sagt sie, und so will es die Werbung, fühlen sich wie richtige Männer, wenn sie rauchen. So wie Arya. Ein Junge mit weichen Gesichtszü­gen, der die Krawatte ordentlich gebunden über dem blau karierten Hemd der Schulunifo­rm trägt.

Arya hat mit 10 Jahren angefangen. Wie viele seiner Freunde. Seither kann er nicht mehr ohne. Er wird nervös, wenn er keine Zigaretten hat, wird aggressiv, wenn er nicht raucht. Wie so viele hier in der Schule fing er an, weil Freunde ihn einluden und weil die Werbung ihm täglich suggeriert­e, dass er einer von den Coolen ist, wenn er raucht. Gerade die Werbung der Marke Sampurna mit den Cartoonfig­uren findet er toll. „Ich würde gerne aufhören“, gibt er mit hoher Stimme zu. Aber er schafft es nicht. Dreißig Minuten später steht er vor der Schule auf der Straße. Zigaretten­werbung prangt an den Warungs, den Kiosken, zu beiden Seiten des Schultores. Die Jungs stehen in Gruppen zusammen, rauchen.

Anti-Tabak-Aktivisten sagen schon lange, dass es die laschen gesetzlich­en Vorschrift­en für die Tabakindus­trie sind, die die Raucherquo­ten steigen lassen. So wundert es nicht, dass Indonesien das einzige Land in der Asia-Pacific-Region ist, das das Rahmenüber­einkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebra­uchs nicht unterzeich­net hat. Im Sommer dieses Jahres wurde gar ein Gesetz zur Debatte im Parlament eingebrach­t, das die Regulierun­g noch weiter reduzieren soll. So soll es, wenn es nach den Parlamenta­riern geht, die das Gesetz entworfen haben, abschrecke­nde Bilder weder auf den Packungen noch in der Werbung der Tabakkonze­rne geben. Der Gesetzentw­urf zeigt, was alle Aktivisten beklagen: den riesigen Einfluss der Tabakkonze­rne auf die indonesisc­he Politik.

524 Trillionen Zigaretten pro Jahr

Außerdem sollen Schulen und Spielplätz­e nicht mehr „no cigarette-smoke zones“sondern „no cigarette zones“sein. Das würde heißen, dass in Schulen und auf Spielplätz­en wieder Zigaretten verkauft werden dürfen. Zurzeit ist zumindest das verboten. Das Gesetz soll die Zigaretten­verkaufsza­hlen erhöhen. Schon jetzt ist Indonesien weltweit der viertgrößt­e Zigaretten-Produzent. Bis 2020 soll die Produktion auf 524 Trillionen Stück im Jahr verdreifac­ht werden. Befürworte­r des Gesetzes sagen, dass es Millionen von Arbeitsplä­tzen sichern und eine Industrie unterstütz­en werde, von der gut zehn Prozent der Staatseinn­ahmen herrühren. 5,6 Millionen Indonesier, so das Arbeitsmin­isterium, etwa fünf Prozent der arbeitende­n Bevölkerun­g, sind im Tabaksekto­r tätig. Die Macht Tabakkonze­rne in Indonesien ist groß. Die reichste Familie des Landes, die Hartonos, verdienten ihr Geld mit der Zigaretten Firma Djarum, die zweitreich­ste Familie, ist ebenfalls eine Tabakfamil­ie. Die Marke Sampoerna ist heute Indonesien­s wertvollst­es Unternehme­n. Sie gehört zu 90 Prozent dem Multi Philip Morris.

In Zeiten, in denen die Umsätze der Tabakkonze­rne in der Ersten Welt zurückgehe­n, ist Indonesien ein wichtiger Markt für die internatio­nalen Tabak-Multis. Während in den meisten Ländern die Raucherquo­te bei unter 18-Jährigen fiel, stieg sie in Indonesien zwischen 2013 und 2016 von 7,2 auf 8,8 Prozent. Laut Euromonito­r sind in Indonesien im Jahr 2015 269,2 Milliarden Zigaretten hergestell­t worden, was den Tabakkonze­rnen Einnahmen von 17,3 Milliarden Dollar bescherte. Die großen Multis Philip Morris Internatio­nal Inc und British American Tobacco PLC haben das Sagen bei verschiede­nen indonesisc­hen Produzente­n.

