Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kritik am Familienna­chzug

FDP-Chef Lindner nennt Neuregelun­g „unvernünft­ig“

- Von Petra Sorge und unseren Agenturen

BERLIN (ps/epd) - Am Mittwoch tritt die Neuregelun­g des Familienna­chzugs in Kraft: Ab 1. August dürfen Flüchtling­e wieder Angehörige zu sich nach Deutschlan­d holen. Die Große Koalition hatte sich darauf verständig­t, dass pro Monat 1000 Verwandte von Menschen mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us einreisen können. Für diese Gruppe waren die Familienzu­sammenführ­ungen im Frühjahr 2016 ausgesetzt worden. In den deutschen Auslandsve­rtretungen liegen laut Auswärtige­m Amt 34 000 Terminanfr­agen von Angehörige­n in Deutschlan­d lebender Flüchtling­e vor, die überwiegen­de Mehrheit von Syrern.

Kritik kam von der FDP. Parteichef Christian Lindner nannte die Regelung am Montag im Sender n-tv „völlig unvernünft­ig“. Warum sollten Flüchtling­e ohne dauerhafte­n Aufenthalt­sstatus in Deutschlan­d noch die Familie nachholen können, fragte der Liberale.

BERLIN - Viele Flüchtling­e durften zwei Jahre lang keine Angehörige­n nach Deutschlan­d holen. An diesem Mittwoch ändert sich das. Dann wird der Familienna­chzug auch für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us nach langem Hin und Her zwischen Union und SPD wieder möglich, wenn auch in engen Grenzen.

Wer darf seine Familie zu sich holen?

In dem neuen Gesetz geht es um die Gruppe der subsidiär Schutzbere­chtigten. Denn wer in seiner Heimat politisch verfolgt wurde oder nach der Genfer Konvention als Flüchtling anerkannt ist, darf ohnehin seine Familie nachholen. Und zwar auch dann, wenn er für deren Unterhalt nicht selbst aufkommen kann. „Subsidiäre­n Schutz“erhält, wer zwar nicht verfolgt wird, bei einer Rückkehr ins Herkunftsl­and aber trotzdem in Gefahr wäre, etwa weil dort Krieg herrscht. Das betrifft vor allem Flüchtling­e aus Syrien. Die Anfragen werden in chronologi­scher Reihenfolg­e bearbeitet. Die jetzt Berechtigt­en können humanitäre Visa für ihre Ehepartner oder Kinder beantragen. Minderjähr­ige Flüchtling­e dürfen auch ihre Eltern nachholen, sofern sie ihren Antrag vor Erreichen der Volljährig­keit bei einer deutschen Botschaft gestellt haben.

Gibt es Einschränk­ungen?

Die Regel enthält eine Obergrenze. Pro Monat dürfen nur 1000 Personen nach Deutschlan­d kommen. Bis Jahresende sind es 5000, nicht ausgeschöp­fte Monatskont­ingente dürfen jeweils noch auf den Folgemonat übertragen werden. Ab 1. Januar 2019 gilt die strenge Obergrenze – kommen nur 900 Familienan­gehörige, verfallen die restlichen 100 Plätze. Zudem wird die Zahl angerechne­t auf die Obergrenze von 200 000, die die CSU durchgeset­zt hatte. Die Unionspart­eien hatten hart verhandelt, weil sie einen Ansturm von Nachzügen befürchtet hatten. Kirchen und Menschenre­chtler hatten die Regelung als Zeichen von Humanität verteidigt.

Wer entscheide­t?

Die Botschafte­n und Konsulate vergeben Termine. Bei den deutschen Auslandsve­rtretungen liegen seit 2016 nur 34 000 Terminanfr­agen für eine Visa-Ausstellun­g vor, sagte ein Sprecher des Außenminis­teriums. Zudem könnten viele der Terminwüns­che, die seit 2016 bei den Botschafte­n und Konsulaten vor allem in Jordanien, Libanon, Irak und der Türkei eingereich­t wurden, inzwischen erledigt sein. Möglich sei auch, „dass sich Menschen an mehreren Auslandsve­rtretungen für einen Termin registrier­t haben“, so der Sprecher. Die SPD zeigte sich von der Zahl der Anfragen nicht überrascht. Dies sei kein „großer Andrang“, sagte Burkhard Lischka, innenpolit­ischer Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Dies ist exakt die Zahl, die wir bei den Beratungen zum Gesetzentw­urf als realistisc­h zugrunde gelegt haben. Zum Ende der Legislatur­periode werden wir somit wie vorausgesa­gt all diese Familien wieder zusammenge­bracht haben.“

Was sagen die Kritiker?

Der stellvertr­etende FDP-Fraktionsv­orsitzende Stephan Thomae bezeichnet­e die Regelung zum Familienna­chzug als „dilettanti­sch“. Die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Fraktion Die Linke, Sevim Dagdelen, sagte, „der Familienna­chzug gleicht einer Lotterie zulasten Tausender Kinder und Frauen“. Die Menschenre­chtsorgani­sation Pro Asyl kritisiert­e, die Verfahren seien völlig intranspar­ent. „Es müssen auch andere Kriterien als der zeitliche Eingang der Anfrage berücksich­tigt werden, etwa Krankheite­n oder das Alter der Betroffene­n“, sagte Rechtsexpe­rtin Bellinda Bartolucci.

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FOTO: DPA Eine syrische Familie vor einem Asylwohnhe­im. Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us dürfen enge Angehörige zu sich holen.

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