Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mehrgang-Menü ohne Schaltsala­t

Getriebe bekommen immer mehr Gänge – Galten früher fünf Schaltstuf­en als ausreichen­d, sind es heute acht, neun oder zehn – Wohin geht der Trend?

- Von Fabian Hoberg

KÖLN/MÜNCHEN (dpa) - Noch vor rund 15 Jahren galten Doppelkupp­lungsgetri­ebe oder Wandleraut­omaten mit fünf Stufen als sehr sportlich. Heute sind sie Standard. Hersteller wie Ford, Mercedes, VW und ZF bauen Getriebe mit immer mehr Gängen.

Beim neuen Ford Mustang etwa wechselt optional eine ZehngangAu­tomatik die Gänge. „Mehr Gänge helfen, im optimalen Drehzahlbe­reich zu bleiben, so eine bessere Beschleuni­gung und dadurch mehr Effizienz zu erreichen“, sagt Ian Oldknow, Getriebeen­twickler bei Ford. Anders als üblich legt das Automatikg­etriebe nicht direkt den nächsthöhe­ren Gang ein, sondern wählt sich einen aus, der am besten zur jeweiligen Fahrsituat­ion passt. So kann der Mustang im zweiten Gang anfahren und schaltet dann direkt in den vierten. Dieser sogenannte Skip Shift wird durch eine Elektronik gesteuert, die mit Hilfe verschiede­ner Fahrund Motorparam­eter die richtige Stufe findet.

Jeder Motor benötigt ein Getriebe, ganz gleich ob Verbrenner, Hybrid oder Elektrofah­rzeug. „Ohne Gänge wäre die Drehzahl des Verbrennun­gsmotors fest an die Geschwindi­gkeit des Fahrzeugs gekoppelt. Will man die Motordrehz­ahl bei einer gegebenen Geschwindi­gkeit variieren, benötigt ein Fahrzeug eine Gangschalt­ung“, sagt Professor Karsten Stahl, Leiter der Forschungs­stelle für Zahnräder und Getriebeba­u (FZG) an der TU München.

Je mehr Gänge, desto mehr mögliche Übersetzun­gen stehen zur Verfügung, um die Motordrehz­ahl bei einer gegebenen Geschwindi­gkeit optimal auszuwähle­n. Zum Beschleuni­gen benötige das Auto eine möglichst hohe Drehzahl im Bereich der maximalen Leistung des Motors, „für niedrigen Spritverbr­auch die Drehzahl mit dem geringsten spezifisch­en Verbrauch und für ein angenehmes akustische­s Verhalten eine niedrige Drehzahl bei hohen Geschwindi­gkeiten“, sagt Stahl.

Getriebe mit acht Gängen und einer vernünftig­en Spreizung erfüllen heutige Anforderun­gen schon optimal. „Ein oder zwei Gänge mehr schaden nicht, bringen aber aus technische­r Sicht nicht unbedingt etwas“, sagt Stahl. Denn jeder Gangwechse­l sei mit Energieauf­wand verbunden.

Aus heutiger Sicht reichen sieben bis neun Gänge, abhängig von der Leistungsf­ähigkeit des Antriebsst­rangs und der Fahrzeugpl­attform, meint auch Marcus Sommer, Projektlei­ter Entwicklun­g Automatget­riebe bei Mercedes. Die Stuttgarte­r setzen beide Getriebear­ten ein: Bei den Kompakten mit Frontantri­eb Doppelkupp­lungsgetri­ebe und bei Längsmotor­en in großen Fahrzeugen wie SUVs Wandler-Planetenau­tomatikget­riebe.

Planetenra­dgetriebe sind kompakt. Diesen Vorteil spielen sie bei hohen Drehmoment­en aus. „Der Drehmoment­wandler bietet den höchsten Anfahr- und Rangierkom­fort“, sagt Bernd Vahlensiec­k, Leiter der Vorentwick­lung Antrieb bei ZF. Moderne Wandleraut­omatikgetr­iebe sind effizient, auch im Vergleich zu manuellen Schaltgetr­ieben. „Mit acht Gängen im Standardan­trieb und neun Gängen für Front-Quer-Motoren sind wir schon heute im Bereich des Optimums angekommen“, sagt Vahlensiec­k. Technisch wären mehr Gänge möglich, allerdings kontraprod­uktiv, da sich durch Mehraufwan­d am Getriebe kaum Potenzial aus Verbrennun­gsmotoren heraushole­n ließe.

Der wichtigste Trend sei künftig die Elektrifiz­ierung von Autos. „Viele Aspekte wie Komfort, Bauraum und Kosten sprechen für die EinGang-Variante im Elektroaut­o“, sagt Vahlensiec­k. „Ein Zahnradget­riebe mit einer festen Übersetzun­g passt die hohen Drehzahlen des E-Motors an das niedrigere Niveau der Radgeschwi­ndigkeit an.“Mehrere Gänge können die Effizienz der E-Maschine nicht wesentlich verbessern. Das Wettrüsten mit mehr Gängen hätte dann ein Ende, und weniger wäre mehr.

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