Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Bauern fordern eine Milliarde Euro Soforthilfe
Verbandschef Rukwied plädiert vor dem Dürre-Gipfel für staatliche Zahlungen – Hauk schlägt Versicherung vor
BERLIN/STUTTGART - Die Hitze hält an, heute könnte nach Prognosen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) mit Temperaturen von bis zu 39 Grad der heißeste Tag des Jahres werden. Der gesamte Juli 2018 ist mit einer Durchschnittstemperatur von 20,2 Grad laut DWD nach 2006, 1994, 1983 und 2010 der fünftwärmste seit 1881, dem Beginn der regelmäßigen Temperaturmessungen. Statt durchschnittlicher 212 Stunden schien die Sonne diesmal 305 Stunden. Das größte Problem jedoch ist die Dürre (siehe Grafik rechts): Mit rund 40 Litern pro Quadratmeter regnete es im Juli im Bundesdurchschnitt nur etwa die Hälfte der normalen Menge.
Die deutschen Bauern – vor allem im Norden und Osten, aber teilweise auch im Süden – rechnen mit einer katastrophalen Ernte. Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), sieht die Existenz vieler Landwirte gefährdet und fordert von Bund und Ländern eine finanzielle Soforthilfe von einer Milliarde Euro. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) will dagegen die Erntebilanz abwarten und erst Ende August über eine mögliche Unterstützung entscheiden.
Heute werden Experten der Landwirtschaftsministerien von Bund und Ländern in Berlin über notwendige Konsequenzen beraten und eine erste Bestandsaufnahme vornehmen. Am Mittwoch steht das Thema auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts. Mit konkreten Beschlüssen sei jedoch nicht zu rechnen, hieß es.
„Wir erwarten für die landwirtschaftlichen Betriebe in diesem Jahr Schäden in Milliardenhöhe“, sagte Bauernpräsident Rukwied am Montag zur „Schwäbischen Zeitung“. Beim Getreide gehe man davon aus, dass sieben bis acht Millionen Tonnen weniger geerntet werden können als im Durchschnitt. Allein dieser Ausfall würde einen Schaden von rund 1,4 Milliarden Euro bedeuten. Dazu kämen Trockenschäden bei den Herbstkulturen wie Mais, Zuckerrübe oder Kartoffeln. Für manch einen Bauern stelle sich die Frage, wie er seine Tiere im Winter füttern könne, wenn die Futtergrundlage fehle. Die Schäden würden ein Mehrfaches der geforderten Soforthilfe von einer Milliarde Euro betragen.
Im Vergleich mit Nord- und Ostdeutschland, wo mit Ernteeinbußen von 50 bis 70 Prozent gerechnet wird, steht Baden-Württemberg etwas besser da, weil es im Juni noch Niederschläge gab. Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) sagte am Montag: „Wir haben die ganze Bandbreite von einer guten Ernte bis zu fast null.“Im Schnitt rechnet Hauk mit rund 20 Prozent, in Einzelfällen mit bis zu 40 Prozent Ernteeinbußen.
Er kann sich eine konzertierte Hilfsaktion von Bund und Ländern vorstellen, hofft aber, dass neben schnellen Hilfen auch eine mittelfristige Lösung eingeführt wird. Statt nach jeder Katastrophe neue Hilfen zu prüfen, schlägt er eine sogenannte Mehrgefahrenversicherung mit staatlichem Anteil vor. Sie existiert in 16 von 28 EU-Ländern, etwa in Österreich. Auch kann er sich eine steuerliche Risikorücklage vorstellen, bei der man Gewinne der Vergangenheit nicht versteuert, sondern zurückstellt. Das war bereits ein Unionsvorschlag in den Koalitionsverhandlungen, den die SPD aber ablehnte.
Deutschland stöhnt unter der Hitze und sehnt sich nach Abkühlung, aber die Belastung durch die hohen Temperaturen ist durchaus ungleich verteilt – nicht nur geografisch, auch beruflich. Es gibt Jobs, die nur für Leute geeignet sind, die hart im Nehmen sind. Die „Schwäbische Zeitung“hat einen Bauarbeiter, einen Hähnchenbrater, einen Müllwerker und eine Kräuterfachfrau besucht.
