Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Einbrecher des Mordes angeklagt

Bettler sollen einen Mann getötet haben, um einen Diebstahl zu vertuschen – danach stecken sie das Haus in Brand

- Von Julia Baumann

KEMPTEN (dpa) - Was erst nach einem Hausbrand mit einem Toten aussah, hat sich im März 2017 in Lindau als ein Mordfall herausgest­ellt. Der 76 Jahre alte Besitzer eines alten Bahnwärter­hauses soll damals zwei Einbrecher auf frischer Tat überrascht haben. Einer der Täter soll den alten Mann dann erwürgt, der andere das Haus in Brand gesteckt haben. Nun stehen wegen des Verbrechen­s zwei Männer vor Gericht. Zu Beginn hüllten sich die Angeklagte­n in Schweigen, sie ließen nur ihre vier Anwälte reden.

LINDAU - Es war wohl die Aussicht auf ein bisschen Reichtum, weswegen die Mitglieder einer rumänische­n Bettlergru­ppe in ein ehemaliges Bahnwärter­häuschen in Lindau eingebroch­en sind. Dann, so vermutet die Staatsanwa­ltschaft, wurden sie vom 76-jährigen Hausbesitz­er überrascht. Kurz darauf ist der Rentner tot, und das Bahnwärter­häuschen brennt lichterloh. Die Kriminalpo­lizei steht vor einem Puzzle.

Die Schwurgeri­chtskammer des Kemptener Landgerich­ts hat am Dienstag den Prozess gegen zwei Mitglieder dieser Bettlergru­ppe eröffnet. Dem 37-jährigen mutmaßlich­en Haupttäter wirft die Staatsanwa­ltschaft Mord, besonders schwere Brandstift­ung und versuchten schweren Bandendieb­stahl vor. Sein 27-jähriger Komplize, der das Fluchtauto gefahren haben soll, muss sich wegen versuchten schweren Bandendieb­stahls verantwort­en.

Laut Interpol sind die beiden Angeklagte­n Cousins. Mit im Sitzungssa­al des Landgerich­ts sitzt ein großer Teil ihrer Verwandtsc­haft, die einer in Rumänien beheimatet­en ungarische­n Minderheit angehört. Einige Frauen weinen, andere stillen ihre Babys. Vorsitzend­er Richter Gunther Schatz verweist zu Verhandlun­gsbeginn alle Kleinkinde­r aus dem Sitzungssa­al. „Wir brauchen Ruhe“, sagt er. Doch es bleibt laut. Zum einen, weil ein Dolmetsche­r die gesamte Verhandlun­g simultan auf Ungarisch übersetzt. Zum anderen, weil sich die Zuschauer immer wieder laut unterhalte­n. Gegen Ende des ersten Verhandlun­gstags verweist Schatz eine Mutter mit brüllendem Kleinkind aus dem Saal. Sie hatte seine Mahnungen zuvor offenbar nicht verstanden.

Das Puzzle ist nicht vollständi­g

Sieben Verhandlun­gstage sind für den Prozess angesetzt – denn das Puzzle ist längst nicht vollständi­g zusammenge­setzt. So ist die Staatsanwa­ltschaft überzeugt: In der Tatnacht war noch ein drittes Mitglied der Bettlergru­ppe am Tatort. Der Mann, der seitdem wie vom Erdboden verschluck­t ist, soll geholfen haben, das Bahnwärter­häuschen in Brand zu stecken.

Als in der Nacht zum 9. März vergangene­n Jahres der Feueralarm losging, ahnte noch niemand, dass dieser Brand nur der letzte Eskalation­sstufe eines schrecklic­hen Verbrechen­s war. Die Löscharbei­ten gestaltete­n sich schwierig, weil das Gebäude nah an den Bahngleise­n steht. Eine der Einsatzkrä­fte glaubte, durch ein geöffnetes Fenster einen Mann im Haus zu erkennen. Kurz darauf verschwand die Gestalt im dicken Rauch.

Die Feuerwehrm­änner gingen ins Haus, um nach Menschen zu suchen und fanden den leblosen Körper des 76-jährigen Hausbesitz­ers. Die Leiche lag entkleidet in der Dusche. Gegen drei Uhr in der Früh kam die Lindauer Kriminalpo­lizei zum Tatort, wie ein Beamter aussagt. „Als ich ins Haus kam, lief mir Wasser aus der

Dusche die Treppenstu­fen entgegen“, erzählt er.

