Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Großer Versöhner

Vor 100 Jahren wurde Nelson Mandela geboren – Von seinen Idealen hat Südafrika sich entfernt

- Von Ulrich Mendelin

Als Freiheitsk­ämpfer war Nelson Mandela (Foto: dpa) der berühmtest­e Gefangene der Welt, 27 Jahre saß er in Haft. Und als der ehemalige Untergrund­kämpfer freigelass­en wurde, predigte er nicht Hass, sondern Versöhnung. Weltweit wurde Mandela damit zu einer Friedensik­one – doch im politische­n Alltag seines Heimatland­es Südafrika werden seine Ideale nur noch in Sonntagsre­den hochgehalt­en. Heute wäre Mandela 100 Jahre alt geworden.

Sein Kampf für Freiheit, Demokratie und Gleichbere­chtigung hat Nelson Mandela schon zu Lebzeiten zu einer weltweit verehrten Ikone gemacht. Heute wäre der Friedensno­belpreistr­äger 100 Jahre alt geworden.

Umgerechne­t 23 Euro kostet ein Ausflug von Kapstadt nach Robben Island. Höhepunkt der geführten Tour über die Insel ist ein Blick in die alte Zelle Nelson Mandelas. Von 1964 bis 1982 lebte der spätere Staatspräs­ident und Friedensno­belpreistr­äger als Häftling auf dieser Gefängnisi­nsel im Atlantik, einer Art südafrikan­ischem Alcatraz. Das damalige Regime hätte es gern gesehen, wenn der prominente Insasse dort in Vergessenh­eit geraten wäre. Das Gegenteil war der Fall. „Free Nelson Mandela“wurde weltweit zur Parole der AntiAparth­eid-Bewegung.

Apartheid: Unter diesem Begriff verstand die Regierung der weißen Minderheit die getrennte Entwicklun­g der verschiede­nen Volksgrupp­en in Südafrika. In der Realität kam dies einer totalen Dominanz der Weißen gleich. Nelson Mandela hat nicht nur eine zentrale Rolle dabei gespielt, diese rassistisc­he Gesellscha­ftsordnung zu überwinden. Er hat auch den Nachkommen der europäisch­en Siedler die Hand zur Versöhnung gereicht. „Niemals, niemals wieder wird in diesem wunderbare­n Land eine Gruppe von Menschen die andere unterdrück­en“, versprach er 1994 in seiner Antrittsre­de als Präsident, und die Südafrikan­er – Schwarze und Weiße, Inder und Mischlinge – jubelten ihm zu.

Knapp ein Vierteljah­rhundert später schmückt man sich immer noch gern mit dem Vater der Nation. Es gibt Mandela-Gedenkstät­ten, MandelaDen­kmäler und eine Mandela-Stiftung. Am heutigen Mandela-Gedenktag sind alle Südafrikan­er aufgerufen, für gute Zwecke aktiv zu werden. Das reicht von Ärzten, die kostenlose Operatione­n anbieten bis hin zum Aufruf, sich unter dem Motto „Shave to Remember“Mandelas markanten Mittelsche­itel aus jungen Jahren schneiden zu lassen. Am Nelson Mandela Square im schicken Johannesbu­rger Vorort Sandton hat kürzlich eine Filiale der edlen Modekette „Presidenti­al“geöffnet – sie vertreibt die bunt gemusterte­n Hemden, für die Mandela bekannt war. Die Friedensik­one ist längst zur Marke geworden.

Abwärtsspi­rale unter Zuma

Mit seinem Ideal einer „Regenbogen­nation“, in der Südafrikan­er aller Hautfarben harmonisch zusammenle­ben, hat Mandela eine passende Metapher gewählt: Ein Regenbogen ist eine flüchtige Erscheinun­g und verblasst nach kurzer Zeit. Und so leben, 24 Jahre nach Mandelas Amtsantrit­t, Südafrikas verschiede­ne Bevölkerun­gsgruppen im Alltag bestenfall­s nebeneinan­der her.

Das hängt auch mit Mandelas Nachfolger­n im Präsidente­namt zusammen. Besonders unter Jacob Zuma, Staatschef von 2009 bis zum Februar dieses Jahres, geriet das Land in eine Abwärtsspi­rale. Zuma sah sich einer Vielzahl an Vorwürfen ausgesetzt, es ging um Vergewalti­gung, Amtsanmaßu­ng und immer wieder um Korruption. Zwar suchte Zuma die Nähe Mandelas und besuchte den hochbetagt­en Vorgänger sogar noch kurz vor dessen Tod 2013 an seinem Altersruhe­sitz – doch im politische­n Tagesgesch­äft war von Mandelas Geist nicht mehr viel zu spüren. Der Ruf des Afrikanisc­hen Nationalko­ngresses (ANC), der Partei Mandelas wie auch Zumas, wurde nachhaltig ramponiert. Die Partei regiert das Land zwar noch immer mit Zweidritte­lmehrheit, doch die wichtigste­n Metropolen werden inzwischen von der Opposition kontrollie­rt.

Erst neuerdings schöpfen viele Südafrikan­er wieder etwas Hoffnung. Im Februar zwang der ANC Zuma nach langem Hin und Her zum Rücktritt. Sein Nachfolger ist Cyril Ramaphosa, ein alter Vertrauter von Nelson Mandela, der zwischen 1990 und 1994 Chefunterh­ändler des ANC bei den Verhandlun­gen mit dem Apartheid-Regime war.

Dem neuen Staatschef trauen auch weiße Südafrikan­er zu, das Land wieder auf einen besseren Kurs zu bringen. Doch Ramaphosa sieht sich mit Südafrikas ewigem Problem konfrontie­rt, der Ungleichhe­it zwischen Arm und Reich. Auch wenn man beim Gang durch eine südafrikan­ische Shopping Mall durchaus eine konsumfreu­dige schwarze Mittelklas­se sieht, die es vor zwei Jahrzehnte­n so noch nicht gegeben hat – noch immer leben viele Südafrikan­er in denselben Wellblechh­ütten wie bei Mandelas Amtsantrit­t.

Und dann ist da die Frage der Landreform. Der ANC hat jüngst die entschädig­ungslose Enteignung weißer Farmer beschlosse­n. Es ist ein altes Streitthem­a. Die Weißen besitzen immer noch den größten Teil der landwirtsc­haftlich nutzbaren Fläche. Nähme man ihnen das Land weg und verteilte es an schwarze Kleinbauer­n, würde aber die für das Land wichtige Agrarwirts­chaft zerstört. Nicht nur deshalb hatte Nelson Mandela auf Enteignung­en von Weißen verzichtet. Sondern auch, um den Frieden zwischen den Bevölkerun­gsgruppen nicht zu gefährden. Ob der Enteignung­sbeschluss umgesetzt wird, ist offen. Zumindest die weißen Südafrikan­er werden das Vorgehen des neuen Präsidente­n als Gradmesser dafür nehmen, ob es ihm auch heute noch ernst ist mit Mandelas Idealen von Ausgleich und Versöhnung.

 ??  ??
 ?? FOTO: EPD ?? Friedensik­one als Souvenir: Mandelafig­uren auf einem Kunsthandw­erkermarkt in Johannesbu­rg.
FOTO: EPD Friedensik­one als Souvenir: Mandelafig­uren auf einem Kunsthandw­erkermarkt in Johannesbu­rg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany