Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Auf der Suche nach dem Straßenfußball
Es braucht Mbappés – Leiter der DFB-Mannschaften sieht Deutschland am Scheideweg
DRESDEN (dpa/SID) - Mit mehr Leidenschaft, Identifikation und individueller Klasse soll deutscher Fußball wieder zum Markenzeichen werden. „Made in Germany muss wieder Ausdruck für Weltklasse sein“, forderte der Sportliche Leiter der DFBNationalmannschaften, Joti Chatzialexiou, zum Auftakt des Internationalen Trainer-Kongresses in Dresden. Aber wie, nach dem krachenden Absturz der Nationalmannschaft in Russland? Mit vier Qualitätsmerkmalen, die anderen Teams Erfolg brachten: Einstellung, Variabilität, Individualität, Schnelligkeit.
„Es ist zu hoffen, dass dieses bedauerliche Aus ein bisschen wachrüttelt und die Bereitschaft erhöht, über Veränderungen nachzudenken und Lösungen zu finden“, sagt U21Trainer Stefan Kuntz. Vorbilder gibt es einige: Weltmeister Frankreich mit Roadrunner Kylian Mbappé und weiteren Starspielern, die Trainer Didier Deschamps zu einer Einheit formte, oder auch die überraschend bis ins Finale vorgestoßenen Kroaten. „Als verschworenes Team aufzutreten und sich dabei auch gegen Widerstände durchzusetzen, war eine der Grundlagen für erfolgreiche Mannschaften. So konnten sie in der Gesamtperformance mehr leisten, als nur die Summen der Einzelleistungen möglich gemacht hätten“, sagte Chatzialexiou.
Lange wurde in Deutschland die Mannschaft als Star propagiert. Die immer dichter zusammengerückte Fußball-Welt braucht aber offensichtlich auch Superstars. Und in Deutschland sollen sie wieder mehr gefördert werden, geht es nach Chatzialexiou. Man müsse wieder Spieler mit herausragenden, spielentscheidenden individuellen Fähigkeiten ausbilden, forderte er.
Schon in jungen Jahren müssten die technischen Grundlagen gefestigt werden, das ABC des Nachwuchskickers: Ballannahme, Dribbeln, Schuss- und Passtechnik. Es nütze nichts, nur schnell zu sein, wenn man den Ball verstolpere oder ihn nicht zum Mitspieler bringe, meinte U21-Coach und Ex-Nationalspieler Stefan Kuntz. „Wir merken in unseren U-Mannschaften, dass die Toptalente in einem Jahrgang etwas weniger werden. Das ist immer ein Alarmzeichen.“Beim Confed-Cup-Sieg 2017 sei zwar deutlich geworden, dass Nachwuchs vorhanden ist. „Es geht aber auch um die Lücke danach“, sagte Kuntz: „Was ist bei den 15-, 16-, 17-, 18-Jährigen? Da sehen wir ein Vakuum, das wir verkleinern wollen, indem wir bei den 10-, 12-, 13-Jährigen anfangen.“Kuntz regte unter anderem an, schon bei der Erziehung anzusetzen. „Den Spielern wird heute unwahrscheinlich viel abgenommen, sie regeln die Konflikte nicht mehr selber. Und wenn es bei einem Verein nicht klappt, wird einfach der nächste Verein genommen. Dann kommt irgendwann der Punkt, wo du gegen einen gleichstarken Spieler spielen musst, der diese Durchsetzungsfähigkeit hat“, sagte Kuntz. Stefan Kuntz
Es klingt eigentlich so einfach. Wille gepaart mit Talent, das durch eine umfassende Ausbildung perfektioniert werden soll. Die Trainer im großen Saal des Internationalen Congress Centers in Dresden verfolgten gespannt die Vorträge der DFB-Männer, die bei ihrer WM-Analyse auf das Scheitern der Nationalmannschaft nicht konkret eingingen. Das bleibt der Job von Joachim Löw, über dessen Besuch sich der Bund Deutscher Fußball-Lehrer gefreut hätte. „Es ist schade, dass der Bundestrainer sich seit Jahren nicht auf unserem Symposium sehen lässt“, sagte Frank Engel von der Verbandsgruppe Nordost bei der Einführung – und erhielt dafür Applaus.
Dabei ist der Anspruch generell eindeutig: „Wir wünschen uns Spieler, ob in der Kreisliga, der Bundesliga oder in unseren Nationalmannschaften, die sich mit ihrer Mannschaft identifizieren“, sagte Chatzialexiou, und wer wollte, konnte hier einen Bezug zum zurückgetretenen Mesut Özil ziehen: „Dann nämlich werden sie sich für das Team zerreißen und stolz darauf sein, für dieses spielen zu dürfen.“Man wisse, dass Leidenschaft nicht über Knopfdruck entstehen könne. Man müsse sie vermitteln, lehren und aktiv einfordern.
Man müsse sich im Nachwuchsbereich wieder trauen, das unangeleitete Spiel zuzulassen. „Lasst uns den Straßenfußball in die Vereine holen“, sagte Chatzialexiou, der seit dem 1. Januar den Posten als Sportlicher Leiter der DFB-Nationalmannschaften innehat und den deutschen Fußball nun an einem „Scheideweg“sieht: „Unser System braucht neue Impulse. Der deutsche Fußball braucht gezielte Veränderungen.“
„Wir merken, dass die Toptalente in einem Jahrgang etwas weniger werden. Das ist immer ein Alarmzeichen.“