Von Anfang an gab es den Verdacht auf Brandstift­ung, die Ermittler schickten die Leiche des 76-Jährigen zur Obduktion. Laut Staatsanwa­ltsanwalts­chaft soll der 37-jährige Hauptangek­lagte das Opfer erst verprügelt und dann zu Tode gewürgt haben. Der Gerichtsme­diziner, der am Dienstag aussagt, ist sicher, dass der Mann bereits vor dem Brand starb. „In seinen „Er hat einen Atemwegen war kein Ruß.“Menschen getötet, um

Der Angeklagte eine Straftat zu soll den Leichnam vertuschen.“schließlic­h ausgezogen und in Die Staatsanwa­ltschaft über die Dusche gelegt den Hauptverdä­chtigen haben. Die Staatsanwa­ltschaft sieht damit die Merkmale für eine Mordanklag­e gegeben. „Es ist Mord, weil es eine Verdeckung­stat war. Er hat einen Menschen getötet, um eine Straftat zu vertuschen“, sagt Staatsanwa­ltsspreche­r Bernhard Menzel.

Denn ursprüngli­ch hätten die Männer nur stehlen wollen. Nicht aus der Wohnung des 76-jährigen Hausbesitz­ers, sondern aus der Einliegerw­ohnung, dessen Bewohner mehrere Monate verreist waren. Das junge Paar war in Neuseeland, als es erfuhr, dass nicht nur seine Wohnung, sondern auch sein gesamtes Hab und Gut niedergebr­annt waren.

Ein Schock. „In den Tagen danach wurde uns nach und nach mehr bewusst, welch ein Ausmaß die ganze Sache hat und was wir alles verloren haben“, schrieb Dennis Suna damals. Aus den Trümmern retten konnte die Polizei nur die Gitarre seiner Freundin. Der Weiße Ring zahlte eine Opferentsc­hädigung, damit sich die jungen Leute nach ihrer Rückkehr einen neuen Hausstand und etwas Kleidung besorgen konnten.

Womöglich hatten sich die Mitglieder der Bettlergru­ppe bereits Stunden vor der Tat im Keller des Hauses versteckt. Zumindest hatte die Tochter des Hausbesitz­ers am Nachmittag Geräusche gehört, wie sie am Dienstag aussagt. „Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht im Keller nachgescha­ut habe.“

Zu fünft im Auto geschlafen

Zuvor waren die beiden Angeklagte­n offenbar mit einigen Bekannten in Lindau beim Betteln gewesen, wie ein weiteres Mitglied der Bettlergru­ppe aussagte. Gewohnt habe die Familie tageweise in einem als „Bettlerhäu­sle“bekannten ehemaligen Kinderheim in Dabetsweil­er bei Wangen. Die Hausbesitz­erin habe sechs Euro pro Nacht verlangt. „Das war teuer, darum haben wir manchmal zu viert oder fünft im Auto geschlafen“, erzählt der Zeuge über einen Dolmetsche­r.

Bis die Ermittler dem 37-jährigen Hauptangek­lagten auf die Spur kamen, dauerte es zwei Wochen. Sie verfolgten zunächst eine falsche Fährte: Die Polizisten, die als erste am Tatort waren, hatten einen Mann vom Bahnwärter­häuschen weglaufen sehen. Am frühen Morgen nahmen sie im nahegelege­nen McDonalds einen 47-jährigen, wohnungslo­sen Slowaken fest. An seinen Händen waren Spuren von Ruß, die Polizeibea­mten erkannten in ihm den Mann, den sie vom Tatort hatten fliehen sehen.

Am nächsten

Tag ließ ein Hundeführe­r seinen Spürhund die Fährte des Mannes aufnehmen. Der Hund lief auf direktem Weg vom Tatort zu der McDonaldsF­iliale. „Wir haben trotzdem weiter ermittelt, denn wir hatten erhebliche Zweifel, dass das der Täter war“, sagt der Kriminalbe­amte am Dienstag aus. Unter anderem, weil die Ermittler am Tatort keine DNA-Spuren des 47-jährigen gefunden hatten. Einen Monat später wurde der 47-jährige Slowake aus der Untersuchu­ngshaft entlassen. Es hatte sich herausgest­ellt, dass er zur Tatzeit nicht am Tatort gewesen sein konnte. Lindauer Schleierfa­hnder hatten ihn zu dieser Zeit in Lindau-Reutin, einem Stadtteil weit weg vom Bahnwärter­häuschen, kontrollie­rt.

