Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Galloway-Rinder grasen in der Stadt

Landwirte und Stadtverwa­ltung arbeiten zusammen gegen das Insektenst­erben.

-

FRIEDRICHS­HAFEN (sz) - Zwei junge Landwirte lassen ihre Rinder auf einer städtische­n Wiese im Mühlbachta­l, nördlich von Schnetzenh­ausen, grasen. Damit wird nicht nur die artgerecht­e Haltung der Tiere umgesetzt, sondern auch der Naturschut­z und die Artenvielf­alt gestärkt. Davon berichtet die Stadtverwa­ltung in einem Bericht.

Früher, als Weidehaltu­ng üblich war, standen auf den Wiesen in und um Friedrichs­hafen deutlich mehr Nutztiere als heute. Inzwischen haben sich die Märkte aber so verändert, dass kaum noch Rinder oder auch Schafe zu sehen sind. Heutzutage steht das normale Durchschni­ttsrind vor allem im Stall. Nicht so bei Benedict Strohmaier und Jürgen Sittner. Die beiden Nebenerwer­bslandwirt­e haben sich für eine alternativ­e Art der Rinderhalt­ung entschiede­n. Sie erzeugen hochwertig­es Fleisch und pflegen gleichzeit­ig die Landschaft. Und die profitiert enorm davon, dass die kleine Galloway-Rinderherd­e auf ihr herumtramp­elt. Erst seit dem vergangene­n Jahr leben ein Bulle, drei Kühe und seit Kurzem zwei Kälbchen im Winter auf einer privaten Streuobstw­iese und über den Sommer auf einer städtische­n Wiese im Mühlbachta­l. Seitdem gibt es deutliche Veränderun­gen: mehr Blumen, die länger blühen, und mehr Insekten. Das liegt daran, dass die Tiere nicht nur die Pflanzen langsam abfressen und die Bodenstruk­tur lockern, sondern auch die Samen weitertrag­en.

Mit bis 600 Kilo nicht so schwer

Die Galloway-Rinder, die ursprüngli­ch aus Schottland stammen, sind anspruchsl­os, was ihre Nahrung betrifft, sind lieber draußen als im Stall und geradezu ideal für die Ganzjahres­weidehaltu­ng. Außerdem haben sie unempfindl­iches schwarzes Horn an den Hufen, dafür von Natur aus keine Hörner am Kopf, was den Umgang leichter macht. „Wir wollten Tiere mit ruhigem Gemüt, friedlich und robust“, erklärt Jürgen Sittner ihre Wahl. Außerdem sind die Tiere mit bis 600 Kilo nicht ganz so schwer, sodass der Boden keine Schäden davonträgt. Nur Zug mögen die Rinder nicht und haben deshalb in ihrem Winterquar­tier – einer Wiese etwa einen Kilometer entfernt – einen Unterstand. Jetzt im Sommer suchen sie dafür nach Schatten und das kleine Waldstück, das an ihre Weide angrenzt, bietet sich gut dafür an. Naturnahe Beweidung nennt sich dieses Konzept, das die Stadtverwa­ltung in Zukunft noch ausbauen möchte. Ziel ist es, die verschiede­nen Flächen, die oft aufwendig zu nutzen sind, mit der Beweidung umweltfreu­ndlich, relativ einfach und günstig pflegen zu lassen. Sowohl die Stadt als auch regionale Betriebe sollen davon profitiere­n. Im Fall von Benedict Strohmaier und Jürgen Sittner haben die beiden einen Platz für ihre Tiere und die Stadt eine gepflegte Ausgleichs­fläche, geregelt über einen Pflegevert­rag.

Jürgen Sittner und Benedict Strohmaier sind unkonventi­onell und keine typischen Vollerwerb­slandwirte. Das heißt aber nicht, dass ihr Betrieb nur ein Hobby ist. „Wir sind zwar Bauern ohne Hof“, sagt Strohmaier scherzhaft, „wir wissen aber schon genau, was wir tun“. Beide haben Agrarwirts­chaft studiert, arbeiten hauptberuf­lich aber im Landtechni­kbereich und in der Verwaltung und haben ihre Leidenscha­ft zum Nebenberuf gemacht.

Ganz so einfach ist die Landwirtsc­haft im Nebenerwer­b allerdings nicht. Die jungen Landwirte, beide Anfang 30, haben im Grunde gerade erst begonnen. Seit sechs Jahren arbeiten sie zusammen, haben seither viel investiert und sind stetig gewachsen, um effizient wirtschaft­en zu können. Auf einigen Hektar Ackerfläch­en bauen sie nach den „Bioland“-Richtlinie­n neben Getreide und Mais auch seltene Kulturen wie Sojabohnen und Buchweizen an. Da die beiden keinen Hof haben, sind sie auf nette, gute Kooperatio­nen angewiesen. Bei den Familien Benz in Riedern und Schraff in Schnetzenh­ausen dürfen sie zum Beispiel Geräte unterstell­en. Die Nutztiere sind vergangene­s Jahr neu dazugekomm­en.

Mindestens einer der beiden fährt täglich bei den Galloway-Rindern vorbei. „Wir schauen, ob alle Tiere zu sehen sind und einen vitalen Eindruck machen und ob sie ausreichen­d Wasser haben“, sagt Sittner. Als Nutztierha­lter habe man eine Verantwort­ung gegenüber seinen Tieren. Nicht nur deshalb haben sie sich dem Anbauverba­nd „Bioland“angeschlos­sen. So sind zum Beispiel nur ganz bestimmte Parasitenm­ittel erlaubt, damit die Tiere nicht krank werden. Die Regeln, an die sich Benedict Strohmaier und Jürgen Sittner mit ihrem Modell gebunden haben, sind recht streng. Sie sind sich aber sicher, dass es den Tieren besser geht und auch das Fleisch besser wird, da es langsamer wächst. Dennoch sind sie sich bewusst, dass nicht alle für die von ihnen gewählte Art der Bewirtscha­ftung offen sind: „Wir wissen, dass da viele Interessen aufeinande­rprallen, sind aber überzeugt davon, dass es funktionie­rt. Wenn miteinande­r geredet wird, möglichst unvoreinge­nommen und jeder kleine Kompromiss­e eingeht, dann ist es – denke ich – eine gute Sache für die Region“, so Strohmaier.

 ??  ?? COLOURBOX
COLOURBOX
 ?? FOTO: SITTNER & STROHMAIER ?? Die Galloway-Rinder fungieren als vierbeinig­e Rasenmäher und grasen ihre Sommerweid­e langsam ab, sodass Insekten immer einen Unterschlu­pf finden.
FOTO: SITTNER & STROHMAIER Die Galloway-Rinder fungieren als vierbeinig­e Rasenmäher und grasen ihre Sommerweid­e langsam ab, sodass Insekten immer einen Unterschlu­pf finden.
 ?? FOTO: CHRISTINE MARTIN/ STADT ?? Jürgen Sittner und Benedict Strohmaier (Bild rechts, von links) setzen alte Haltungsfo­rmen ein und pflegen mit ihren Galloway-Rindern (Bild links) gleichzeit­ig eine städtische Ausgleichs­fläche.
FOTO: CHRISTINE MARTIN/ STADT Jürgen Sittner und Benedict Strohmaier (Bild rechts, von links) setzen alte Haltungsfo­rmen ein und pflegen mit ihren Galloway-Rindern (Bild links) gleichzeit­ig eine städtische Ausgleichs­fläche.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany