Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Kritik am Familiennachzug
FDP-Chef Lindner nennt Neuregelung „unvernünftig“
BERLIN (ps/epd) - Am Mittwoch tritt die Neuregelung des Familiennachzugs in Kraft: Ab 1. August dürfen Flüchtlinge wieder Angehörige zu sich nach Deutschland holen. Die Große Koalition hatte sich darauf verständigt, dass pro Monat 1000 Verwandte von Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus einreisen können. Für diese Gruppe waren die Familienzusammenführungen im Frühjahr 2016 ausgesetzt worden. In den deutschen Auslandsvertretungen liegen laut Auswärtigem Amt 34 000 Terminanfragen von Angehörigen in Deutschland lebender Flüchtlinge vor, die überwiegende Mehrheit von Syrern.
Kritik kam von der FDP. Parteichef Christian Lindner nannte die Regelung am Montag im Sender n-tv „völlig unvernünftig“. Warum sollten Flüchtlinge ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland noch die Familie nachholen können, fragte der Liberale.
BERLIN - Viele Flüchtlinge durften zwei Jahre lang keine Angehörigen nach Deutschland holen. An diesem Mittwoch ändert sich das. Dann wird der Familiennachzug auch für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus nach langem Hin und Her zwischen Union und SPD wieder möglich, wenn auch in engen Grenzen.
Wer darf seine Familie zu sich holen?
In dem neuen Gesetz geht es um die Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten. Denn wer in seiner Heimat politisch verfolgt wurde oder nach der Genfer Konvention als Flüchtling anerkannt ist, darf ohnehin seine Familie nachholen. Und zwar auch dann, wenn er für deren Unterhalt nicht selbst aufkommen kann. „Subsidiären Schutz“erhält, wer zwar nicht verfolgt wird, bei einer Rückkehr ins Herkunftsland aber trotzdem in Gefahr wäre, etwa weil dort Krieg herrscht. Das betrifft vor allem Flüchtlinge aus Syrien. Die Anfragen werden in chronologischer Reihenfolge bearbeitet. Die jetzt Berechtigten können humanitäre Visa für ihre Ehepartner oder Kinder beantragen. Minderjährige Flüchtlinge dürfen auch ihre Eltern nachholen, sofern sie ihren Antrag vor Erreichen der Volljährigkeit bei einer deutschen Botschaft gestellt haben.
Gibt es Einschränkungen?
Die Regel enthält eine Obergrenze. Pro Monat dürfen nur 1000 Personen nach Deutschland kommen. Bis Jahresende sind es 5000, nicht ausgeschöpfte Monatskontingente dürfen jeweils noch auf den Folgemonat übertragen werden. Ab 1. Januar 2019 gilt die strenge Obergrenze – kommen nur 900 Familienangehörige, verfallen die restlichen 100 Plätze. Zudem wird die Zahl angerechnet auf die Obergrenze von 200 000, die die CSU durchgesetzt hatte. Die Unionsparteien hatten hart verhandelt, weil sie einen Ansturm von Nachzügen befürchtet hatten. Kirchen und Menschenrechtler hatten die Regelung als Zeichen von Humanität verteidigt.
Wer entscheidet?
Die Botschaften und Konsulate vergeben Termine. Bei den deutschen Auslandsvertretungen liegen seit 2016 nur 34 000 Terminanfragen für eine Visa-Ausstellung vor, sagte ein Sprecher des Außenministeriums. Zudem könnten viele der Terminwünsche, die seit 2016 bei den Botschaften und Konsulaten vor allem in Jordanien, Libanon, Irak und der Türkei eingereicht wurden, inzwischen erledigt sein. Möglich sei auch, „dass sich Menschen an mehreren Auslandsvertretungen für einen Termin registriert haben“, so der Sprecher. Die SPD zeigte sich von der Zahl der Anfragen nicht überrascht. Dies sei kein „großer Andrang“, sagte Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, der „Schwäbischen Zeitung“. „Dies ist exakt die Zahl, die wir bei den Beratungen zum Gesetzentwurf als realistisch zugrunde gelegt haben. Zum Ende der Legislaturperiode werden wir somit wie vorausgesagt all diese Familien wieder zusammengebracht haben.“
Was sagen die Kritiker?
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae bezeichnete die Regelung zum Familiennachzug als „dilettantisch“. Die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Sevim Dagdelen, sagte, „der Familiennachzug gleicht einer Lotterie zulasten Tausender Kinder und Frauen“. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte, die Verfahren seien völlig intransparent. „Es müssen auch andere Kriterien als der zeitliche Eingang der Anfrage berücksichtigt werden, etwa Krankheiten oder das Alter der Betroffenen“, sagte Rechtsexpertin Bellinda Bartolucci.