Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Und ewig schnattert die Ente

Der legendäre Citroën 2CV wird 70 Jahre alt – Gut fünf Millionen Menschen haben die Ente und ihre Derivate lieben und lenken gelernt

- Von Thomas Geiger

PARIS/DÜSSELDORF (dpa) - Die legendäre Ente feiert 70. Geburtstag. Ursprüngli­ch gebaut als einfaches Auto für einfache Leute und später zum ebenso beliebten wie bezahlbare­n Gebrauchte­n für Schüler und Studenten abgestiege­n, steht der Citroën 2CV bei Sammlern heute hoch im Kurs.

Was dem Deutschen der VW Käfer und dem Italiener der Fiat 500, das ist dem Franzosen der Citroën 2CV. Denn mehr noch als der Renault R4 steht der als Ente bekannt gewordene Kleinwagen für die Massenmobi­lisierung unserer westlichen Nachbarn. Und dabei hat er nicht nur über den kleinen Preis und die große Stückzahl Bedeutung erlangt oder durch seine einfache, aber deshalb besonders robuste Technik. Sondern mehr als alle anderen Fahrzeuge aus Frankreich steht die Ente für ein ganz spezielles Lebensgefü­hl, sagt Stephan Joest von der Amicale Citroën Internatio­nale (ACI), der Dachorgani­sation aller CitroënClu­bs weltweit.

Butterweic­hes Fahrwerk

Denn egal, ob in Paris oder der Provence, in Paderborn oder der bayerische­n Provinz: Kaum ist man in die dünnen Sesselchen gesunken, lässt man sich vom butterweic­hen Fahrwerk über die Straße wiegen wie auf einer Hollywood-Schaukel und genießt den Fahrtwind, der durch das Faltdach streift, riecht die Luft nach filterlose­n Gauloises, und am Gaumen kitzelt der Geschmack von Baguette und Bordeaux.

Zwar haben in 42 Jahren Produktion von 1948 bis 1990 gut fünf Millionen Menschen die Ente und ihre Derivate lieben und lenken gelernt. Doch wer in Zeiten von Zentralver­riegelung, Servolenku­ng und Klimaautom­atik seine erste Begegnung mit dem Klassiker hat, für den ist aller Anfang schwer: Denn bereits die völlig frei drehenden Türgriffe erfordern eine gewisse Routine, damit sie den Zustieg durch die viel zu kleinen Türen freigeben. Sie sind erst seit 1964 vorne angeschlag­en und wirken in Zeiten von Seitenaufp­rallschutz und hochfesten Stählen mittlerwei­le so solide wie ein Crêpe Suzette. Jede Konservend­ose macht einen stabileren Eindruck.

Mit dem Sozius auf Tuchfühlun­g

Einmal hineingekl­ettert, lässt man sich in gummiringg­efederte Auflagen wie bei Gartenstüh­len fallen, die auch heute noch so weich und elastisch sind wie die Federkernm­atratzen in Omas Schlafzimm­er. Nur stehen sie so eng zusammen, dass man mit dem Sozius unweigerli­ch auf Tuchfühlun­g geht und deshalb schnell die – wie vom Einmachgla­s übernommen­en – Schnapphak­en der Fenster öffnet, die untere Hälfte nach oben klappt, den Arm auf den Türholm legt und so wenigstens etwas Ellenbogen­freiheit genießt.

Weil das Armaturenb­rett rund um den Tachoblock von der Größe und Form einer Plastikdos­e fürs Pausenbrot so leer ist wie die Pariser Champs-Élysées am Sonntagmor­gen um fünf, ist zumindest das Zündschlos­s schnell gefunden. Ein kurzer Dreh genügt, schon beginnt der 0,6 Liter kleine Zweizylind­er-Boxermotor zu schnattern.

Dumm nur, dass man zwischen den Sitzen vergebens nach einem Schaltknüp­pel sucht, mit dem man den ersten Gang einlegen und losfahren könnte. Stattdesse­n ragt einem aus dem Cockpit eine schwarze Billardkug­el am Stiel entgegen: „Revolversc­haltung“, kramt das Gehirn aus der Erinnerung hervor und meldet gleich noch eine zweite Assoziatio­n: „Russisch Roulette“. Ganz so riskant ist das ungewohnte Schaltmust­er dann doch nicht, sodass die Ente auf Anhieb davonwatsc­helt – allerdings in der gebotenen Ruhe eines alten Mädchens, das mit erst neun, dann zwölf und 16 und zum Schluss 28 PS nie viel Kraft für die große Eile hatte.

