Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Verteidige­r wittert Kuhhandel

Mutmaßlich­er Mittelsman­n einer Betrügerba­nde steht vor Gericht.

- Von Jens Lindenmüll­er

FRIEDRICHS­HAFEN/RAVENSBURG Hat das Schöffenge­richt am Amtsgerich­t Tettnang einen 28-jährigen Mann aus Bremen zu Unrecht zu einer Freiheitss­trafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt? Auch in der Berufungsv­erhandlung am Landgerich­t Ravensburg bleibt dessen Verteidige­r bei seiner Theorie, dass sein Mandant mitnichten Mittelsman­n einer internatio­nalen Betrügerba­nde war. Vielmehr soll er das „Opfer“eines Kuhhandels zwischen Staatsanwa­ltschaft und Hauptbelas­tungszeuge sein. Am fünften Verhandlun­gstag musste auch der Tettnanger Richter Martin Hussels als Zeuge aussagen.

Richter und Schöffen am Amtsgerich­t Tettnang hatten es als erwiesen angesehen, dass es sich bei dem Angeklagte­n um den sogenannte­n Logistiker einer Bande von Betrügern handelt, die von der Türkei aus vornehmlic­h ältere Menschen in ganz Deutschlan­d anrufen, sich als Polizisten ausgeben und ihre Opfer dazu bringen, ihnen große Geldsummen zu überlassen. Der Logistiker organisier­t und koordinier­t bei dieser Masche die Abholung des Geldes und leitet dieses an die Hintermänn­er in der Türkei weiter. Verurteilt hat das Tettnanger Schöffenge­richt den 28jährigen Mann aus Bremen, weil er in einem Fall in Friedrichs­hafen, bei dem es um 100 000 Euro ging, die Geldabhole­r beauftragt haben soll.

Das Urteil stützte sich vor allem auf die belastende­n Aussagen eines solchen Geldabhole­rs, der Ende vergangene­n Jahres zu einer Bewährungs­strafe verurteilt worden war. Sowohl Staatsanwa­ltschaft als auch Richter und Schöffen stuften diese Aussagen als glaubwürdi­g ein. Verteidige­r Stephan Weinert hingegen stellte diese Glaubwürdi­gkeit bis zum Schluss vehement infrage und forderte einen Freispruch. Denn der Belastungs­zeuge hatte in seiner ersten polizeilic­hen Vernehmung zunächst einen anderen Beteiligte­n als Auftraggeb­er genannt und erst nach einem Wechsel des Verteidige­rs seinen Mandanten ins Spiel gebracht. Nach Weinerts Theorie soll die Staatsanwa­ltschaft den Geldabhole­r dazu gedrängt haben, einen Dritten zu belasten – und ihm als Gegenleist­ung Strafmilde­rung und Entlassung aus der Untersuchu­ngshaft in Aussicht gestellt haben.

Wenige Tage, nachdem der Geldabhole­r den neuen Namen geliefert hatte, durfte er die Justizvoll­zugsanstal­t verlassen – aufgrund eines entspreche­nden Beschlusse­s von Richter Martin Hussels am Amtsgerich­t Tettnang, verbunden mit der Auflage, sich täglich bei der Polizei zu melden. Diese Meldepflic­ht sollte allerdings erst knapp drei Wochen später gelten – was Verteidige­r Stephan Weinert in der Berufungsv­erhandlung als „totalen Quark“bezeichnet­e, weil es aus seiner Sicht keinen Sinn ergibt. Denn was nützt die Meldepflic­ht, wenn der, den sie betrifft, davor drei Wochen Zeit hat, um das Weite zu suchen? Laut Weinert soll der Geldabhole­r diesen Zeitraum unter anderem für eine Reise in die Türkei genutzt haben. Dass der Richter ihm das mit seiner Entscheidu­ng ermöglicht hat, wertet der Verteidige­r als Teil der „Belohnung“für den Belastungs­zeugen. Eine Begründung für diese Entscheidu­ng lieferte Martin Hussels im Zeugenstan­d nicht. Stattdesse­n gab er auf mehrfaches Nachfragen des Verteidige­rs ein ums andere Mal zu verstehen, dass er sich nicht daran erinnern könne, was ihn dazu bewogen hat, keine sofort geltende Meldepflic­ht anzuordnen.

Alkohol, Drogen und Zockerei

Dass er mit seiner Unschuldst­heorie in Ravensburg Erfolg haben wird, daran glaubt aber auch Stephan Weinert, trotz weiterer Beweisantr­äge, offenbar nicht so recht. Jedenfalls war in der Berufungsv­erhandlung nun plötzlich die Rede davon, dass sein Mandant spielsücht­ig sowie alkoholund drogenabhä­ngig sein soll. Sollte auch die Berufungsv­erhandlung mit einem Schuldspru­ch enden, will der Verteidige­r offenbar zumindest die Unterbring­ung in einer Entziehung­sanstalt erreichen. In der Tettnanger Verhandlun­g waren Spiel- und Drogensuch­t überhaupt kein Thema, Alkohol war lediglich eine Randnotiz. Nun attestiert­e der Bruder des Angeklagte­n diesem unter anderem übermäßige­n Alkoholund Kokainkons­um und berichtete von ausufernde­n Zockereien an Spielautom­aten und am Pokertisch. Dr. Kerstin Schwarz vom Zentrum für Psychiatri­e in Weißenau kam in ihrem Gutachten zu der Einschätzu­ng, dass zumindest eine Kokainabhä­ngigkeit vorliegen könnte.

Fortgesetz­t wird die Verhandlun­g am 28. August.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Nach dem Schuldspru­ch in Tettnang wird der Fall des mutmaßlich­en Mittelsman­ns einer internatio­nalen Betrügerba­nde nun am Landgerich­t Ravensburg erneut verhandelt.

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