Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wortreiche Isolation

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Der Mensch ist ein kommunikat­ives Wesen. Er ist nicht dafür geschaffen, sein Dasein in einer Waldhütte zu fristen und seine Lautäußeru­ngen auf die Imitation von Vogelgezwi­tscher oder das Heulen eines Wolfes zu beschränke­n.

Natürlich gibt es Situatione­n, Lebensumst­ände oder Charakterz­üge, die ausgedehnt­en Small Talk über diese unerträgli­che Hitze, die Schlafprob­leme des Gatten oder den jüngsten Besuch von Tante Erna unmöglich machen. In einer langjährig­en Ehe zum Beispiel versteht man sich auch ohne Worte blind und kriegt ein zweistündi­ges Abendessen beim Italiener ohne überflüssi­ges Geplapper über die Bühne. Auch der schwäbisch­e Bruddler, bekanntlic­h kein Freund großer Worte, versteht sich vorzüglich aufs Schweigen.

Vielen älteren Herrschaft­en geht einfach das technische Know-how ab, das es heutzutage braucht, um ein Gespräch in Schwung zu bringen. Immer öfter nämlich begegnen wir jungen Menschen, die mutterseel­enalleine die Straße entlanggeh­en und sich prächtig unterhalte­n. Dass es sich bei dem irritieren­den Wortschwal­l nicht um ein Selbstgesp­räch handelt, sondern um ein freihändig­es Telefonat mittels dieser kleinen Ohrstöpsel, die jetzt so in Mode sind, erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Auch die Nachbarin hat uns schon ins Bockshorn gejagt, als sie laut redend herbeirade­lte. Wir wollten schon den Feierabend­drink absetzen und zurückgrüß­en, da sahen wir die Stöpsel. Das Gute an der neuen Zeit: Man fällt nicht mehr so auf, wenn man mit sich selbst spricht. Alte, lieb gewonnene Gewohnheit aus Junggesell­entagen. (hü)

untermstri­ch@schwaebisc­he.de

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FOTO: COLOURBOX Knopf im Ohr – aber nicht für Teddybären.

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