Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Leuchtschriften im Nachthimmel
Johannes Oerding und Glasperlenspiel beim Open-Air in Meersburg
- „Wegen wem seid ihr gekommen?“Eine Frage, die man an diesem Abend am Meersburger Schlossplatz immer wieder hört. Zulässig, absolut. Schließlich handelt es sich um ein Doppelkonzert. Will man diversen, im Netz kursierenden Erfahrungsberichten Glauben schenken, so scheinen die Fronten aber recht eindeutig geklärt zu sein. Teenies stehen auf Glasperlenspiel, etwas reifere Damen jenseits der 30 auf Johannes Oerding. So einfach ist das.
Wirklich? „Glasperlenspiel sind unser Vorbild. Die Sängerin ist so hübsch. Sie ist ganz sie selber und verstellt sich nicht“, sagen Sabrina Schatz und Annika Maier. Die 16- und die 15-Jährige sind aus dem Kreis Rottweil gekommen – und richtig happy. „Wir waren bereits eine halbe Stunde vor Öffnung da, um uns einen Platz in der ersten Reihe zu sichern“, erzählen sie. Begleitet werden sie von ihren beiden Patentanten Katrin Renner und Ilona Lang, die ihnen auch die Eintrittskarten geschenkt haben. Ilona outet sich ebenfalls als Glasperlenspiel-Fan, Katrins Herz schlägt eher für den „rockigen Einschlag“von Johannes Oerding. „Tolle Texte, prima Musik. Er hat für alle Situationen die richtigen Lieder – und er ist ein toller Entertainer“, sind sich auch vier Mittvierzigerinnen mit Blick auf ihren LieblingsSongwriter Johannes Oerding einig.
Mit dem Fahrrad aus UhldingenMühlhofen sind Adam und Helga Rosol gekommen. „Johannes Oerding kennen wir noch nicht richtig“, bekennt das Ehepaar. „Wir sind vor allem auf neue Lieder von Glasperlenspiel gespannt.“Echte Stockacher sind Ingrid und Daniela Schneider – und natürlich Fans von Glasperlenspiel. „Wir kennen die Eltern“, sagen sie und schwärmen von der „weichen und harmonischen Stimme“von Frontfrau Carolin Niemczyk. Eher zufällig haben Lene und Heiner Feldmann vom Konzert erfahren. „Glück gehabt“, sagen die beiden Sauerländer, die ihren Urlaub am See verbringen und sich für die Musik von Johannes Oerding begeistern, die sie „immer schon gerne gehört“haben.
Mittlerweile stehen auf dem Schlossplatz mehr als 2000 Menschen. Ein freundlicher Herr mit Warnweste verteilt fleißig Ohrstöpsel – nicht nur in den vorderen Reihen. „Es gibt sie noch, die große Freiheit“, schreibt Johannes Oerding mit unnachahmlichem Charme seine „Leuchtschrift“in den Abendhimmel. „Wir sind unter uns. Singt, tanzt, knutscht rum, lasst euch einfach gehen“, so sein Rat, den man doch gerne befolgt. „Wenn sich heute Abend jemand frisch verliebt – ich spiel auf eurer Hochzeit, versprochen.“Es wird gewippt und alle Hände gehen nach oben. „Sind irgendwelche Männer freiwillig hier?“Da werden die Hände schon weniger. Dennoch: Der Chor des Publikums wird vielstimmig. Bei „Hundert Leben“und bei „Heimat“gibt’s kein Halten mehr. Und man genießt die „Turbulenzen“, bei denen „die Luft langsam dünn“wird. Das Bad in der Menge lässt sich Oerding nicht entgehen. „Vielen Dank für die Gänsehaut“, sagt er. „Alles wird gut.“
Es wird dunkler. Es wird lauter, greller, glitzernder. Die große Stadt in der Videoeinblendung. Luftschlangen und Konfettikanonen. Reichlich Dampf wird abgelassen. Die Bässe bringen das Zwerchfell zum Schwingen. Ein echtes Heimspiel für Carolin Niemczyk, Daniel Grunenberg und ihre Band. „Wir haben uns so auf euch gefreut“, schreit Carolin Niemczyk ins Mikro und erzählt davon, dass sie früher mit Oma und Opa jedes Wochenende in Meersburg gewesen ist. Also: „Willkommen zurück.“Sofort geht der Groove ab. „Ich bin ich“, alles ist „Echt“– und nicht nur für diesen Augenblick sind alle Zweifel weg. Auch sie sucht den Kontakt und hüpft wie immer leichtfüßig durchs in Wallung geratene Publikum. Und in Windeseile singt der ganze Schlossplatz in generationenübergreifender Seligkeit. Natürlich auch Sabrina und Annika und ihre Patentanten in der ersten Reihe. Keine Frage – ein echt „Geiles Leben“.