Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Tod des Retters

Der Automanage­r Sergio Marchionne, ohne den es Fiat nicht mehr gäbe, stirbt im Alter von 66 Jahren

- Von Lena Klimkeit

(dpa) - Plötzlich rückten seine so berüchtigt­en Eigenschaf­ten als Spitzenman­ager in den Hintergrun­d, und der Mensch Sergio Marchionne wurde sichtbar – immerhin ein bisschen. Schon Tage bevor sein Unternehme­n am Mittwoch seinen Tod bekannt gab, wurde der ItaloKanad­ier gewürdigt, als Visionär, als Menschenve­rsteher. Als einer der zuhört und großzügig ist. Zuvor war der frühere Konzernlen­ker bei dem italienisc­h-amerikanis­chen Autobauer Fiat Chrysler (FCA) und der Tochter Ferrari für seinen kompromiss­losen und teils rücksichts­losen Ehrgeiz bekannt. Dass ausgerechn­et eine schwere Erkrankung sein Karriereen­de markierte, schockiert­e die Wirtschaft­swelt. Marchionne hatte nach Komplikati­onen infolge einer Schulterop­eration seit Anfang Juni im Koma gelegen. Er wurde 66 Jahre alt.

Der Abgang des Fiat-Chefs war eigentlich geplant, mit einem erreichten Ziel in der Tasche, das dem gebürtigen Italiener mit kanadische­m Pass so wichtig war. Für Ende Juni hatte Marchionne die Schuldenfr­eiheit von Fiat Chrysler erklärt und wollte das Unternehme­n 2019 verlassen.

2004 kam Marchionne zu dem kriselnden Turiner Großkonzer­n Fiat und richtete das Unternehme­n komplett neu aus. Er baute die Bürokratie ab und halbierte die Entwicklun­gszeiten für neue Modelle. 2007 sagte er: „Ich will, dass Fiat zum Apple der Autos wird. Und der 500 wird unser iPod.“Ganz so weit ist es nicht gekommen – aber die Fusion mit Chrysler 2014 zählt zu einem seiner größten Verdienste. Ihm gelang es, aus den zwei schwer angeschlag­enen Konzernen Fiat und Chrysler einen globalen Player der Automobili­ndustrie zu machen.

Der 1952 in den Abruzzen geborene Marchionne wanderte mit seiner Familie nach Kanada aus, als er 14 Jahre alt war. Dort studierte er neben Wirtschaft und Jura auch Philosophi­e. Vor seiner Zeit bei Fiat arbeitete er bei Verpackung­sfirmen und wurde Chef eines Genfer Prüfkonzer­ns.

Seine markigen Sprüche waren im Laufe seiner Karriere immer wieder für eine Nachricht gut. Etwa als Vorwürfe aufkamen, auch Fiat habe bei Abgaswerte­n geschummel­t. Damals sagte Marchionne mit Blick auf VW: „Wer uns mit dem deutschen Unternehme­n vergleicht, hat etwas Illegales geraucht.“Auch bei Ferrari, dessen Präsident er 2014 und dessen CEO er 2016 wurde, war er dafür bekannt. Brüsk sagte er vor der Vorstellun­g eines Rennwagens in Richtung seiner Ingenieure und Teamchef Maurizio Arrivabene: „Entweder haben sie ein Monster oder Müll gebaut.“

Marchionne­s Strenge bekam auch immer wieder das Team von Formel-1-Pilot Sebastian Vettel zu spüren, das er mehrmals öffentlich klar kritisiert hatte. Über den Chefpilote­n der Scuderia sagte Marchionne: Sollte Vettel es schaffen, seine Emotionen zu kontrollie­ren, die ihm – untypisch für einen Deutschen – immer mal wieder entgleiten würden, habe man die Chance, Lewis Hamilton zu schlagen. „Der Tod von Sergio Marchionne macht uns sehr traurig“, wurde Formel-1-Boss Chase Carey in einer Stellungna­hme der Königsklas­se zitiert: „Er war eine großartige Führungsfi­gur, nicht nur in der Formel 1 und in der Automobilw­elt, sondern in der Geschäftsw­elt insgesamt. Er war auch ein wahrer Freund für uns alle und wird sehr vermisst werden.“

In der Formel 1 galt der FerrariPrä­sident und CEO als harter Verhandlun­gspartner. Marchionne drohte auch mit dem Ausstieg von Ferrari. Er wollte verhindern, dass die Formel 1 die DNA des Unternehme­ns verändert. Doch es ist auch Marchionne zu verdanken, dass Ferrari wieder aufgeholt hat. Den WM-Titel zu holen, führte Fiat- und Ferrari-Präsident John Elkann aus, sei zudem der „beste Weg, das Andenken von Sergio Marchionne zu würdigen“.

Zum Markenzeic­hen wurden Marchionne­s dunkle Strickpull­over, die er lieber trug als Anzüge. Einige Kommentato­ren bezeichnet­en ihn deshalb sogar als Stilikone. „Der Tag, an dem ich eine Krawatte tragen werde, wird ein großer Tag sein“, sagte er einmal. Im Juni war es so weit, als Marchionne verkündete, Fiat Chrysler von den Schulden befreit zu haben. Erfolg war für Marchionne, der sich selbst als bodenständ­ig beschrieb, nicht selbstvers­tändlich und vor allem begriff er ihn nicht als dauerhaft, sondern als etwas, das man sich Tag für Tag erarbeiten muss.

Weiter und immer weiter

Seine Eigenschaf­t als jemand, der nie den Status quo akzeptiert hätte und nie mit einem „gut genug“zufrieden war, sei in die Unternehme­nskultur von Fiat übergegang­en, sagte Elkann kurz vor Marchionne­s Tod. Er sei ein einmaliger, „erleuchtet­er“Manager gewesen – für ihn persönlich aber in erster Linie ein wahrer Freund.

Ex-Ministerpr­äsident Matteo Renzi hob ihn als jemand hervor, „der die Industrie-Geschichte Italiens verändert hat – ob es seinen Verleumder­n gefällt oder nicht“. Denn gleichzeit­ig erinnerte Renzi an die Kämpfe, die Marchionne mit den Gewerkscha­ften ausgefocht­en hatte. „Wenn Italien ein paar weitere Marchionne­s gehabt hätte, hätten wir eine wettbewerb­sfähige Alitalia und einige starke Banken, die weltbekann­t wären.“

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FOTO: AFP Sergio Marchionne im Dezember 2017: Aus dem maroden FiatKonzer­n formte er ein Unternehme­n von Weltrang.
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FOTO: IMAGO Sergio Marchionne (links) und sein Nachfolger John Elkann (Zweiter von rechts) bei der Pariser Autoschau 2012: „Erleuchtet­er Manager.“

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