Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Azubis sind gesucht wie nie
Unternehmen umwerben Schulabgänger mit immer pfiffigeren Ideen
BERLIN - Die Personalchefin eines Berliner Veranstaltungsservice reagiert schon genervt, wenn sie auf das Thema Ausbildung angesprochen wird. „Wir überlegen, ob wir überhaupt noch ausbilden“, sagt sie. Die Lehrlinge der vergangenen drei Jahre seien unzuverlässig, kämen zu spät oder manchmal gar nicht. Vor zehn Jahren hätten sich noch 50 Schulabgänger beworben, jetzt kämen höchsten zehn Bewerbungen. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung sehen. Die aktuellen Azubis sollen ihre Kritik nicht lesen.
Ähnlich klagen viele, vor allem kleinere Firmen. 17 000 Betriebe mit einem Ausbildungsangebot haben in diesem Jahr nicht einmal eine Bewerbung erhalten. Das hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in einer Umfrage ermittelt. Jedes dritte Unternehmen konnte Lehrstellen nicht besetzen. „Ich sehe darin eine gefährliche Entwicklung“, warnt DIHK-Chef Eric Schweitzer. Deutschland gingen die Fachkräfte aus. Gerade Firmen mit wenig attraktiven Arbeitszeiten oder einem schlechten Branchenimage haben es schwer. Dazu zählen etwa die Gastronomie oder das Bäckerhandwerk. Pauschal lässt sich die Frage nach den Ursachen jedoch nicht beantworten. Darin sind sich die Experten einig.
Große Konzerne haben es leichter, auch weil sie die Suche nach geeigneten Kandidaten aufwändig betreiben können. Die Deutsche Bahn geht unkonventionelle Wege bei der Nachwuchssuche. Der Konzern besetzt allein in diesem Jahr 4000 Lehrstellen in 50 Ausbildungsberufen. Manche Schulabgänger wissen gar nicht, welcher Job zu ihnen passt. „Fachleute beraten die Jugendlichen“, sagt Kerstin Wagner, die das Ressort Personalgewinnung bei der Bahn leitet, „ein Drittel der Bewerber findet sich am Ende in anderen Berufsbildern wieder.“
Mit Werbung in den sozialen Netzwerken soll die Zielgruppe direkt angesprochen werden. Auch Flüchtlinge oder noch nicht ausbildungsreife Jugendliche erhalten die Chance, an einen Lehrberuf herangeführt zu werden. Ab diesem Herbst müssen die Schulabgänger nicht einmal mehr ein Anschreiben aufsetzen. „Wir sind permanent dabei, die Rekrutierung weiterzuentwickeln“, erläutert Wagner.
Die Ausbildungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) verdeutlicht den Trend. Im Juni gab es noch 181 000 Bewerber ohne Lehrvertrag, aber 235 000 Angebote. Rechnerisch sollte jeder Jugendliche eine Stelle finden. Doch Angebot und Nachfrage passen häufig nicht zusammen. So steigen durch die Digitalisierung in vielen Berufen die Anforderungen. Viele Jugendliche, die sie erfüllen könnten, bevorzugen aber die schulische Ausbildung hin zum Abitur mit anschließendem Studium. Dazu tragen nach Einschätzung des Präsidenten des Bundesamts für Berufsbildung, Friedrich Hubert Esser, die Lehrpläne der Schulen bei. Es fehle an objektiven Bildern der Lehrberufe, den Aufstiegs- und Karrierechancen. „Das muss besser werden“, fordert Esser.
Auf Augenhöhe mit Akademikern
Studium und duale Ausbildung stehen in einer Konkurrenz zueinander. Hochschulabschlüsse versprechen bessere Verdienstmöglichkeiten als zum Beispiel Handwerksberufe. Da widerspricht der Chef des Zentralverbands des deutschen Handwerks, Dirk Palige. „Das Lebensarbeitseinkommen eines Handwerksmeisters liegt mit dem eines Akademikers auf Augenhöhe“, sagt er. Körperliche Arbeit hat offenkundig mittlerweile ein schlechtes Image. Daran würde Palige gerne gemeinsam mit der Politik arbeiten. Es müsse sich wieder eine positive Grundstimmung gegenüber der Ausbildung geben.
Es gibt mittlerweile viele Initiativen, die das starre Rekrutierungssystem von schriftlicher Bewerbung und Entscheidung nach formalen Kriterien wie Noten aufheben. Da gibt es die „Paten für Arbeit in Essen“. Ehrenamtlich begleiten die Paten Jugendliche beim Übergang vom Schul- ins Berufsleben. Firmen wie Azubiscout aus Freudenberg berät Unternehmen und betreut Bewerber. Die Berliner Gründung Jobufo ermöglicht es Jugendlichen, sich per Video und App direkt möglichen Arbeitgebern vorzustellen. Bewerbungsschreiben sind in Zeiten das Smartphones außer Mode.
Trotz des großen Angebots bleiben Tausende Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Mehr als 23 000 waren es im vergangenen Jahr. Hinzu kamen noch gut 56 000 Bewerber, die berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen oder Praktika als Alternative zur Ausbildung hatten, aber weiter nach einer Ausbildungsstelle suchten. Sie verfügen meist nur über einen niedrigen oder gar keinen Schulabschluss. Zwar sind immer mehr Betriebe bereit, mit Nachhilfe oder spezieller Förderung Bildungsdefizite anzugehen. Doch ein Teil der jungen Leute bleibt zu Beginn des Lehrjahres immer noch in den Startlöchern der Karriere hängen.