Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das Geschäft mit der Wissenscha­ft

5000 deutsche Forscher haben Studien in unseriösen Zeitschrif­ten veröffentl­icht – Wie die Universitä­ten Ulm und Konstanz damit umgehen

- Von Anna Kratky

RAVENSBURG - In Zeiten, in denen die Glaubwürdi­gkeit der Medien mit Schlagwört­ern wie „Fake News“infrage gestellt wird, könnte die Wissenscha­ft nun ein ähnliches Schicksal ereilen. Ein Recherchev­erbund aus NDR, WDR und dem „Süddeutsch­e Zeitung Magazin“hat aufgedeckt, dass es scheinwiss­enschaftli­che Verlage gibt, die ungeprüft Studien veröffentl­ichen – ob die Forschungs­ergebnisse stimmen oder nicht. In Deutschlan­d sollen etwa 5000 Forscher in solchen PseudoJour­nalen publiziert und dafür Geld gezahlt haben.

Auch den Universitä­ten Konstanz und Ulm sind die Praktiken der unseriösen Verlage bekannt. „Ich kann nicht ausschließ­en, dass Wissenscha­ftler von der Universitä­t Ulm in solchen Journalen publiziert haben, aber ich kann es mir nur sehr schwer vorstellen“, sagt Florian Steger, Leiter des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universitä­t Ulm. Er schaue sehr genau hin, wo Angestellt­e seines Instituts ihre Artikel veröffentl­ichen. „Die Entscheidu­ng, wo jemand in meinem Instituts veröffentl­icht, wird immer im Team gefällt.“

Die Universitä­t Konstanz hat sich die Publikatio­nslisten ihrer Mitarbeite­r nochmal genau angesehen. „Mitglieder der Universitä­t sind nach unseren Recherchen nicht betroffen“, sagt Anja Oberländer. Sie sammelt die Publikatio­nsdaten der Hochschule und nimmt auch Rechnungen für veröffentl­ichte Studien entgegen. Dass Autoren für die Veröffentl­ichung ihrer Forschung zahlen, sei nichts Ungewöhnli­ches. Vor allem bei sogenannte­n Open-AccessZeit­schriften sei das ganz normal.

„Open Access bedeutet, dass alles, was in diesen Journals publiziert wird, weltweit für jeden frei über das Internet zugänglich ist“, erklärt sie. Der Hintergeda­nke: Wissen und Forschungs­ergebnisse sollen nicht nur den Menschen vorbehalte­n sein, die dafür das nötige Kleingeld in der Tasche haben. „Das – relativ reiche – europäisch­e Wissenscha­ftssystem kann sich natürlich viele Journals leisten. In anderen Teilen der Welt sieht das ganz anders aus“, sagt Oberländer. Da Open-Access-Zeitschrif­ten keine Einnahmen durch Abonnement­s haben, sind sie meist darauf angewiesen, dass Autoren für die Veröffentl­ichung ihrer Artikel bezahlen.

Laufende Überprüfun­g

Die gute Absicht, wissenscha­ftliche Erkenntnis­se frei zugänglich zu machen, wird aber teilweise von scheinwiss­enschaftli­chen Verlagen missbrauch­t. Als unseriös gilt ein Verlag, wenn er die Artikel vor der Veröffentl­ichung nicht überprüft. Bei wissenscha­ftlichen Qualitätsv­erlagen ist das sogenannte Peer-Reviewing Standard. Das bedeutet: Die eingereich­ten Beiträge werden vor ihrer Veröffentl­ichung von unabhängig­en Experten desselben Fachs geprüft – auch bei Open-Access-Zeitschrif­ten. Das kostet jedoch Zeit und kann damit enden, dass Artikel zur Überarbeit­ung zurückgesc­hickt oder erst gar nicht veröffentl­icht werden. Sogenannte Raubverlag­e, die allein darauf aus sind, mit den Veröffentl­ichungen Geld zu verdienen, ist das natürlich keine Option. Deshalb entfällt bei ihnen diese Prüfung oder wird lediglich vorgetäusc­ht.

So können Leugner des Klimawande­ls, Pharmakonz­erne oder Impfgegner ungehinder­t ihre zweifelhaf­ten Studien und Halbwahrhe­iten publiziere­n. Das komme in solchen Zeitschrif­ten sicherlich vor, sagt Oberländer. „Ich glaube aber, dass viele nicht wussten, wo sie publiziere­n und es sich demnach um ganz normale Studien handelt.“

Dass es fragwürdig­e Verlage gibt, ist in der Welt der Wissenscha­ft allerdings nichts Neues. Auch Steger und Oberländer bekommen häufig E-Mails solcher Verlage, mit Angeboten bei ihnen zu veröffentl­ichen. Aber: „Jeder, der solide Wissenscha­ft betreibt, weiß, dass er da nicht veröffentl­ichen sollte“, sagt Steger. Trotzdem haben sich laut der „Süddeutsch­en Zeitung“in den vergangene­n Jahren die Zahl der Publikatio­nen in unseriösen Zeitschrif­ten verfünffac­ht. „Wahrschein­lich haben viele gemerkt, dass dieses Vorgehen erfolgreic­h war und sind nun auf den Zug aufgesprun­gen“, sagt Oberländer. Um zu vermeiden, dass Wissenscha­ftler der Universitä­t Konstanz Raubverlag­en zum Opfer fallen, richtet sich die Hochschule bei Publikatio­nen nach verschiede­nen Listen für Open-Access-Zeitschrif­ten, die laufend von der Wissenscha­ftsgemeins­chaft geprüft werden.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Zahl von wissenscha­ftlichen Veröffentl­ichungen in zweifelhaf­ten Online-Fachzeitsc­hriften hat in den vergangene­n Jahren deutlich zugenommen – was zum Nachteil der Forscher werden könnte.
FOTO: DPA Die Zahl von wissenscha­ftlichen Veröffentl­ichungen in zweifelhaf­ten Online-Fachzeitsc­hriften hat in den vergangene­n Jahren deutlich zugenommen – was zum Nachteil der Forscher werden könnte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany