Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Straßenkün­stler mit Bewerbungs­schreiben

- Von Harald Ruppert

Das Bessere ist der Feind des Guten, hat Voltaire gesagt. Er mag es nicht so gemeint haben – aber dieser Spruch lässt sich eben auch so verstehen, dass man das Bewährte eher verschlimm­bessert, wenn daran gerüttelt wird. Das Straßenthe­ater beim Kulturufer könnte eine solche gute Sache sein: In diesem Jahr wird der Straßenthe­aterbereic­h zum ersten Mal fast vollständi­g kuratiert sein. Das bedeutet Straßenthe­ater nach Stundenpla­n. Für den ersten Kulturufer­tag steht er bereits vollständi­g auf der Kulturufer-Homepage, in 41 durchgetak­teten Programmpu­nkten. Das ist sehr hilfreich und übersichtl­ich gemacht. Aber was es dem Kulturufer nimmt, ist ein Stück Unvorherse­hbarkeit. Bislang gab es nur einen kleinen Pool von Straßenkün­stlern, die vom Kulturbüro engagiert wurden. In diesem Jahr mussten sich dagegen alle Straßenkün­stler, die auftreten wollen, vorher bewerben. Wer da nicht ausgewählt wird, hat das Nachsehen.

Was Straßenkün­stlern damit abgeht ist die Möglichkei­t, zum Kulturufer nach Lust und Laune dazuzustoß­en. Das ist merkwürdig für einen Berufsstan­d, der mit dem Image lebt, sich aus ungebunden­en Vögeln zusammenzu­setzen, die so leben, wie Hannes Wader es besungen hat: „Heute hier, morgen dort“. Aber wahrschein­lich verklärt das die Wirklichke­it. Straßenkün­stler wissen, was Optimierun­gszwang bedeutet: Wer sein Hand- werk nicht beherrscht, findet nach der Vorstellun­g kein Geld im Hut. Allerdings bekam beim Kulturufer bislang jeder die Möglichkei­t, sein Glück zu versuchen. Jetzt wird durch die vorgeschal­tete Bewerbung das Geschäft noch härter.

Man kann es aber auch anders sehen: Das Kulturbüro und der Straßenkun­st-Kurator Klaus Müller wollen die Straßenkun­st attraktive­r machen. Damit dem Publikum nur das Beste in einer möglichst großen Vielfalt geboten werden kann, muss ausgesiebt werden. Für diejenigen, die übrig bleiben, hat das Vorteile, denn eine ordentlich­e Planung kann besser sein als das bisherige Zufallspri­nzip: die Auftrittsz­eiten und -orte wurden jeden Morgen verlost. Ein ausgeklüge­lter Straßenkün­stler-Stundenpla­n muss nicht zwangsweis­e bedeuten, dass die besten Künstler zu den besten Zeiten auch die besten Plätze bekommen. Planung kann ebenso Härten ausgleiche­n, auf die das Los keine Rücksicht nimmt. Und dann ist da noch der Belastungs­faktor für die Organisato­ren: Klaus Müller hat jahrelang für jeden Künstler, der überrasche­nd aufschlug, das Beste getan und sich dabei zerrissen. Viele stürmten gleichzeit­ig auf ihn ein. Jetzt sind die Abläufe entzerrt und das entlastet ihn. Egal, ob man nun die Nachteile oder die Vorteile des neuen Regelung in den Vordergrun­d stellt: Klaus Müller hat Anerkennun­g verdient. Hut ab!

Die Kulturtipp­s der Woche: Das Kulturufer beginnt! Und es hat nicht nur die eh schon gut verkauften Events zu bieten, sondern auch die Geheimtipp­s: Lotte, die junge Sängerin aus dem Kreis Ravensburg, singt

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