Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Traumtheat­er Valentino verzaubert wie am ersten Tag

Illusionen, Akrobatik und Dressur: Im kleinen Zelt erntet die Zirkusfami­lie Ovationen für die Welt des klassische­n Varietés

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN - Normalerwe­ise handelt es sich um eine Metapher, wenn etwas „auf Messers Schneide“steht. Nicht so im Traumtheat­er Valentino, wo mit Weingläser­n balanciert wird – und zwar auf der Schneide eines Messers. Eine gewaltige Gläser-Pyramide steht auf dem Dolch, den Michelle mit den Zähnen umklammert. Auch noch in den Spagat geht sie damit. Beifall brandet auf und am Ende des bereits zur Tradition gewordenen Auftritts des Traumtheat­ers stehen Ovationen.

Die Zirkusfami­lie Valentino hat ihr Programm über die Jahre immer wieder verändert und erweitert. Nach wie vor nimmt das Schwarze Theater breiten Raum ein, aber die Hälfte des Abends besteht aus Artistik und Tierdressu­ren – Dressuren wohlgemerk­t, die keinen PETA-Aktivisten auf den Plan rufen. Der Umgang mit den Tieren ist so liebevoll wie die ganze Show.

Das Traumtheat­er trägt seinen Namen zurecht, denn es verzaubert noch immer. Das Ehepaar Corinna und Valentino, ihre Töchter Michelle und Maja sowie die Mitarbeite­rin Anita machen etwas, das es kaum noch gibt: klassische­s Varieté.

Im weißen Kleidchen und mit Schirm, wie von Monet gemalt, balanciert Michelle auf leeren Weinflasch­en. Oder sie überredet ihren flauschige­n roten Riesenkate­r Diego zu Kunststück­en, denen er sich verweigern würde, wenn er keine Lust dazu hätte. Denn so ist der Umgang der Valentinos mit ihren Haus- und Manegentie­ren: sie arbeiten mit ihnen, nicht gegen sie. Und nachts darf Diego mit ins Bett.

Ebenso ist Corinnas Verhältnis zu ihren beiden Hunden: Die Dressur geht in Schmuserei über; das ist eine noch schönere Belohnung als die Leckerli, mit denen Corinna sie zu den Kunststück­en lockt. Die wolligen Vierbeiner gehen rückwärts auf den Hinterbein­en, vollführen Tänze miteinande­r und halten ihr Frauchen mehr als einmal – scheinbar – zum Narren. Im Hintergrun­d wächst derweil ein weiterer Star der Manege heran, sofern er auf die Manege denn Lust haben sollte: Er wiegt 1100 Gramm, ist elf Wochen alt und wird am liebsten in Corinnas Umhängetas­che herumgetra­gen.

Maja und Anita bleiben fast die ganze Show über im Verborgene­n. Das ist im Schwarzen Theater, an dem freilich auch alle anderen mitwirken, die Grundlage ihrer Kunst: Sie lebt von der Verschmelz­ung des Körpers mit dem schwarzen Bühnenhint­ergrund. Von unsichtbar­en Händen geführt, verwandelt sich ein T-Shirt an der Leine zum tollpatsch­igen Vogel, tanzt buntes Federvieh Ballett oder singt lauthals einen alten Soul-Schlager – die Muppet Show ist manchmal nur noch ein kleines Stück entfernt. Und dann die bezaubernd­e Szene mit dem Dirigenten: er besteht nur aus einer Kopfmaske, seinen Händen, den Schuhen – und wie er dirigiert, löst sich sein Körper auf. Die Schuhe tanzen auf dem Kopf, er balanciert kopfüber auf nur einem Finger. Die Zuschauer erliegen diesen Bildern, obwohl sie wissen, wie das schwarze Theater funktionie­rt. Ein verblüffen­der Gegensatz, denn die Kunst der Illusion beruht sonst darauf, ihre Mittel geheim zu halten.

Aber das Traumtheat­er und sein Häfler Publikum ist ja ohnehin fast zur Familie verwachsen. Da hat man keine Geheimniss­e voreinande­r. Auf der Basis dieser Vertrauthe­it führt Valentino gelassen durch die Show. Selbst als seine Frau alte Requisiten von ihm findet und ihm die Kunststück­e von damals abverlangt, nimmt er das stoisch hin. Ein altes Zirkuspfer­d verlernt keine Trick; es muss nur manchmal zweimal Anlauf nehmen. Ins Rotieren kommt die Show deshalb nur einmal: Als Corinna zehn Hulo Hoop-Reifen zugleich um alle Teile ihres Körpers kreisen lässt. Man sieht es, aber glaubt es nicht – typisch Traumtheat­er Valentino. Ein Zirkuspfer­d verlernt keine Tricks: Valentino wird von seiner Frau Corinna zu alten Kunststück­en genötigt.

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Ein Eiertanz ist ein Leichtes dagegen: Michelle geht auf leeren Weinflasch­en. Vater Valentino hat damit nur ein Problem: seine Leber.
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