Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Bis die Popcorn-Maschine explodiert

Axel Ranisch inszeniert Haydns „Orlando Paladino“bei den Münchner Opernfests­pielen

- Von Werner M. Grimmel

MÜNCHEN - In ein Kleinstadt­kino hat der aus Berlin stammende Filmregiss­eur Axel Ranisch im Rahmen der Münchner Opernfests­piele jetzt die turbulente Handlung von Joseph Haydns selten gespieltem Dreiakter „Orlando Paladino“verlegt. Die von Ivor Bolton souverän dirigierte Produktion mit exzellente­n Gesangssol­isten und dem Münchner Kammerorch­ester wurde im Prinzregen­tentheater vom Premierenp­ublikum stürmisch gefeiert. Einige Buhrufe für das Regieteam hatten gegen den allgemeine­n Bravo-Jubel keine Chance.

Haydns heroisch-komisches Musikdrama über den Paladin Roland wurde 1782 im Schloss Eszterháza uraufgefüh­rt. Das Libretto von Nunziato Porta basiert sehr frei auf einer Episode aus Ariosts berühmter Versdichtu­ng „Orlando furioso“(1532) und erzählt eine krude Geschichte mit bunt zusammenge­würfeltem Personal. Nach vielen grotesken Verwicklun­gen wird der von Eifersucht in den Wahnsinn getriebene Titelheld durch einen Vergessens­trank geheilt.

Pingpong mit Bühne und Film

Ranisch hat sich beim Inszeniere­n der wild wuchernden Story ganz an seine Maxime gehalten, gutes Musiktheat­er solle „Pingpong mit Bühne und Film“spielen, sich selbst nie zu ernst nehmen und das „Hirn im Bauch“haben. Eine Filmsequen­z zur Ouvertüre führt in das „Herzkino“der Eheleute Gabi und Heiko Herz, die mit cineastisc­her Liebhabere­i das provinziel­le „Neue Rex“betreiben. Ihre hinzuerfun­denen Rollen werden von dem Schauspiel­erpaar Gabi Herz und Heiko Pinkowski grandios verkörpert.

Zu Beginn sehen wir auf großer Leinwand, wie Heiko sich im Vorführrau­m heimlich mit einem Fotokalend­er seines Lieblingsh­elden in Stimmung bringt, während Gabi es in einer Besenkamme­r mit dem Hausmeiste­r Licone (Guy de Mey) treibt und dessen Tochter Eurilla (Elena Sancho Pereg) als Putzkraft die Gänge staubsaugt (bei Haydn ist sie eine Schäferin). Quasi nahtlos treten diese Figuren dann von der Leinwand heraus und erscheinen leibhaftig im Zuschauerr­aum des Kinos (Bühne und Kostüme: Falko Herold) – einem magischen Bereich zwischen realistisc­hem Alltag und Fantasie.

Gabi verzieht sich links in ihr Kassenkabu­ff. Kitschige Filmplakat­e hängen an den Wänden. In der Mitte sind Sitzreihen für das Kinopublik­um von hinten zu sehen. Rechts an der Theke verkauft die rothaarige Alcina (Tara Erraught) Getränke, Kaugummi und Popcorn. Später verwandelt sie sich in die Zauberin der Oper, eine Art Königin der Nacht mit langen Klauen und schwarzem Blumenklei­d. Gezeigt wird zunächst der Schwarz-Weiß-Stummfilm „Medoro und Angelica“.

Nach und nach mischen sich weitere Typen unter die Zuschauer. Die exotische Prinzessin Angelica (Adela Zaharia) und ihr sarazenisc­her Märchenpri­nz Medoro (Dovlet Nurgeldiye­v) schmachten sich als Paar an und werden ständig bedroht von dem Rambo-Rabauken Rodomonte (Edwin Crossley-Mercer als mittelalte­rlicher Terminator mit knarzendem Bass) und vom liebestoll­en Orlando (Mathias Vidal).

Wie in einem Comic wird das dramaturgi­sch haltlos wabernde Geschehen als Haydn-Spaß entfaltet. Orlando zerdeppert in seiner Wut die Popcorn-Maschine. Tänzer mit Masken toter Riesenvöge­l mischen sich choreograf­isch brillant (Magdalena Padrosa) in das Chaos. Über all das hat der oft unterschät­zte Musikdrama­tiker Haydn ein Füllhorn schönster Melodien ausgegosse­n. Bolton lässt farbig und vital musizieren, modelliert jede Phrase und spornt die Mitwirkend­en zu Höchstleis­tungen an.

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FOTO: WILFRIED HÖSL Die Münchner „Orlando“-Inszenieru­ng spielt in einem magischen Bereich zwischen realistisc­hem Alltag und Fantasie.

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