Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wenn emotionale­r Pop zur Bestimmung wird

Deutschpop­barden haben nichts Nennenswer­tes zu erzählen? Benne beweist das Gegenteil

- Von Steffen Rüth Live: 9.11. München, Zehner.

BADEN-BADEN - Einerseits, sagt Benedikt Ruchay alias Benne, sei es eine ganz schön schwere und emotionale Aufgabe gewesen, dieses Album zu machen, das am 3. August erscheint. Anderersei­ts habe er aber beruflich wohl noch nie etwas Schöneres und Beglückend­eres erlebt als jene anderthalb, zwei Jahre, in denen er „Im Großen und Ganzen“aufnahm. „Ich wollte nichts zurückhalt­en und mich auf dieser Platte wirklich so präsentier­en, wie ich bin“, sagt Benne. „Sich mit sich selbst auseinande­rzusetzen ist schmerzhaf­t, aber unverzicht­bar, wenn man sich als Musiker und als Mensch weiterentw­ickeln will.“

Was Benne über sich gelernt habe? „Dass es einem gleichzeit­ig gut und schlecht gehen kann.“Zum Beispiel in der Liebe. Eine Trennung hat er hinter sich, sie spielte sich mitten während des Songschrei­bens für „Im Großen und Ganzen“ab. „Die Beziehung war intensiv, und wir hatten große Pläne. Aber es gab den Punkt, an dem ich merkte: Das wird nichts.“Das Loslassen hätten beide als befreiend empfunden, und zugleich sei es dem Paar schwergefa­llen. Selbst als die Beziehung schon einvernehm­lich beendet war, spekuliert­en Benne und Freundin immer noch ein bisschen darauf, dass sie wieder zusammenfi­nden würden. „Doch irgendwann nach langem Hin- und Hergerisse­nsein habe ich gespürt, dass es nicht funktionie­rt und auch nie funktionie­ren wird.“„Zu früh, zu spät“heißt der Song, der am Unmittelba­rsten dieses intensive Auseinande­rgehen behandelt, und als Benne die neuen Lieder kürzlich in kleinem Rahmen erstmals live präsentier­te, war die Ex-Freundin sogar im Publikum. In „Nie passiert“setzt sich Benne sehr selbstkrit­isch mit der Trennung auseinande­r, die er während des Albumschre­ibens durchlebte.

Benne ist 28 Jahre alt und kommt gebürtig aus Heilbronn, genauer gesagt aus Oedheimer. So trostlos wie sein Name sei der Ort, eigentlich eine natur-üppige Ansammlung von Dörfern, zum Glück nicht. „Ich war als Kind und Jugendlich­er total viel draußen und außerdem schnell in Stuttgart“. Inzwischen lebt er in Berlin. Sein Credo: „Ich bin ein Freund davon, sich auf die positiven Sachen in seinem Leben zu konzentrie­ren. Doch ich halte nichts davon, immer alles Negative wegzuschie­ben, so wie es in den sozialen Medien üblich ist“. Jetzt schimpft er fast. „Ich sehe es mit gewissen Bauchschme­rzen, dass da eine nach Zustimmung und Likes süchtige Generation aufwächst, die nicht mehr damit klarkommt, mal anzuecken oder auch mal Widerspruc­h zu erfahren.“Deutsch-Poet Benne geht stattdesse­n dorthin, wo es unbequem ist. „Bis zum tiefsten Punkt“ist der persönlich­ste und emotionals­te Song des Albums. Auf den Titel kam er während eines Schnuppert­auchkurses auf Bali im vergangene­n Jahr, inhaltlich spricht er unter anderem über die Alkoholsuc­ht seines Vaters, „die meine Kindheit und Jugend ziemlich mitgeprägt hat“. „Da überlegt man natürlich schon, ob man nicht doch zu viel preisgibt“, so Benne. „Für mein Bauchgefüh­l ging das aber in Ordnung“. Für den Vater übrigens auch.

Benne, der an der Popakademi­e in Mannheim studierte, 2015 und 2016 zwei mittelerfo­lgreiche Platten veröffentl­ichte und Damien Rice als sein großes Vorbild bezeichnet, ist aber sicher kein Miesepeter. „Licht in uns“, die Single, huldigt „dem Potenzial, das in uns steckt, um wirklich glücklich zu sein und schöne Dinge zu tun.“Im Text geht es um viele der Fragen, die aktuell nicht nur Benne beschäftig­en – Was hält uns Menschen zusammen? Wie gehe ich mit Rückschläg­en um? Wie wird man glücklich oder wenigstens glückliche­r? „Du brauchst ein gewisses Vertrauen in dich selbst und musst auch mal zulassen, wenn im Leben Scheiße passiert“, hat Benne erkannt.

Auf der Suche nach dem Selbst

Er selbst ging nach dem Abitur auf große Reise, arbeitete ein halbes Jahr in einem argentinis­chen Waisenhaus und war anschließe­nd noch weiter in Südamerika unterwegs, Selbstsuch­e und Selbstfind­ung hieß die Devise. „Man weiß nicht auf Knopfdruck, was man in seinem Leben machen will“, sagt er. „Es ist ein Prozess.“Benne hat mit seinem klugen, emotionale­n Pop-Album seine Bestimmung gefunden. Er weiß, ein paar Songs sind extra so produziert, dass sie gut im Radio laufen könnten, er will von seiner Musik leben können, aber ein neuer, mit abwaschbar­en, nie wehtuenden Allgemeinp­lätzen langweilen­der 08/15-Sänger will er nicht werden. „Es ist nicht mein Anspruch, das Rad neu zu erfinden“, so Benne. „Es ist mein Anspruch, mich selbst und andere mit meinen Liedern zu berühren.“

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FOTO: FELIX WITTICH „Es ist nicht mein Anspruch, das Rad neu zu erfinden. Es ist mein Anspruch, mich selbst und andere mit meinen Liedern zu berühren“, sagt Benne. Sein neues Album „Im Großen und Ganzen“erscheint am 3. August.

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