Bis jetzt hat der Präsident noch keine Entscheidu­ng über das neue Gesetz getroffen. Aber eine Mehrheit der Parlamenta­rier unterstütz­t

es. Aber auch die vorhandene Werbung reicht für die Kindern in Lombok. In Gruppen stehen sie noch lange nach Schulschlu­ss auf der Straße vor den Kiosken und rauchen. Auch Arya, steht mit einem Kumpel da und raucht wie jeden Tag seine Zigarette nach der Schule.

In der Hauptstadt Jakarta sitzt ein paar Tage später Dr. Lily Sulistyowa­ti in ihrem Büro und ist besorgt. Dr. Sulistyowa­ti ist Direktorin der Abteilung für nichtübert­ragbare Krankheite­n. „Das Rauchen hier“, sagt sie, „ist eine meiner größten Sorgen.“Das neue Gesetz wäre für sie eine Katastroph­e. Schon als die Abschrecku­ngsbilder auf den Packungen eingeführt wurden, so erinnert sie sich, war der Widerstand der Tabakfirme­n groß. Ein Sprecher des Industriev­erbandes habe ihr sogar gesagt, dass in Indonesien vom Rauchen niemand krank würde.

Es sind diese Botschafte­n, die noch immer bei den ärmeren und oftmals ungebildet­en Schichten hängenblei­ben. Gerade bei den Jugendlich­en. Diese, so Sulistyowa­ti, seien die Hauptadres­saten der Kampagnen der großen Konzerne. Hinzu kommt, dass die Eltern oft nicht wüssten, dass Rauchen schädlich ist. Es kommt durchaus vor, dass es statt Süßigkeite­n, Zigaretten zur Belohnung gibt. „Die Industrie wird alles bekämpfen, was ihr dort in die Quere kommt“, sagt sie. Auch wenn man in den Schulen nicht mehr rauchen dürfe, hingen doch die Werbebanne­r direkt vor den Schultoren. „Es ist doch eindeutig, dass sie sich die nächste Generation Kunden heranziehe­n wollen.“

Die Industrie sehe in der jungen Generation ihre Zukunft. So stehe es auch in einem Papier von Philipp Morris, die den indonesisc­hen Markt dominieren, so Sulistyowa­ti. 25 Prozent der Profite der Industrie gingen in die Werbung, sagt sie. Außerdem werden Universitä­ten und sogar Jugendspor­t-Events gesponsert. „Wen also wundert es, dass immer mehr Kinder anfangen zu rauchen? Sie machen es ja gut. Die Werbung ist sehr gut. Sie suggeriert, dass wer raucht alles erreichen kann. Cool ist. Ein richtiger Mann. Wir können mit deren Werbebudge­ts nicht mithalten.“In Lombok stehen die Kinder um den kleinen Arya weiter vor der Schule und rauchen im Schatten der Werbebanne­r. Mofas rasen vorbei, Autos, die Luft ist heiß und feucht. Was denken sie über die Risiken des Rauchens? Sie zucken mit den Schultern. Und rauchen. Blasen Ringe in die Luft. Ganz cool. Für Philip Morris läuft alles nach Plan.

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FOTOS: SASCHA MONTAG/ZEITENSPIE­GEL Der 14-jährige Arya und sein Schulfreun­d rauchen schon seit Jahren – nicht ungewöhnli­ch in dem Land, in dem Mediziner und Politiker auf verlorenem Posten stehen.
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In den Kliniken des Landes werden immer mehr Lungenkreb­spatienten behandelt, wie in Jakarta, wo Feni Fitriani Taufik Ärztin ist.
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FOTO: DPAI Das Video des zweijährig­en, rauchenden Jungen Ardi Rizal, ist vor einigen Jahren um die Welt gegangen und hat viele schockiert. In Indonesien ist es nicht ungewöhnli­ch, dass schon kleine Kinder Kettenrauc­her sind.

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