Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Straßenkünstler mit Bewerbungsschreiben
Das Bessere ist der Feind des Guten, hat Voltaire gesagt. Er mag es nicht so gemeint haben – aber dieser Spruch lässt sich eben auch so verstehen, dass man das Bewährte eher verschlimmbessert, wenn daran gerüttelt wird. Das Straßentheater beim Kulturufer könnte eine solche gute Sache sein: In diesem Jahr wird der Straßentheaterbereich zum ersten Mal fast vollständig kuratiert sein. Das bedeutet Straßentheater nach Stundenplan. Für den ersten Kulturufertag steht er bereits vollständig auf der Kulturufer-Homepage, in 41 durchgetakteten Programmpunkten. Das ist sehr hilfreich und übersichtlich gemacht. Aber was es dem Kulturufer nimmt, ist ein Stück Unvorhersehbarkeit. Bislang gab es nur einen kleinen Pool von Straßenkünstlern, die vom Kulturbüro engagiert wurden. In diesem Jahr mussten sich dagegen alle Straßenkünstler, die auftreten wollen, vorher bewerben. Wer da nicht ausgewählt wird, hat das Nachsehen.
Was Straßenkünstlern damit abgeht ist die Möglichkeit, zum Kulturufer nach Lust und Laune dazuzustoßen. Das ist merkwürdig für einen Berufsstand, der mit dem Image lebt, sich aus ungebundenen Vögeln zusammenzusetzen, die so leben, wie Hannes Wader es besungen hat: „Heute hier, morgen dort“. Aber wahrscheinlich verklärt das die Wirklichkeit. Straßenkünstler wissen, was Optimierungszwang bedeutet: Wer sein Hand- werk nicht beherrscht, findet nach der Vorstellung kein Geld im Hut. Allerdings bekam beim Kulturufer bislang jeder die Möglichkeit, sein Glück zu versuchen. Jetzt wird durch die vorgeschaltete Bewerbung das Geschäft noch härter.
Man kann es aber auch anders sehen: Das Kulturbüro und der Straßenkunst-Kurator Klaus Müller wollen die Straßenkunst attraktiver machen. Damit dem Publikum nur das Beste in einer möglichst großen Vielfalt geboten werden kann, muss ausgesiebt werden. Für diejenigen, die übrig bleiben, hat das Vorteile, denn eine ordentliche Planung kann besser sein als das bisherige Zufallsprinzip: die Auftrittszeiten und -orte wurden jeden Morgen verlost. Ein ausgeklügelter Straßenkünstler-Stundenplan muss nicht zwangsweise bedeuten, dass die besten Künstler zu den besten Zeiten auch die besten Plätze bekommen. Planung kann ebenso Härten ausgleichen, auf die das Los keine Rücksicht nimmt. Und dann ist da noch der Belastungsfaktor für die Organisatoren: Klaus Müller hat jahrelang für jeden Künstler, der überraschend aufschlug, das Beste getan und sich dabei zerrissen. Viele stürmten gleichzeitig auf ihn ein. Jetzt sind die Abläufe entzerrt und das entlastet ihn. Egal, ob man nun die Nachteile oder die Vorteile des neuen Regelung in den Vordergrund stellt: Klaus Müller hat Anerkennung verdient. Hut ab!
Die Kulturtipps der Woche: Das Kulturufer beginnt! Und es hat nicht nur die eh schon gut verkauften Events zu bieten, sondern auch die Geheimtipps: Lotte, die junge Sängerin aus dem Kreis Ravensburg, singt