Das brandheiße Asphaltiererballett
Wie verbranntes Karamell – durchsetzt von Steinen – ergießt sich die schwarze Asphaltmasse vom Lkw in die Schubkarre. Zäh steigt schwerer Dampf auf. Bei Temperaturen jenseits der 30 Grad fühlt sich das Luftholen an, als atme die Lunge heiße Steine. Doch Hitze ist ein relativer Begriff: Während ein Pinguin bei sechs Grad langsam an die Obergrenze seiner Wohlfühltemperatur stößt, wird es manchen Menschen erst jenseits der 30-Grad-Marke so richtig warm um Leib und Seele. Aber Armin Huber und seine Kollegen von der Straßenbaufirma Strabag laufen einigermaßen außer Konkurrenz. Denn ihren Job mit einem normalen Maß – sprich einem einfachen Thermometer – zu messen, ist fast schon abenteuerlich. Gäbe es einen Beruf, der dem Bild vom Öl-ins-Feuer-Gießen entspräche, die Tätigkeit der Asphaltierertruppe, die derzeit in einem Vogter Wohngebiet (Landkreis Ravensburg) Gehsteige und Wege neu versiegelt, käme ihm ganz schön nahe.
„Sechs Liter“, sagt Huber über seine Trinkration bei solchen Wetterbedingungen, wie sie derzeit herrschen. Der 48-Jährige kneift die Augen gegen das grelle Sonnenlicht zusammen. Hinter seinem Ohr löst sich ein Schweißtropfen und rinnt ihm die Backe entlang, um dann auf die Schulter zu tropfen. Essen mag der Mann mit der bärigen Statur tagsüber gar nichts. Er geht ohne Frühstück auf die Baustelle, um dort bis zu zehn Stunden mit der feurigen Straßenbelagsmasse zu hantieren, die da zähflüssig vom Lkw rutscht. Es riecht nach heißem Öl, der fast glühende Asphalt erinnert an Bibelstellen, die vor den schwefeligen Gräuel der Hölle warnen. 140 Grad ist das Zeug heiß. Und während von oben eine unnachgiebige Sonne auf die Mannschaft der Straßenbauer herabsengt, dampft von unten der frisch plattgewalzte Belag. In seiner Nähe steigt der Dunst unbarmherzig auf, sodass die Temperatur in Kniehöhe mehr als 70 Grad erreichen kann.
„Wir stellen natürlich Getränke und Sonnencreme zur Verfügung“, sagt Benjamin Butscher, der Bauleiter von Strabag. Denn reichliches Trinken sei unerlässlich. Und was ist mit Hitzefrei? Gibt es eine Temperatur, ab der Schluss ist mit den Belagsarbeiten? Wo Mensch und Maschine nicht mehr können? „A wa“, sagt da Armin Huber und lacht. So eine Frage könne nur von jemandem kommen, der offenbar für gewöhnlich im klimatisierten Büro sitze. „Ich will es gar nicht anders haben.“Denn so hart der Sommer manchmal sei – von Mitte Dezember bis März sei dann Winterpause, in der er und seine Kollegen froh seien, dass den Sommer über genug Stunden zusammenkommen. Im Hintergrund vollzieht sich in immer gleichen Schritten dieses merkwürdige Straßenbauerballett: Die beladene Schubkarre wird abgekippt, ein Kollege glättet mit dem Asphaltrechen, ein weiterer kommt mit seinem Rüttelgerät und plättet die schwarze Pracht.
Und im Winter? „Motorradfahren. Meistens in Thailand“, ruft Armin Huber, der jetzt fast brüllen muss, damit er die laute Hydraulik des Lkw neben ihm übertönt. So richtig kalt ist es im Jahreskalender von Huber also nie. Erich Nyffenegger
Wer im Glashaus schwitzt
Hildegard Danner sitzt auf einer Holzbank im Schatten einer großen Esche und stutzt die Blätter von schwarzen Königskerzen. Nach und nach nimmt sie die kleinen Blumentöpfe aus einer Palette und „ratsch“, schneidet sie die Blätter des grünen Gewächses ab. Der Wind weht leicht durch die Baumkrone – das Thermometer zeigt 31 Grad Celsius an. Eigentlich kein schlechter Arbeitsplatz. „Bei so einer Hitze wäre es unverantwortlich, die Leute im Gewächshaus arbeiten zu lassen“, sagt Danner, die in der Gärtnerei der Stiftung Liebenau für den Kräuteranbau zuständig ist. Wenn die Sonne am höchsten steht, klettert das Thermometer in den Glasbauten auf bis zu 44 Grad. Nachmittags würden ihre Mitarbeiter und sie deshalb weniger anstrengende Aufgaben erledigen und diese nach draußen verlegen. An diesem Tag zupfen viele von ihnen Bohnen. Sie wurden am Morgen geerntet und müssen nun von ihren Stängeln befreit werden. Sechs Mitarbeiter stehen dazu um einen großen Tisch auf dem die langen, grünen Ranken liegen und reißen die Schoten ab – natürlich unter einem Vordach im Schatten.
