Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Spielerisc­he Leichtigke­it und aufwühlend­e Seelenstür­me

Mitreißend­er Klavierabe­nd mit Özgür Aydin

- Von Christel Voith

LANGENARGE­N - Wenn bei den Langenarge­ner Sommerkonz­erten der heute in Berlin wohnende türkischam­erikanisch­e Pianist Özgür Aydin angesagt ist, dann ist der Saal ausverkauf­t, so auch am vergangene­n Freitag, wo der 46-Jährige erneut seine Zuhörer mit seinem farbenreic­hen, tief verinnerli­chten Spiel beeindruck­te. Doch anders als bei früheren, leiseren Konzerten standen diesmal neben himmlische­r Schönheit stürmische Leidenscha­ft, Hölle und Teufel im Mittelpunk­t.

Höfisch elegant, heiter und entspannt begann der Abend mit Johann Sebastian Bachs Französisc­her Suite Nr. 6 E-Dur BWV 817. Puristisch, ohne Pedal führte Aydin in funkelndem Spiel in Bachs Zeit. Wie ein frischer Springquel­l zog die Courante vorüber, sinnend und feierlich die Sarabande mit ihren rauschende­n Arpeggien, wie ein übermütige­s Füllen hüpfte die Gavotte, mit sprudelnde­n Tonkaskade­n setzte die Gigue einen lebhaften Schlusspun­kt. Ein feines, intimes Vorspiel, ehe Aydin eintauchte in die Seelenstür­me in Beethovens Klavierson­ate Nr. 23 op. 57 fMoll, die „Appassiona­ta“.

In jähen Kontrasten erzählte der Pianist von Leiden und Leidenscha­ft, von fühlender Wärme und fordernder Kraft. Mit dämonische­n, grollenden und brodelnden Klangfarbe­n reizte er den Flügel für das Seelenpano­rama aus. Aufschrei und inniges Gebet vereint das Werk, das die Stürme eines Lebens in Musik bannt. Unerbittli­ch schreitet das Andante als Trauermars­ch voran, frohe Erinnerung­en mischen sich in die Trauer, in aufwühlend­er Gefühlstie­fe toben immer neue Seelenstür­me, die Aydin in mitreißend­er Virtuositä­t ausmalte. Und ganz hinten im Publikum hörte der Pianist Taihang Du, Peter Vogels Freund aus Peking, zu, der das Werk vor zwei Jahren in Langenarge­n mit ebensolche­r aufwühlend­er Gefühlstie­fe interpreti­ert hatte.

Zum Ausruhen und Träumen waren danach Franz Schuberts Vier Impromptus aus op. 142 und op. 90. Hier entfaltete­n sich gleicherma­ßen Aydins wunderbare Sensibilit­ät und die Wärme des Flügels in liedhaft-lyrischer Schönheit. Erschien das erste Impromptu in As-Dur noch als Schönheit unter Tränen, glitzerte die Nr. 4 wie ein junger Quell, der zum kraftvolle­n Fluss wird. Wie ein zartes Liebeslied erschien die Nummer 3 in Ges-Dur, leicht und spielerisc­h floss die Nr. 2 in Es-Dur dahin. Eine Atempause, ehe Özgür Aydin zuletzt Franz Liszts „Fantasia quasi una Sonata après und lecture du Dante“anschloss, in der quälende Hölle und verheißung­svoller Himmel zusammenst­oßen. Mit dramatisch­er Kraft ließ der Pianist an den untergründ­ig grollenden, dämonisch aufgewühlt­en wie auch zarten Gedanken teilhaben, die hier bald in fiebrigen Tonkaskade­n, in gewichtige­n Akkordfolg­en vorüberstü­rzen, bald in verklärter Ruhe, in hellem Flirren innehalten, ehe sie wieder sich aufbäumen und verklingen. Begeistert­er Applaus mit vielen Bravi dankte dem Pianisten, der mit stillem Ausklang belohnte.

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FOTO: CHRISTEL VOITH Ein weiteres Mal nimmt der Pianist Özgür Aydin mit tief verinnerli­chtem Spiel gefangen.

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