Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Alkohol nicht schuld an tödlichem Unfall

Opfer stirbt nach Zusammenpr­all auf der Kirchstraß­e – Angeklagte­r kommt mit 1200 Euro davon

- Von Britta Baier

Opfer stirbt nach Zusammenpr­all auf der Kressbronn­er Kirchstraß­e.

KRESSBRONN/RAVENSBURG - Obwohl er mit 1,46 Promille im Februar vergangene­n Jahres einen 84-jährigen Fußgänger in der Kressbronn­er Kirchstraß­e mit seinem Auto tödlich verletzt hat, kommt der Angeklagte mit einer Geldstrafe von 1200 Euro davon. Die Staatsanwa­ltschaft nahm am Montag vor dem Landgerich­t in Ravensburg ihre Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerich­ts wieder zurück. Ursprüngli­ch saß der Lindauer wegen fahrlässig­er Tötung auf der Anklageban­k.

Hätte der tödliche Unfall im nüchternen Zustand vermieden werden können – und hätte der betrunkene Fahrer sein Defizit ausgleiche­n können, sodass der Fußgänger heute noch leben könnte? Um diese Fragen drehte sich die Gerichtsve­rhandlung am Montag, bei der neben Zeugen vor allem zwei Sachverstä­ndige ihre Gutachten vortrugen. Die Staatsanwa­ltschaft hatte nach dem Urteil des Amtsgerich­ts im Januar, das den Mann nur wegen einer Trunkenhei­tsfahrt und nicht wegen fahrlässig­er Tötung zu der Geldstrafe verurteilt­e, Berufung eingelegt.

Wie berichtet hatte der 46-Jährige am 4. Februar 2017 innerhalb von zwei Stunden mehr als fünf Bier bei seinem Freund in Wasserburg während eines Fußballspi­els getrunken, und machte sich schließlic­h gegen 19 Uhr auf den Heimweg. Unterwegs holte ihn der Hunger ein, weshalb er gegen 19.20 Uhr einen Umweg über die Kressbronn­er Kirchstraß­e in Richtung Hauptstraß­e nahm, wie der Angeklagte am Montag schilderte. Auf Höhe der Kirche „habe ich nur noch einen Schatten gesehen“: Es war dunkel, regnerisch und windig, als sich der 84-jährige Fußgänger, vermutlich nach dem Gottesdien­st in der Kirche, auf dem Heimweg in den Friedhofsw­eg befand und dabei die Straßensei­te wechseln musste.

Nach dem Aufprall habe er sein Auto beim Restaurant „Zur Kapelle“ in die Feuerwehrz­ufahrt abgestellt und sei zu Fuß zurück zur Unfallstel­le gegangen, wo sich bereits Passanten um den Schwerstve­rletzten gekümmert hätten. Mit dem Rettungswa­gen kam der Fußgänger in die Klinik, wo er noch in der Nacht verstarb. „Ich kann das nicht wiedergutm­achen, ich kann nur nochmals wiederhole­n, dass mir das alles unendlich leid tut“, wiederholt­e der Angeklagte vor dem Landgerich­t.

Wie die technische Sachverstä­ndige in ihrem ausführlic­hen Gutachten schilderte, muss der Angeklagte mit einer Geschwindi­gkeit von 43 Stundenkil­ometern gefahren sein. Zum Vergleich: Ein Aufprall sei für einen nüchternen Autofahrer bei den gleichen Sichtbedin­gungen mit etwa 35 Stundenkil­ometern zu verhindern gewesen. Während ein Polizeibea­mter im Zeugenstan­d aussagte, dass die Sichtverhä­ltnisse trotz Regen und Dunkelheit relativ gut gewesen seien und man die zulässige Höchstgesc­hwindigkei­t an dieser Stelle von 50 Stundenkil­ometern hätte fahren können, zeichnete die Sachverstä­ndige ein anderes Bild. „Das Hauptprobl­em war, dass der Fußgänger sich sehr langsam bewegt hat und damit nur einen geringen Reiz für das Auge des Fahrers bot.“

43 Stundenkil­ometer schnell

Zwar sei die Kirchstraß­e an dieser Stelle gerade und auf den ersten Blick recht übersichtl­ich, doch durch eine leichte Wölbung verbunden mit den verschiede­nen Glanzstrei­fen der Beleuchtun­g auf der regennasse­n Fahrbahn sei das dunkel gekleidete Opfer erst ab einer Entfernung von 20 Metern erkennbar gewesen, wie die Referentin anhand von nachgestel­lten Fotos zeigte. Bei einer Geschwindi­gkeit von 43 Stundenkil­ometern blieben dann nur acht Meter, um zu bremsen – nicht ausreichen­d, um einen Aufprall mit solchen Folgen zu verhindern.

Der medizinisc­he Sachverstä­ndige dagegen erläuterte, dass man grundsätzl­ich von einer Reaktionsz­eit von einer Sekunde bei einem Menschen ausgehe, bis er in Situatione­n reagieren könne. Diese könne bei betrunkene­n Menschen darüber liegen – aber auch nicht selten darunter – weshalb es „keine Formel zur Berechnung der Reaktionsz­eit“gebe. Da der Angeklagte direkt nach dem Unfall vor dem diensthabe­nen Polizeibea­mten keinerlei Ausfallers­cheinungen aufzeigte und sich klar und deutlich artikulier­en konnte, „gibt es keinerlei objektive Anhaltspun­kte, dass seine Reaktionsz­eit über einer Sekunde gelegen hat“, fasste der Sachverstä­ndige zum Erstaunen der Richterin wie des Staatsanwa­lts zusammen. Dadurch ließe sich nicht beweisen, dass der Alkohol der Grund für den tödlichen Unfall sei.

Die Prozessbet­eiligten einigten sich darauf, dass die Staatsanwa­ltschaft ihre Berufung zurücknimm­t und die Geldstrafe von 1200 Euro sowie ein dreimonati­ges Fahrverbot bestehen bleiben.

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FOTO: DPA
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Gesehen von SZ-Leser Jürgen Geiselmann Wie gemalt: Der Bodensee im Abendlicht.

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