„Ich halte die Leute immer dazu an, viel zu trinken oder sich kaltes Wasser über Arme und Nacken laufen zu lassen“, sagt die Kräuterfachfrau. Wasser brauchen aber auch die Pflanzen in den Gewächshäusern. „Gießen ohne Ende“, ist bei so einem Wetter Danners Motto. Um der Hitze zu entgehen, muss ihr Team deshalb morgens zeitig anfangen. Viele stehen schon um 6 Uhr auf der Matte, ernten das Gemüse und wässern die Pflanzen. In einigen Gewächshäusern gibt es aber auch automatische Gießanlagen.
Einer, der es an diesem Tag weniger gut erwischt hat, ist Stefan Duelli. Der Facharbeiter für Gemüseanbau steht zwischen hohen Tomatenpflanzen im Gewächshaus und überprüft die Bewässerungsanlage. Nur wenige Minuten verbringt er in dem Glashaus, doch der Schweiß rinnt ihm bereits über Stirn und Schläfen. Von den Stauden hängen dicke, rote Tomaten. Sie jetzt zu ernten, wäre keine gute Idee. „Wenn man die Tomaten in dieser Hitze erntet, dann gehen sie kaputt.“Schneidet Duelli sie bei diesen Temperaturen vom Strauch, werden sie matschig. Denn selbst gekühlt speichern die Früchte die Hitze für mehrere Stunden.
Ab 12 Uhr ist die Arbeit im Gewächshaus meist vorbei. Zumindest bis um 18 Uhr, wenn es wieder ein wenig kühler wird. In der Gärtnerei der Stiftung Liebenau richten die meisten ihre Arbeitszeit nach der Temperatur. Wenn es kühl ist, dann komme Duelli auch mal an einem Samstag zur Arbeit. An den See liegen oder sich auf den Balkon setzen – darauf hat der Facharbeiter für Gemüseanbau in seiner freien Zeit keine Lust mehr: „Ich habe bei der Arbeit genug Sonne, in meiner Freizeit versuche ich ihr dann zu entgehen.“Anna Kratky
Wo die Hitze in die Nase steigt
Über den Müllbergen flimmert die Luft, die Metallplatten im großen Container blitzen im Sonnenlicht. Vom Haushaltsabfall nebenan steigt ein gewöhnungsbedürftiger Geruch auf, angetrieben von der erbarmungslosen Hitze des Tages. Mitten zwischen dem Abfall der Ravensburger steht Guido Brugger, in der Hand eine Halbliterflasche Wasser. Sein Arbeitsplatz ist die Annahmestelle des Wertstoffhofs der Firma Bausch. „Acht oder neun von denen gehen am Tag drauf“, sagt er und hält die angebrochene Wasserflasche in die Höhe. Kein Wunder, arbeitet er doch den ganzen Nachmittag über in der prallen Sonne. Brugger sorgt dafür, dass alles im richtigen Container landet, wiegt den Müll, der bezahlt werden muss. „Das Wichtigste ist eine gute Kopfbedeckung“, sagt er, den Strohhut tief in die Stirn gezogen. „Das Aussehen ist dabei vollkommen egal.“Schatten wäre eine Wohltat, den gibt es aber nur an wenigen Stellen, wie etwa im kleinen Annahmehäuschen. Das ist von der Sonne aber dermaßen aufgeheizt, dass das Thermometer drinnen 40 Grad anzeigt. Keine wirkliche Alternative. An einen Sommer wie diesen kann sich Guido Brugger nicht erinnern. „So lang und so extrem war es noch nie“, sagt er, während ihm Schweiß in den Nacken rinnt. Eine spezielle Situation, die spezielle Maßnahmen erfordert: „An Tagen wie heute ist es kein Problem, wenn wir mal eine zusätzliche Pause machen“, sagt er. Zusätzlich werde an den besonders heißen Stellen häufiger durchgetauscht, sodass jeder mal im Schatten arbeiten könne. Die Gesundheit gehe vor. Leichtere Warnwesten haben die Mitarbeiter deshalb bekommen, dazu Schildmützen gegen die Sonne. Gegen den Geruch, der sich an heißen Tagen besonders schnell ausbreitet, hilft nur das ständige Leeren der Container. Und überhaupt: An anderen Stellen des Wertstoffhofs leidet die Nase mehr, dazu stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein. „Ich rieche das inzwischen gar nicht mehr“, erzählt Brugger.