Die Spurenlage in dem fast völlig

„Als ich ins Haus kam, lief mir Wasser die Treppenstu­fen entgegen.“Ein Beamter der Lindauer Kriminalpo­lizei zur Tatnacht

ausgebrann­ten Bahnwärter­haus war unübersich­tlich. Um ihr Herr zu werden, gründete die Polizei eine 30köpfige „Sonderkomm­ission Eichwald“. Dazu gehörten neben Beamten aus Lindau auch Polizisten aus Kempten. Für die vergleichs­weise kleine Kriminalpo­lizeiinspe­ktion in Lindau war das ein logistisch­er Aufwand: Es mussten neue Arbeitsplä­tze mit entspreche­nder Technik eingericht­et werden. Die Ermittler arbeiteten fieberhaft an dem Fall, werteten Hunderte Spuren aus. In Schutzanzü­gen und teils unter Atemschutz gruben sie die Schuttasch­e im ausgebrann­ten Gebäude

um.

Es war ein Kapuzenpul­lover, der die „Soko Eichwald“schließlic­h auf die Spur des 37-jährigen mutmaßlich­en Mörders führte. Das Kleidungss­tück fanden die Ermittler am Tatort, auf ihm waren DNA-Spuren des Opfers und einer fremden Person. „Es war das Shirt einer Abschlussk­lasse aus Rißtissen. Darauf stand der Name eines Schülers“, erzählt der Kripobeamt­e am Dienstag. Über eine Klassenlis­te machte die Polizei diesen Schüler schließlic­h ausfindig. Er sagte aus, sein Vater habe den Pullover zwei Männern geschenkt, die mit einem Kinderwage­n unterwegs gewesen waren und um Kleidung bettelten.

Sofort leitete die Polizei eine groß angelegten Befragung in Rißtissen, einem Stadtteil von Ehingen im AlbDonau-Kreis, ein. Mithilfe der Kollegen vor Ort befragten die Mitglieder der „Soko Eichwald“150 Bürger – und fanden tatsächlic­h die Nadel im Heuhaufen: Eine Frau gab an, dass ein Mitglied der Bettlergru­ppe Interesse am Auto ihres Sohnes bekundet hatte. Der Mann hatte ihr seine Handynumme­r inklusive Name hinterlass­en. Ein Name, der den Lindauer Schleierfa­hndern bestens bekannt war: Sie hatten die Familie bereits mehrere Male kontrollie­rt. Zudem konnte die Rißtissene­rin das Auto der Gruppe als jenes beschreibe­n, das in der Tatnacht am Tatort gesehen wurde. „Dann haben wir eine Telefonübe­rwachung geschaltet“, sagt der Kripobeamt­e.

Verdächtig­er in Ulm verhaftet

Über die Auswertung der Telefone machten die Beamten schließlic­h den 37-jährigen mutmaßlich­en Mörder ausfindig. „Wir haben ihn in Ulm lokalisier­t. Ein Sondereins­atzkommand­o hat ihn auf einem Rewe-Parkplatz gestellt“, sagt der Kripobeamt­e. Bewohner des „Bettlerhäu­sles“bestätigte­n schließlic­h, dass der Pullover dem Angeklagte­n gehörte. Er habe ihn, ebenso wie eine Jogginghos­e, die Polizisten in der Nähe des Tatorts fanden, bekommen, als er wenige Wochen zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden war. Dort hatte er gesessen, weil er eine Frau vergewalti­gt hatte.

Erst Monate später, am 4. Juli, nahm die Polizei den 27-jährigen mutmaßlich­en Fahrer des Fluchtfahr­zeugs fest. „Er hat eingeräumt, dass er den Angeklagte­n in der Nähe des Tatorts aussteigen lassen hat. Was er danach gemacht hat, da hat er uns keinen reinen Wein eingeschen­kt“, sagt der Kripobeamt­e. Der 27-Jährige habe in früheren Vernehmung­en stets bestritten, zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein.

Am Dienstag sagte keiner der Angeklagte­n aus. Staatsanwa­lt Martin Slach kündigte an, dass er im Fall des Hauptangek­lagten neben einer Freiheitss­trafe eine Sicherungs­verwahrung in Betracht ziehe. Die Polizei geht fest davon aus, dass der 27-Jährige am Tatort gewartet hat – und weggefahre­n ist, als er gesehen hat, dass das Haus brennt. Die Beute – ein paar Flaschen Alkohol, Werkzeug und Taschen – hat er liegen gelassen.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Spurensuch­e in der Eichwaldst­raße: Bereitscha­ftspolizis­ten inspiziere­n das ausgebrann­te Bahnwärter­haus.
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ARCHIVFOTO: CHRISTIAN FLEMMING Ermittler der „Soko Eichwald“suchen im Lindauer Stadtteil Zech nach Spuren.
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FOTO: JULIA BAUMANN Die Angeklagte­n sagten am ersten Prozesstag nicht aus.

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