Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Fehler öffentlich aufklären
Das Urteil gegen die Hauptangeklagten ist gefallen, aber der Staufener Missbrauchsfall ist keineswegs abgeschlossen. Da ist zum einen das Opfer. Der Junge wird sein Leben lang mit den Folgen dessen kämpfen, was Mutter und Stiefvater ihm angetan haben. Der jahrelange Missbrauch durch mehrere Männer und die Eltern erschüttert, das Ausmaß mag singulär sein. Doch Studien und Umfragen in ganz Europa zeigen seit Jahren dasselbe Bild. Missbrauch und Gewalt in Familien sind zu weit verbreitet.
Forscher zitieren erschreckende Zahlen. Fast jeder und jede Zehnte berichtet von sexuellem Missbrauch in der Kindheit, Misshandlungen und Vernachlässigungen kommen noch häufiger vor. Die meisten Täter begehen ihre Verbrechen dort, wo die Kinder sich am sichersten fühlen sollten: in der Familie.
Gerade um möglichst viele Fälle aufzudecken und am besten zu vermeiden, müssen die beteiligten Behörden rasch aus Fehlern lernen. Sie haben einmal mehr eklatante Fehler begangen. Das Problem liegt im System, das zeigen ähnliche Fälle aus ganz Deutschland.
In so sensiblen Bereichen wie dem Schutz eines Kindes vor den eigenen Eltern braucht es Standards. Es braucht einheitliche Regeln und strenge Kontrolle. Alle Beteiligten brauchen Fortbildungen. Die Behörden müssen sich laufend untereinander absprechen. Doch überall dort hapert es: In Baden-Württemberg überprüfte die Rechtsaufsicht seit 2008 mehr als 500 Entscheidungen der Jugendämter. Bemängelt wurde nur eine. Für den Schutz von Kindern etwa vor sexuellem Missbrauch haben Jugendämter bundesweit keine einheitlichen Standards. Während sich jeder Fachanwalt regelmäßig weiterbilden muss, gibt es keine solche Pflicht für Familienrichter.
Baden-Württemberg tut bereits einiges, um die Dinge zu verbessern. Doch den Arbeitsgruppen und Ankündigungen muss rasch vor allem eines folgen: Die interne Aufarbeitung der Fehler muss öffentlich gemacht werden. Und es müssen die richtigen Konsequenzen folgen. Das gebietet der Respekt vor allen Opfern.