Und die Arbeit hat auch Vorteile: „Wir müssen nicht zum Baden gehen, um braun zu werden“, sagt er lachend. Sonnencreme ist deshalb am Arbeitsplatz Pflicht. Während der besonders heißen Sonnenstunden wird nur das Pflichtprogramm absolviert, die anstrengendsten Tätigkeiten werden am Morgen erledigt. Am Nachmittag beschränkt sich die körperliche Aktivität darauf, den Müll der Kunden in die Container zu werfen. „Insgesamt ist es schon auszuhalten“, sagt Brugger. Zumal manche Kunden das Leid der Arbeiter am Wertstoffhof kennen: Sie bringen neben ihrem Müll auch Eis oder gekühlte Getränke mit. Stefan Fuchs
Der mit dem Hahn tanzt
Manchmal weiß Manfred Busanni selber nicht mehr, wer hier eigentlich das Grillhähnchen ist: Er selbst – oder doch die Vögel auf den Spießen, die da 50 Zentimeter hinter seinem Rücken vor sich hin rotieren. Unmittelbar vor der heißen Grillwand hat sich die Luft auf mehr als 60 Grad erhitzt. Und auch der Sommer draußen hat seine Öfen auf volle Pulle hochgefahren. Wenn der 65-jährige Busanni aus dem Wagen heraussteigt, dann fühlen sich die 30 Grad an der Hauptstraße von Meckenbeuren (Bodenseekreis) trotzdem wie kühler Windhauch an. „Nur stehen sollte die Luft nicht, an den Rest gewöhnt man sich“, sagt der Hähnchenbrater und wischt sich mit Papiertüchern die nicht versiegen wollenden Schweißströme von der Stirn. Das weiße T-Shirt klebt ihm am Leib; bis gegen 19 Uhr Feierabend ist, wird er drei davon mit seinem Schweiß durchtränkt haben. In der Luft hängt der schwere Geruch von Hähnchen, Schweinshaxen und Rippchen. Busanni stellt sein digitales Thermometer an den vorderen Rand der Verkaufstheke. Es dauert nicht lange, dann werden dort 44,1 Grad angezeigt. „Für das Geschäft ist der Winter besser“, sagt der Grillmeister, ohne dabei mürrisch zu klingen. Die Leute hätten bei so einem Wetter nicht so richtig Appetit auf Heißes vom Spieß. Er selbst hält sich an Salat, während er in seinem Wagen arbeitet.
Gegen elf Uhr kommen die ersten Kunden. Eine Frau sagt: „Da möchte ich nicht tauschen.“Sie ist froh, dass ihr jemand die heiße Arbeit mit den Hähnchen abnimmt. „Sonst koche ich immer selber.“Aber die Mühe mit dem Geflügel, die tue sie sich lieber nicht an. „Warum auch, wo die Hähnchen doch so gut sind“, sagt die Frau und nimmt gleich zwei davon. Busanni bedankt sich für das Kompliment, und die Kundin macht sich davon mit der heißen Ware. „Der Kontakt mit den Leuten, das macht mir Spaß“, sagt der Hähnchenmann. Das sei ihm bei seinen früheren Berufen abgegangen, als er zuerst Bauschlosser, später Dachdecker und Drucker gewesen sei. Der Wagen sei zwar heiß, „aber hier bin ich mein eigener Chef.“Niemand rede ihm rein. Dann wischt Busanni wieder Schweiß von der Stirn, aber es wird weniger. „Das ist immer so: Irgendwann hat sich der Körper darauf eingestellt; man schwitzt weniger.“
Am liebsten ist Busanni eine Außentemperatur von etwa 25 Grad. Das habe sich über die Jahre hinweg für ihn persönlich am besten bewährt. Der Grillmeister ist seit 20 Jahren Kapitän auf dem Hähnchenwagen. Nächstes Jahr geht er in Rente. Und dann? „Will ich mit dem Wohnwagen Europa erkunden.“Im Winter in den Süden, im Sommer daheim in Biberach. Wie ein Zugvogel. Ein Kunde will zu seinem Hähnchen Pommes Frites haben. Manfred Busanni wirft sie mit stoischer Gelassenheit vor sich in die Fritteuse, während unmittelbar hinter ihm die Schweinshaxen rotieren. Bald wird es noch heißer werden. „Aber das macht nichts. Ob es draußen 31 oder 35 Grad hat – das merken Sie hier drinnen eh nicht.“Erich Nyffenegger