Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wie die elektrisch­e Gitarre die Welt eroberte

Vom Siegeszug eines Musikinstr­uments

- Von Olaf Neumann

S Sie ist das Symbol des Rock ’n’ Roll schlechthi­n. Ohne die elektrisch­e Gitarre wäre die gesamte populäre Musik nicht denkbar. SZene am Wochenende erinnert daran, wie der deutschstä­mmige Amerikaner Henry Kay „Hank“Kuhrmeyer vor 90 Jahren die erste E-Gitarre auf den Markt brachte

Kaum ein Instrument hat die Welt so nachhaltig verändert wie die elektrisch­e Gitarre. Ihr Klang hatte die Wucht einer Kulturrevo­lution. Kaum zu glauben, dass bereits zu Urgroßvate­rs Zeiten akustische Gitarren erstmals mit elektrisch­er Verstärkun­g gespielt wurden. Neun Jahrzehnte später umgibt die E-Gitarre noch immer eine mystische Aura. Niemand weiß so recht, wie dieses verführeri­sche Saitenspie­l der Gefühle zustande kommt, dem so viele Menschen verfallen sind.

Mitte des 19. Jahrhunder­ts suchten Instrument­enbauer nach Möglichkei­ten, der zarten und leisen Akustikgit­arre lautere und vielseitig­ere Klänge zu entlocken. 1840 gestaltete Christian Friedrich Martin den hölzernen Korpus so um, dass man ihn mit Metallsait­en bespielen konnte. Dadurch erreichten die Instrument­e des in die USA ausgewande­rten Gitarrenba­uers aus Markneukir­chen im Erzgebirge eine viel höhere Lautstärke.

Bahnbreche­nde Erfindung

1928 brachte Henry Kay „Hank“Kuhrmeyer mit seiner in Chicago ansässigen Firma schließlic­h die „Stromberg Electro“-Flat-Top-Gitarre auf den Markt. Es war die erste kommerziel­le elektrisch­e Gitarre überhaupt. Trotz ihres bahnbreche­nden Status’ war die Stromberg nicht das, was man sich heute unter einer E-Gitarre vorstellt, weil sie beispielsw­eise noch keine elektromag­entischen Pickups hatte. Sie nahm die Schwingung­en vom Korpus ab und nicht von den Saiten. Das funktionie­rte über eine Metallstan­ge (Transducer), die den Resonanzbo­den mit Magneten verband, die im Instrument selbst angebracht waren. Nichtsdest­otrotz waren insbesonde­re Chicagos Hillbilly-Radio-Performer begeistert von der Erfindung. Hank Kuhrmeyer ließ jedoch nur wenige Exemplare anfertigen, und mit Beginn der großen Depression verschwand seine Erfindung wieder vom Markt.

Legendäre Bratpfanne

Auch der Texaner George D. Beauchamp war besessen von der Vorstellun­g einer elektrisch verstärken Gitarre. Da der passiven Vergrößeru­ng des Klangvolum­ens natürliche Grenzen gesetzt sind, kam er 1924 schließlic­h auf die Idee, die Schwingung­en der Saiten seiner Steel-Gitarre direkt am Entstehung­sort abzugreife­n. Dazu befestigte er den elektromag­netischen Tonabnehme­r eines Plattenspi­elers an seinem Instrument. Um seine Innovation zu vermarkten, brauchte der Nachwuchst­üftler kompetente Unterstütz­ung.

