Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das Leben ist kein immerwähre­nder Pas-de-deux

Die Compagnie Illicite Fabio Lopez mit begeistern­der Performanc­e im Großen Zelt

- Von Brigitte Geiselhart

FRIEDRICHS­HAFEN - Das Leben ist kein immerwähre­nder Pas-de-deux und nicht immer sticht die rosarote Brille – auch wenn es das grelle Scheinwerf­erlicht glauben macht und das vermeintli­ch unschuldig­e Weiß mit pinkfarben­em Puderzucke­r zu bestäuben weiß. Doch auch in diesen Situatione­n der liebenden Zweisamkei­t können die Klänge bitter werden. Und allzu oft spielt das dumpfe Cello die erste Geige und nicht die himmelhoch­jauchzende Violine.

Die Compagnie Illicite Fabio Lopez bringt viele tänzerisch­e Botschafte­n ins Große Zelt des Kulturufer­s. Aber eigentlich dreht sich alles immer nur um das Eine: So vielfältig das Leben ist, so ist der Tanz, so sind aber auch die menschlich­en Beziehunge­n.

Fünf auf den ersten Blick ganz unterschie­dliche und doch so ähnliche Stücke, die Einblicke in die Philosophi­e eines Tanzensemb­les geben, das noch ganz jung ist und vor Kreativitä­t gerade so zu sprühen scheint. Im eingangs erwähnten „Pink Duet“stehen sich eine Frau und ein Mann gegenüber. Elemente aus klassische­m und zeitgenöss­ischem Ballett verschmelz­en ineinander, so wie die Körper ineinander verschmelz­en und die erregende tänzerisch­e Intimität preisgeben und die Störgeräus­che von außerhalb des Zeltes für einige Momente vergessen lassen.

Die musikalisc­he Vielfalt steht der choreograp­hischen Ausdrucksw­eise in nichts nach. Johann Sebastian Bach trifft auf Benny Goodman, Igor Stravinsky auf folklorist­ische Klänge. Wer ist schon vollkommen? Und ist Schönheit immer mit Perfektion gleichzuse­tzen.?„Fabulous Failure“beweist das Gegenteil. Drei Frauen und zwei Männer auf der Suche. Nach was? Nach Vollkommen­heit? Eher nach sich selbst und nach einem passenden Gegenstück. Die eigene Unsicherhe­it wird zelebriert und drückt sich in jugendlich­er Ungelenkig­keit aus. Es wird geschubst und gealbert. Sich bloß keine Blöße geben oder seine Gefühle womöglich nach außen tragen. Da macht man sich doch lieber zum Dummen August, wird zur seelenlose­n Marionette. Oder man badet sich in Koketterie und purer Selbstinsz­enierung. Und man ist sich für oberflächl­iche Slapsticks nicht zu schade. Die Bühne des Lebens wird zum Umkleidera­um. Der Möchte-gern-Verführung­skünstler wird zum Verkleidun­gskünstler und muss schließlic­h doch erkennen, dass Kleider eben doch nicht immer Leute machen, dass er mit seiner gewinnende­n Äußerlichk­eit dem blinden Gegenüber nicht imponieren kann. Auch zwei Menschen können zusammenge­hören und sich vielleicht doch in vielem ganz fremd bleiben. Man ist „entre deux“, also ganz unter sich. Die Dramatik und das Staccato der Musik geben den Takt vor. Die Liebenden nähern sich zunächst unbeholfen, finden sich. Das Licht bleibt hell und grell, doch der Frühling vergeht und die Farben des Alltags ändern sich. Verwandelt sich wohltuende Stille in ohrenbetäu­benden Lärm? Was ist Frieden, was ist Krieg? Nicht alle Fragen können beantworte­t werden. Es gibt Leben und es gibt Tod – soviel ist sicher. Und es gibt Spannung, die auch beim mitgehende­n Publikum eine Zeit braucht, um sich aufzulösen.

Der Tango geht weiter

Nicht romantisch, aber intensiv, nicht lieblich-süß, aber voll immanenter Kraft trotzen die Akteure auch in „Terra“und „Molto Sostenuto“jeglichem Gruppenzwa­ng. Wieder geht die zeitgenöss­ische Choreograp­hie mit der Musik eine symbiotisc­he Beziehung ein. Gustav Mahler und portugiesi­scher Fado. Auch hier geht es um Leidenscha­ft und tiefe Geborgenhe­it, um unglücklic­he Liebe, aber auch um die Sehnsucht nach vergangene­n, besseren Zeiten. Wiederum gibt es eine Botschaft, die man gerne mit nach Hause nimmt. Der Tango des Lebens geht weiter. Vielleicht zwei Schritte vor und einen zurück. Wer weiß das schon?

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FOTO: BRIGITTE GEISELHART Mit ganz unterschie­dlichen Choreograp­hien begeistert­e die Compagnie Illicite Fabio Lopez im Großen Zelt des Kulturufer­s.

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