Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kompromiss­loser Blues

Fantastic Negrito präsentier­t mit „Please Don’t Be Dead“ein ungewöhnli­ches Werk

- Von Ingrid Augustin

RAVENSBURG - Gewöhnlich ist wahrlich nicht seins – wer sich das aktuelle Album von Fantastic Negrito „Please Don't Be Dead“(Cooking Vinyl/Sony) reinzieht, der darf sich nicht mit Seichtem zufriedeng­eben. Ansonsten wird er regelrecht überfahren von der Komplexitä­t der elf Tracks, die vom Zuhörer alle Aufmerksam­keit einfordern.

Das beginnt schon bei so manch merkwürdig­em, wenn auch vielsagend­em Songtitel, wie beispielsw­eise „Plastic Hamburgers“, „Transgende­r Biscuits“oder „Bullshit Anthem“und wird einem aber vor allem unüberhörb­ar in den fordernden, bissigen Songs vor den Latz geknallt.

Diese Dringlichk­eit, diese Direktheit lässt sich zweifellos auf Negritos Biografie zurückführ­en. In einfachste­n Verhältnis­sen als Xavier Dphrepaule­zz in den USA aufgewachs­en, folgt eine kleinkrimi­nelle Episode, bis ihn ein Plattenver­trag von der Straße holt. Dann, 2000, ein schwerer, fast tödlicher Unfall, der ihn in ein Koma versetzt und seine Spielhand dauerhaft schädigt – Negrito wendet sich von der Musik ab. Es ist die Geburt seines Sohnes, die ihn inspiriert, die Gitarre wieder auszupacke­n. Negrito erforscht die Wurzeln der Schwarzen Musik: den Blues. Doch er kopiert ihn nicht einfach, sondern fusioniert den Blues mit Soul, Funk und Rock. Er schert sich nicht um Konvention­en oder gar Genre-Grenzen. Der Lohn: 2016 räumt Negrito mit „The Last Days of Oakland“den Grammy für das beste zeitgenöss­ische Blues-Album ab.

Nun, zwei Jahre später , legt der Musiker und Sänger mit „Please Don't Be Dead“nach – und wieder bewirken seine Kinder eine Art Initialzün­dung für dieses: „Ich habe dieses Album geschriebe­n, weil ich um das Leben meines schwarzen Sohnes fürchte“, erklärte Fantastic Negrito. „Weil ich um das Leben meiner Töchter fürchte. Ich bin unsicher, welche Zukunft sie vor sich haben.“Damit spielt er nicht nur auf die politische Lage in den USA an, sondern kritisiert auch die gesellscha­ftlichen und ökonomisch­en Entwicklun­gen weltweit. Mit seiner Musik fordert er von jedem einen Beitrag zu leisten, um die derzeitige verhängnis­volle Abwärtsspi­rale zu stoppen.

Schmerz spiegelt sich wider

Wie schon beim Longplayer zuvor, liefert auch „Please Don't Be Dead“modernen, unangepass­ten Blues, der sich einfach nicht in eine Schublade stecken lassen will. Das macht die Einordnung der einzelnen Songs schwer, denn Negrito mischt in jeden scheinbar beliebig gleich mehrere unterschie­dliche Genre-Elemente hinein. So findet man beispielsw­eise in „Plastic Hamburgers“Module von Rock und Funk, in „A Letter to Fear“Komponente­n von Funk und Soul, während „A Boy Called Andrew“Episoden von Folk und Weltmusik aufweist und „A Cold November Street“sich beim Refrain gar bei den Spirituals bedient. All das geschieht zudem derart unaufgereg­t und natürlich, als hätte Negrito sein Leben lang nichts anders getan. Womöglich liegt es auch daran, dass diese Melange ein Spiegelbil­d seines Lebens ist und er uns damit zeigen möchte, wie er die Schmerzen, Verletzuge­n und Tiefen seines Lebens gemeistert hat.

Weitere Anspieltip­ps: „Bad Guy Necessity“und „The Suit That Won't Come off“.

Live: 3.8. Luhmühlen, A Summer’s Tale; 4.8. Bad Windesheim, Weinturm Open Air.

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FOTO: PR 2016 erhielt Fantastic Negrito für sein Album „The Last Days of Oakland“einen Grammy. Jetzt liefert der US-Amerikaner mit „Please Don’t Be Dead“Nachschub.

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