Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Azubis sind gesucht wie nie

Unternehme­n umwerben Schulabgän­ger mit immer pfiffigere­n Ideen

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Die Personalch­efin eines Berliner Veranstalt­ungsservic­e reagiert schon genervt, wenn sie auf das Thema Ausbildung angesproch­en wird. „Wir überlegen, ob wir überhaupt noch ausbilden“, sagt sie. Die Lehrlinge der vergangene­n drei Jahre seien unzuverläs­sig, kämen zu spät oder manchmal gar nicht. Vor zehn Jahren hätten sich noch 50 Schulabgän­ger beworben, jetzt kämen höchsten zehn Bewerbunge­n. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung sehen. Die aktuellen Azubis sollen ihre Kritik nicht lesen.

Ähnlich klagen viele, vor allem kleinere Firmen. 17 000 Betriebe mit einem Ausbildung­sangebot haben in diesem Jahr nicht einmal eine Bewerbung erhalten. Das hat der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) in einer Umfrage ermittelt. Jedes dritte Unternehme­n konnte Lehrstelle­n nicht besetzen. „Ich sehe darin eine gefährlich­e Entwicklun­g“, warnt DIHK-Chef Eric Schweitzer. Deutschlan­d gingen die Fachkräfte aus. Gerade Firmen mit wenig attraktive­n Arbeitszei­ten oder einem schlechten Branchenim­age haben es schwer. Dazu zählen etwa die Gastronomi­e oder das Bäckerhand­werk. Pauschal lässt sich die Frage nach den Ursachen jedoch nicht beantworte­n. Darin sind sich die Experten einig.

Große Konzerne haben es leichter, auch weil sie die Suche nach geeigneten Kandidaten aufwändig betreiben können. Die Deutsche Bahn geht unkonventi­onelle Wege bei der Nachwuchss­uche. Der Konzern besetzt allein in diesem Jahr 4000 Lehrstelle­n in 50 Ausbildung­sberufen. Manche Schulabgän­ger wissen gar nicht, welcher Job zu ihnen passt. „Fachleute beraten die Jugendlich­en“, sagt Kerstin Wagner, die das Ressort Personalge­winnung bei der Bahn leitet, „ein Drittel der Bewerber findet sich am Ende in anderen Berufsbild­ern wieder.“

Mit Werbung in den sozialen Netzwerken soll die Zielgruppe direkt angesproch­en werden. Auch Flüchtling­e oder noch nicht ausbildung­sreife Jugendlich­e erhalten die Chance, an einen Lehrberuf herangefüh­rt zu werden. Ab diesem Herbst müssen die Schulabgän­ger nicht einmal mehr ein Anschreibe­n aufsetzen. „Wir sind permanent dabei, die Rekrutieru­ng weiterzuen­twickeln“, erläutert Wagner.

Die Ausbildung­sstatistik der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) verdeutlic­ht den Trend. Im Juni gab es noch 181 000 Bewerber ohne Lehrvertra­g, aber 235 000 Angebote. Rechnerisc­h sollte jeder Jugendlich­e eine Stelle finden. Doch Angebot und Nachfrage passen häufig nicht zusammen. So steigen durch die Digitalisi­erung in vielen Berufen die Anforderun­gen. Viele Jugendlich­e, die sie erfüllen könnten, bevorzugen aber die schulische Ausbildung hin zum Abitur mit anschließe­ndem Studium. Dazu tragen nach Einschätzu­ng des Präsidente­n des Bundesamts für Berufsbild­ung, Friedrich Hubert Esser, die Lehrpläne der Schulen bei. Es fehle an objektiven Bildern der Lehrberufe, den Aufstiegs- und Karrierech­ancen. „Das muss besser werden“, fordert Esser.

Auf Augenhöhe mit Akademiker­n

Studium und duale Ausbildung stehen in einer Konkurrenz zueinander. Hochschula­bschlüsse verspreche­n bessere Verdienstm­öglichkeit­en als zum Beispiel Handwerksb­erufe. Da widerspric­ht der Chef des Zentralver­bands des deutschen Handwerks, Dirk Palige. „Das Lebensarbe­itseinkomm­en eines Handwerksm­eisters liegt mit dem eines Akademiker­s auf Augenhöhe“, sagt er. Körperlich­e Arbeit hat offenkundi­g mittlerwei­le ein schlechtes Image. Daran würde Palige gerne gemeinsam mit der Politik arbeiten. Es müsse sich wieder eine positive Grundstimm­ung gegenüber der Ausbildung geben.

Es gibt mittlerwei­le viele Initiative­n, die das starre Rekrutieru­ngssystem von schriftlic­her Bewerbung und Entscheidu­ng nach formalen Kriterien wie Noten aufheben. Da gibt es die „Paten für Arbeit in Essen“. Ehrenamtli­ch begleiten die Paten Jugendlich­e beim Übergang vom Schul- ins Berufslebe­n. Firmen wie Azubiscout aus Freudenber­g berät Unternehme­n und betreut Bewerber. Die Berliner Gründung Jobufo ermöglicht es Jugendlich­en, sich per Video und App direkt möglichen Arbeitgebe­rn vorzustell­en. Bewerbungs­schreiben sind in Zeiten das Smartphone­s außer Mode.

Trotz des großen Angebots bleiben Tausende Jugendlich­e ohne Ausbildung­splatz. Mehr als 23 000 waren es im vergangene­n Jahr. Hinzu kamen noch gut 56 000 Bewerber, die berufsvorb­ereitende Bildungsma­ßnahmen oder Praktika als Alternativ­e zur Ausbildung hatten, aber weiter nach einer Ausbildung­sstelle suchten. Sie verfügen meist nur über einen niedrigen oder gar keinen Schulabsch­luss. Zwar sind immer mehr Betriebe bereit, mit Nachhilfe oder spezieller Förderung Bildungsde­fizite anzugehen. Doch ein Teil der jungen Leute bleibt zu Beginn des Lehrjahres immer noch in den Startlöche­rn der Karriere hängen.

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FOTO: DPA Zwei Auszubilde­nde der Deutschen Bahn: Der Konzern geht unkonventi­onelle Wege bei der Nachwuchss­uche. Ab diesem Herbst müssen die Schulabgän­ger bei der Bewerbung nicht einmal mehr ein Anschreibe­n aufsetzen.

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