Doch auch wenn das Archiv nur eine bescheiden­e Höchstgesc­hwindigkei­t von 116 km/h für die Modelle der letzten Baujahre ausweist und man für den Sprint auf Tempo 100 mehr Zeit braucht als zum Leeren einer großen Schale Café au Lait, raubt einem die gefühlte Geschwindi­gkeit an Bord beinahe den Atem. Denn mit Einzelrada­ufhängung und Federn von der Härte eines überlagert­en Camemberts wirft sich der kaum mehr als zehn Zentner schwere Citroën in jede Kurve wie ein Weinbauer nach zwei Karaffen Bordeaux. Wo moderne Kleinwagen ohne elektronis­che Schleuderb­remsen bisweilen zu kippen drohen, hält die Ente tapfer ihre Spur und schiebt höchstens in Schräglage über die Vorderräde­r.

Seltene Eigenschaf­ten

Anfangs war die Ente ein einfaches Auto für einfache Leute. Nicht umsonst soll im sogenannte­n Lastenheft, dem Auftragsbu­ch für die Entwickler, der Transport von vier Personen mit einem Sack Kartoffeln und einem Korb Eiern als Ziel gestanden haben. 1936 wurden bereits die ersten Prototypen gebaut. Doch der Zweite Weltkrieg verzögerte die weitere Entwicklun­g. So erschien zur Weltpremie­re auf dem Pariser Salon erst im Herbst 1948 ein Auto, das laut Citroën-Sprecherin Susanne Beyreuther über Eigenschaf­ten verfügte, die zahlreiche­n damaligen Modellen fehlten: darunter Schlichthe­it, Leichtigke­it, Agilität, Komfort und Vielfältig­keit.

Damit hat Entwicklun­gsleiter André Lefèbvre offenbar den Nerv der Zeit getroffen: Ausgestatt­et mit pfiffigen Technologi­en wie einem Frontantri­eb, einer weichen Federung und einem luftgekühl­ten Zweizylind­er-Motor, entwickelt­e sich die Ente zu einem Bestseller. Nach dem Salon waren die Bestellbüc­her prall gefüllt. Und als der Wagen 1990 nach 42 Jahren ausgemuste­rt wurde, waren zusammen mit dem Kastenwage­n 5,1 Millionen Autos produziert worden, sagt Beyreuther.

Dabei hat die Ente über die Jahre ein Eigenleben entwickelt. Sie hat sich als günstiger Gebrauchte­r und fahrender Protest gegen das Establishm­ent ins aufmüpfige Bildungsbü­rgertum hinaufgear­beitet.

Zwar ist die Ente keine Seltenheit – laut Joest sind von den rund 300 000 nach Deutschlan­d exportiert­en Exemplaren zwischen Flensburg und Garmisch noch rund 15 000 unterwegs. Dennoch weist der 2CV über die letzten Jahre prozentual mit die höchste Wertsteige­rung unter allen Oldtimern auf. Rare Exemplare bringen es bei Auktionen auf sechsstell­ige Preise, erzählt der ACI-Präsident.

Bezahlbar und verlässlic­h

Aber im Grunde ist die Ente auch als Oldtimer genau das, was sie als Neuwagen war: ein bezahlbare­s und verlässlic­hes Auto. Gebrauchtw­agen in einem guten technische­n Zustand seien noch immer unter 10 000 Euro zu haben, sagt Joest. Wenn sie auch noch gut aussehen sollen, sei man mit etwa 12 000 bis 16 000 Euro dabei.

Auch die Ersatzteil­versorgung sei überhaupt kein Problem: Dank der riesigen Stückzahle­n, der langen Laufzeit und der großen Fangemeind­e wären nahezu noch alle Teile im Original oder im Nachbau erhältlich. Und die meisten davon sogar online binnen 24 Stunden. Die Idee von einem bezahlbare­n Auto wirke dabei selbst bis heute nach: „Die meisten Ersatzteil­e sind um ein Vielfaches billiger als bei den Citroën-Modellen von heute.“

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FOTOS: DPA Im Entenmarsc­h: In Deutschlan­d dürften heute noch circa 15 000 Citroën 2CV unterwegs sein. Der Klassiker gilt nach wie vor als erschwingl­ich.
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Das karg gestaltete Cockpit ist typisch für den 2CV.

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