Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Öko.See.Dorf. noch weit weg
Das genossenschaftliche Wohnprojekt hat gute Argumente – Realisierung ist trotzdem unklar
Stadt hat zurzeit keine Bauplätze für genossenschaftliches Wohnmodell.
FRIEDRICHSHAFEN - Als „interessanten und innovativen Ansatz“bezeichnet die städtische Pressestelle das genossenschaftliche Wohnmodell „Öko.See.Dorf“, das auf Initiative von Häfler Bürgern in der Stadt entstehen soll. Bislang existiert es nur auf dem Papier. Ob es realisiert wird, ist offen. „Die Stadt hat derzeit keine frei verfügbaren Bauplätze. Von daher kann aktuell auch keine Vergabe erfolgen“, schreibt die Pressestelle auf Anfrage dieser Zeitung. Wenn es wieder größere Flächen geben sollte, könnten Baugruppen wie das „Öko.See.Dorf“aber berücksichtigt werden, teilt die Pressestelle mit – „vorbehaltlich entsprechender Beschlüsse der Gremien“.
Das klingt vage. Anders als in Friedrichshafen, wird der „innovative Ansatz“in Freiburg bereits seit 20 Jahren gelebt: von der Genossenschaft Genova, im Stadtteil Vauban. Auch in Konstanz ist man weiter als in Friedrichshafen: Im November hat sich dort die Genossenschaft „Wohnprojekt Konstanz“gegründet, inzwischen ist der Architektenentwurf gekürt und der Konstanzer Gemeinderat stellt als Bauplatz die Christiani Wiesen zwischen Seeufer und Lorettowald zur Verfügung. „Die Stadt Konstanz steht dieser neuen Wohnform positiv gegenüber und begrüßt die Genossenschaftsgründung sehr“, sagt Annabel Holtkamp, Leiterin der Pressestelle des Wohnprojekts.
Wohngenossenschaften kommen ohne gewinnorientierten Bauträger aus, also ohne einen an Profit interessierten Vermieter oder Verkäufer. Dadurch kann günstig Wohnraum geschaffen werden. Das zeigt die Genova, die 50 Wohnungen gebaut hat. Normalerweise sind im Freiburger Stadttteil Vauban zehn bis zwölf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter üblich, erklärt auf Anfrage Genova-Vorstand Hubert Hoffmann. In der Genossenschaft sind es nur 7,85 Euro; für eine 60-Quadratmeter-Wohnung also 471 Euro. Und während die Umgebungsmieten steigen, bleiben die Mieten für die Genossenschaftswohnungen konstant, weil mit den Mietgeldern lediglich die Kredite für die Baukosten getilgt und die Instandhaltungskosten getragen werden. Im Verhältnis zum konventionellen Wohnmodell werden sie also immer günstiger.
Antwort auf akute Probleme
Das Modell Wohngenossenschaft hat Antworten auf brennende gesellschaftliche Probleme. Bezahlbarer Wohnraum und der Schutz vor Vereinsamung durch Einbindung ins Gemeinschaftsleben sind nur zwei davon. Darüber hinaus kann der Mieter einer Genossenschaft nicht wegen Eigenbedarf gekündigt werden. Auch das Problem alter Menschen, die allein in einem viel zu großen Haus wohnen, lässt sich in der Genossenschaft mitunter lösen: durch den Tausch „große Wohnung gegen kleine Wohnung“innerhalb des Gemeinschaftseigentums, wie er in Freiburg schon mehrfach praktiziert wurde. Derzeit denkt man in Freiburg daran, eine Pflege-WG für alte Bewohner zu gründen. Niemand müsste dann ins Heim. Alle diese Aspekte hat auch das „Öko.See.Dorf “im Konzept. Ebenso den Verzicht auf ein eigenes Auto, wie er in Freiburg praktiziert wird: 90 Prozent der Genova-Bewohner haben kein Auto. „Sie müssen jedes Jahr schriftlich erklären, dass sie kein Auto benutzen und deshalb keinen Stellplatz brauchen“, sagt Hubert Hoffmann. „Dadurch müssen die einzelnen Gebäude keine Stellplätze nachweisen.“Eine Genossenschaft kann auch Integrationsarbeit leisten: Die Genova-Bewohner haben vor zwei Jahren eine frei gewordene Wohnung einer Flüchtlingsfamilie aus Afghanistan mit ihren vier Kindern zur Verfügung gestellt, in den Gemeinschaftsräumen finden Deutschkurse statt.
Die Genova setzt, ebenso wie das Häfler „Öko.See.Dorf“und die Konstanzer Genossenschaft, auf soziale Durchmischung, ein ökologischnachhaltiges Konzept und eine aktiv gestaltende Teilnahme der Bewohner am Gemeinschaftsleben. Dass man sich also durchaus als Wertegemeinschaft versteht, hält in Freiburg Menschen fern, die einzig an einer günstigen Wohnung interessiert sind und zum „Lebensklima“nichts beitragen wollen. Eine ganz andere Hürde ist allerdings das Einstiegskapital, das mitzubringen ist. Das Häfler „Öko.See.Dorf“peilt etwa 66 000 Euro an. Bei der Finanzierung müsse eine Grundsatzentscheidung getroffen werden, weiß Hubert Hoffmann – nämlich jene, „ob man eine schnelle Tilgung möchte, oder ob auch die zweite und dritte Generation noch abbezahlt, dafür aber die Mieten niedriger sind“, sagt er. Der GenovaWohnraum werde frühestens 2033 abbezahlt sein, also 34 Jahre nach Baubeginn. Das „Öko.See.Dorf“peilt die Marke von nur 25 Jahren an.
Die Freiburger Genossenschaft zeigt, dass sich veranschlagte Baukosten einhalten lassen: Sie blieb sogar darunter. Auf die Gegenwart sei das aber nicht übertragbar, meine Hubert Hoffmann: „Die Baupreise sind stark in die Höhe gegangen. Wer heute plant und in drei Jahren baut, kann nicht wissen, wo die Preise dann sein werden“. Trotzdem sind die Erfahrungen der Freiburger Wohngenossenschaft für das „Öko.See.Dorf “insgesamt sehr ermutigend. Hoffnungsfroh klingt Markus Hener vom Leitungskreis des „Öko.See.Dorfs“auch, was die Realisierungschancen angeht. Man sei in guten Gesprächen mit der Stadt, versichert er. Konkreter wird er nicht.
„Wer heute plant und in drei Jahren baut, kann nicht wissen, wo die Preise dann sein werden.“Hubert Hofmann, Genova-Vorstand