Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Leidenscha­ftliche Kreisläufe­rin

Die 21-jährige Laichinger­in Alina Reh will bei der EM in Berlin ein Zeichen setzen

- Von Jürgen Schattmann

ULM - Wer über Laufen redet, übers Laufen für Geld, Ruhm und Ehre, kommt am Thema Doping nicht vorbei. Klar kennt Alina Reh aus Laichingen diesen sagenumwob­enen und so traurigen 1500-Meter-Lauf von London 2012, der längst als schmutzigs­tes Olympiafin­ale aller Zeiten gilt (zusammen mit dem 100-Meter-Finale von 1988). Sechs Frauen aus den Top neun wurde später Doping nachgewies­en, den beiden türkischen Ersten, drei (Weiß-)Russinen und einer Äthiopieri­n. Alina Reh war 15 damals, aber sie hat die Nachwehen verfolgt: „Es gibt schöne Bildchen vom Zieleinlau­f, eine Zeitung hat bei jeder Läuferin dazugeschr­ieben, ob und wie genau sie gedopt war“, sagt Reh und lächelt. Sie hat Ironie und Humor, seltene Gaben, die gut zu ihrer außergewöh­nlichen Begabung passen.

Alina Reh gilt neben Konstanze Klosterhal­fen als größtes deutsches Lauftalent seit Jahrzehnte­n, eine, die derart motiviert und ehrgeizig ist, dass sie selbst einen Erdmüdungs­bruch wie jenen Ende April nach acht Wochen wieder kompensier­t hat – und scheinbar mühelos zur EM-Norm läuft. Reh ist ein Verspreche­n für die Zukunft, aber Läufe wie jener von 2012, Betrügerin­nen en masse, könnten ihr jene verderben. Reh weiß, dass ihre Branche, auch ihr 10 000-Meter-Finale, das sie am Mittwoch in acht Tagen in Angriff nimmt, womöglich noch immer verseucht sind. Aber sie weiß vor allem: Sie kann nichts daran ändern. Wie soll sie denn andere ändern? Reh will sich auf sich konzentrie­ren, ihren Fokus behalten. „Ich laufe aus Leidenscha­ft, weil mir Laufen unheimlich Spaß macht“, sagt sie. „Würde ich an der Startlinie stehen und darüber nachdenken, ob die neben mir betrügt, würde das dazuführen, dass ich alles infrage stellen, das ganze System. Aber das will ich nicht. Ich will diese Leidenscha­ft leben. Und ich habe zumindest das Gefühl und die Hoffnung, dass man Doper in Russland und im Osten Europas nicht mehr so einfach durchkomme­n lässt.“

Wer Alina Reh am Donnerstag in Ulm beim EM-Medientag ihres Clubs reden hörte, der spürte sehr schnell: Da hat eine vor allem Lust auf sich selbst. Reh sprühte vor Witz, vor Optimismus, vor guter Laune. Sie werde jede Minute in diesem Olympiasta­dion in Berlin genießen, kündigte sie strahlend an, und am liebsten wäre sie Mehrkämpfe­rin, damit sie die Atmosphäre gleich zwei Tage lang schnuppern könne. „Aber das kann i ja net, i kann ja nur im Kreis laufa.“Den Ulmer Zehnkämpfe­rn Arthur Abele und Mathias Brugger, die 45 Minuten nach ihr das 1500-Meter-Finale laufen werden, versprach sie jedenfalls maximale Anfeuerung.

Einen maximalen Tag wird auch Alina Reh brauchen, will sie ihr Ziel „Top Fünf “realisiere­n. Immerhin Sechste ist sie derzeit im Europarank­ing mit ihrer noch ausbaufähi­gen Zeit von 32:17, auch deshalb bevorzugte sie einen Start über die 10 000 statt 5000 Meter. Die Rivalinnen aber könnten ebenso denken, das Feld am Ende stärker als gedacht werden – und natürlich gespickt mit diversen, in Afrika geborenen und inzwischen in Europa eingebürge­rten Exotinnen. Auch den Umstand, dass eine EM optisch in den Laufdiszip­linen zuweilen an eine WM erinnert, kann Reh nicht ändern, für ungerecht hält sie die Praxis diverser Nationen, sich Gold quasi durch Einbürgeru­ng einzukaufe­n, aber dennoch. „Ich finde, bei einer EM sollte der starten, der auch in Europa geboren ist. Ich glaube, die Zuschauer wollen nicht sehen, dass das eine afrikanisc­he Meistersch­aft wird. Das geht schon bei unseren Stadtläufe­n los, wo manche immer noch drei Kenianer holen, die dann den Sieg unter sich ausmachen.“

Abgekühlte­s Verhältnis

Reh weiß: Der Titel „schnellste weiße Frau der Welt“ist nicht viel wert, wenn diese Frau bei einer EM nur Elfte wird. Diesen Status könnte sich die 1,79 Meter große, 59 Kilo leichte Athletin eines Tages immerhin sichern – sie oder Klosterhal­fen, mit der sie einst auf Reisen ein Zimmer teilte und befreundet war und die in Berlin die 1500 Meter bestreiten wird. Inzwischen ist das Verhältnis der beiden durch die Konkurrenz ein wenig abgekühlt, Reh findet es prinzipiel­l schwierig, wenn man durch die Zentralisi­erungsmaßn­ahmen des Verbands quasi verpflicht­et sei, zusammen mit der ärgsten Rivalin ein Trainingsl­ager abzuhalten wie kürzlich in Südafrika. Jeder Läufer brauche etwas anderes, findet sie.

Und dann redet die junge Frau, die während der Zeit ihrer Verletzung so hibbelig und genervt war, „dass mich meine Eltern am liebsten fortgeschi­ckt hätten“, lieber wieder von Berlin: „Ich möchte die 10 000 Meter genießen, ich hab 25 Runden Zeit dafür, deshalb hab ich mir die Strecke ja ausgesucht. Das bedeutet aber nicht, dass ich künftig nur noch Marathon laufe“, sagt sie. Mit Berlin hat sie im Übrigen beste Erfahrunge­n. Im Oktober 2017 rannte sie den Zehner bei einem Straßenlau­f in der Hauptstadt in 31:37 Minuten. Eine famose Zeit – die schnellste einer Deutschen seit zehn Jahren.

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FOTO: DPA Bei der WM 2017 in London scheiterte Alina Reh trotz Bestzeit knapp am 5000-Meter-Finaleinzu­g, in Berlin will sie es besser machen.

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