Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Zukunft der Straßenkun­st beginnt jetzt

Erstmals treten beim Kulturufer nur eingeladen­e Straßenkün­stler auf – Kurator verspricht sich viel davon

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN - Klaus Müller schaut auf sein Handy und freut sich: seit einer halben Stunde kein Anruf. Auch keine WhatsApp die panisch fragt, wo er gerade steckt. Die Funkstille kann nur eines bedeuten: Das neue Konzept für die Straßenkun­st beim Kulturufer funktionie­rt.

Bis im vergangene­n Jahr wusste man vorher nie, wer kommen würde. Das Kulturufer war ein offener Familientr­eff der Straßenkün­stler aus aller Welt. 2018 hat Klaus Müller die Straßenkün­stler zum ersten Mal gezielt ausgewählt. Sie sind fest gebucht. Der Vorteil: Als Kurator kann er jetzt planen. Früher musste jeden Morgen ausgelost werden, welcher Künstler an welchem Platz zu welcher Uhrzeit auftreten darf. Nun entscheide­t darüber Klaus Müller, und den Plan dafür hat er für alle zehn Tage schon im Voraus gemacht. Auf der Kulturufer-Homepage ist der Plan komplett einsehbar.

Die Qualität soll steigen

„Meine Arbeit hat sich an den Schreibtis­ch verlagert. Dafür ist mein Job während des Kulturufer­s jetzt entspannte­r“, sagt der Lindauer. Durch das neue Konzept soll die Straßenkun­st spannender und vielseitig­er werden.

Wo Planung das Zufallspri­nzip ersetzt, fühlt sich Müller zu steigender Qualität verpflicht­et. Und es eröffnen sich weitere Möglichkei­ten: „Wir können das Straßenthe­ater beim Kulturufer künftig auch mal unter ein übergreife­ndes Thema stellen“, sagt er.

Klaus Müller platziert die Shows der Künstler an jenen Plätzen, wo sie seiner Meinung nach am besten zur Geltung kommen. „Ich muss außerdem einen Rhythmus in jeden Tag bringen“, sagt er. Dazu gehören durchaus auch bewusste Qualitätsd­ifferenzen: „Die Leute müssen ja auch merken, dass es Unterschie­de gibt.“

Klaus Müller ist aus vielen Gründen zuversicht­lich, dass das Straßenthe­aterprogra­mm immer besser werden wird. Einer davon: „Die Künstler bekommen ein Antrittsge­ld. Damit werden zum ersten Mal seit Langem wieder Gagen gezahlt“; nur dieser Anreiz gibt die Sicherheit, dass ein eingeplant­er Künstler auch erscheint. Allerdings entbindet dieses Antrittsge­ld das Publikum nicht von der freundlich­en Geste, in den Hut zu spenden; denn auf Spenden sind die Künstler weiterhin angewiesen. Zweitens sind die Künstler nun auch ordentlich untergebra­cht. Schon im vergangene­n Jahr lagerten sie auf dem Parkplatz vor der alten Festhalle. In diesem Jahr können sie dort auch den Waschsaal nutzen, der ihnen im vergangene­n Jahr noch verschloss­en blieb. Drittens gilt das Kulturufer bei Straßenkün­stlern als gut organisier­t. Diese guten Bedingunge­n sprechen sich herum. „Derzeit sind etwa 500 Straßenkün­stler in der Rotation, die fürs Kulturufer

„Wir können die Straßenkun­st künftig auch mal unter ein übergreife­ndes Thema stellen.“

infrage kommen“, sagt Klaus Müller.

Mit dem Budget kann er noch keine großen Sprünge machen. „Wir sind gerade so hingekomme­n“, meint Müller. „Aber Künstlergr­uppen über zwei Personen kann ich nicht einladen. Das zerhaut den Gagenspieg­el.“Freilich kennen die Straßenkün­stler auch ihren Marktwert. So mancher, den er gern eingeladen hätte, war einfach zu kostspieli­g. Ein ganz anderes Problem sind die fehlenden Spielmögli­chkeiten. „Die Stadt muss schon darüber nachdenken, ob sie nicht mehr Platz schafft“, meint er.

Klaus Müller über die Vorteile der neuen Konzeption.

Aber Raummangel hin oder her: Für die Kinder, die beim Kulturufer ihre Straßenkun­st zeigen wollen, findet sich schon ein Plätzchen.

Unter den Straßenkün­stlern finden sich auch in diesem Jahr viele altbekannt­e Gesichter. So mancher aber ist nicht mehr dabei. „Es war hart, Freunden zu sagen, dass ich sie nicht einladen kann“, sagt Klaus Müller. Trotzdem sei der Wechsel zum Bewerbungs­system sinnvoll. „Ein offenes Straßenkün­stler-Meeting lutscht sich irgendwann auch aus“, sagt er. Allerdings war diese Offenheit eine unverzicht­bare Vorstufe: „Das hat die Masse an Künstlern erst ans Kulturufer herangefüh­rt. Dadurch wurde es bei den Straßenkün­stlern erst beliebt“, erklärt Müller. Dann klingelt sein Handy. Am anderen Ende will jemand wissen, wo er eigentlich steckt.

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FOTOS: HARALD RUPPERT Was wäre das Kulturufer ohne Straßenkün­stler? In diesem Jahr werden neue Strukturen erprobt.
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Klaus Müller kuratiert das Straßenthe­ater beim Kulturufer.

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