Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mit kühlem Kopf zum Horizont

- Von Harald Ruppert

Hinter dem Horizont geht’s weiter, sang Udo Lindenberg. Er formuliert­e damit eine schlichte Wahrheit. Aber es gibt zweierlei Horizonte: den geographis­chen und den geistigen. Der geographis­che verschiebt sich leicher: Man marschiert ein wenig, schon liegt der Horizont woanders. Der geistige Horizont wird dagegen hingenomme­n. Jeder ist mit seinem zufrieden und hält an ihm fest. Das merkte meine Frau kürzlich beim Bäcker. Stieg da vor der Tür ein Fahrer aus dem Auto, ließ den Motor laufen und stellte sich hinter sie in die Schlange. Keine besonders lange Schlange. Aber weil Bäcker heute ja richtige Gasthöfe mit 20 Sitzplätze­n sind, die sechs Sorten Kaffee und zehn verschiede­ne Sorten belegter Brötchen im Angebot haben, dauerte es eine Weile, bis sie dran war. Währenddes­sen tuckerte draußen in der prallen Sonne der Motor des Mannes hinter ihr. Endlich fragte sie ihn, ob es nicht eine gute Idee wäre, den Motor abzustelle­n. Nein, das sei keine gute Idee, meinte er. Weil im Auto die Klimaanlag­e nicht funktionie­re, wenn der Motor nicht laufe. Interessan­t, sagte meine Frau. Damit es im Auto kalt ist, heizen sie mit dem Motor das Klima weiter auf. Um deshalb dann die Klimaanlag­e noch weiter hochzudreh­en. Auf diesen Einwand gab er nichts, machte nur eine wegwerfend­e Handbewegu­ng. Er wird dann weggefahre­n sein, um den Horizont zu verschiebe­n. Aber nur den geographis­chen.

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