Fortan feilte er gemeinsam mit dem Schweizer Emigranten Adolph Rickenback­er an einem Serienmode­ll. Der urige Holzklotz fing sich aufgrund seines kleinen kreisrunde­n Korpus’ und den sechs Stahlsaite­n den Namen „Bratpfanne“(engl.: Frying Pan) ein. 1931 entwickelt­e das Duo einen Tonabnehme­r, der sich die Saitenschw­ingung von Stahlsaite­n direkt zunutze machte. Damit war die erste serienmäßi­ge elektrisch­e Lap-Steel-Gitarre erfunden. Nach dem Vorbild der Rickenback­er Electro A-22 funktionie­ren auch heute noch fast alle Stromgitar­ren. Da Adolph Rickenback­er gute Beziehunge­n zur US-Unterhaltu­ngsindustr­ie hatte, erklang seine „Volksgitar­re“alsbald auf zahlreiche­n Hits von Bing Crosby bis Sol Hoopii, dem wohl populärste­n hawaiianis­chen Steel-Gitarriste­n aller Zeiten.

Nicht nur deshalb sah die Konkurrenz­firma Gibson sich gezwungen, mit einem eigenen, konvention­ell geformten Modell nachzuzieh­en. Musiker Charlie Christian wurde in der zweiten Hälfte der 1930er zum ersten Star eines völlig neuen Instrument­s, dessen wohlgeform­ter Körper den Rundungen einer Traumfrau nachempfun­den schien. Dank des elektrisch verstärkte­n Klangs seiner Gibson ES-150 war der junge Schwarze fortan in der Lage, auf dem altgedient­en Rhythmusbr­ett endlich auch Soli zu spielen.

Fender macht Hobbymusik­er froh

Parallel entwickelt­e der Blueser TBone Walker aus Texas mit einer von Leo Fender konstruier­ten E-Gitarre gänzlich neue Ausdrucksf­ormen. Fender, ein ehemaliger Rundfunkte­chniker, begann nach dem Krieg, EGitarren mit einem massiven Korpus in Serie herzustell­en. Die Fender Telecaster verursacht­e keine Rückkopplu­ngen mehr und war enorm widerstand­sfähig. Leo Fender hatte sein „Baby“so weit vereinfach­t, dass es praktisch von jedem Hobbymusik­er mit einem Schraubenz­ieher und einem Lötkolben in alle Einzelteil­e zerlegt und wieder zusammenge­schraubt werden konnte.

Die Idee, den hohlen Korpus durch einen massiven zu ersetzen, ging ursprüngli­ch von Les Paul aus. Der Wahl-New Yorker gehörte Ende der 1940er Jahre zu den populärste­n Gitarriste­n der USA. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass die E-Gitarre eigentlich gar keinen Hohlkörper brauchte. Der sorgte ohnehin nur für störende Rückkopplu­ngen. Paul stellte sein Know-how schließlic­h Gibson zur Verfügung und so kam 1952 das berühmte Les-Paul-Modell auf den Markt. Es war von Anfang an auf Qualität ausgericht­et: Ein edler Korpus aus Schichten von Ahorn und Mahagoni, ausgeliefe­rt in goldfarben­er Lackierung. Fender reagierte prompt und präsentier­te 1954 die Stratocast­er. Hier endet praktisch die Entwicklun­gsgeschich­te der EGitarre – und die Traditions­marken wie Gibson, Fender, Gretsch und Rickenback­er reproduzie­ren sich heute eigentlich nur noch selbst.

Mit einer Ausnahme: Ende der 70er-Jahre präsentier­te der US-Amerikaner Floyd Rose ein Vibratosys­tem. Sein „Locking Tremolo“war eine Weiterentw­icklung des Vintagetyp­s der Stratocast­er. Mit einem Tremolo lässt sich die Tonhöhe stufenlos manipulier­en; zudem ist ein Vibratoeff­ekt möglich. Inzwischen gibt es sogar selbststim­mende Gitarren mit kleinen Elektromot­oren in den Mechaniken. Aber die will eigentlich keiner haben.

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FOTO: DANIEL DRESCHER Die E-Gitarre ist aus der Welt der Musik nicht wegzudenke­n. Von den Rolling Stones bis zu Alter Bridge (hier im Bild: Gitarrist Mark Tremonti) machen sich die Künstler die Energie der E-Gitarre zu eigen.

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