Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Leyen kündigt Afrika-Einsätze an
Beim Truppenbesuch in Stetten und Ulm gibt sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen geläutert
STETTEN AM KALTEN MARKT / ULM (mö) - Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat im Rahmen ihrer Sommerreise die Soldaten im Südwesten auf weitere Einsätze, vor allem in Afrika, eingestimmt. Weiter werde die Bündnisverteidigung an Bedeutung zunehmen. Bei den Verbündeten will von der Leyen sich dafür einsetzen, dass sie mehr Personal in das Ulmer Kommando entsenden, das Nato-, UNund EU-Operationen mit bis zu 60 000 Mann koordinieren kann. Weiter sagte die Ministerin, die am Montag in Stetten am kalten Markt und am Dienstag in Ulm weilte, Millioneninvestitionen zu: 180 Millionen Euro für Stetten und 200 Millionen Euro für Ulm.
Interessiert schaut Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dem Oberstabsgefreiten zu, stellt Fragen, lässt sich von dem jungen Mann erklären, wie er im Ernstfall Granaten und Raketen aus Panzerhaubitzen und Raketenwerfern ins Ziel lenken könnte: In jedem Sommer unternimmt die Chefin des Wehrressorts eine Sommerreise, besucht Standorte, spricht mit Soldaten, sucht den Kontakt zu den Männern und Frauen an der Grasnarbe. So entstehen vor allem schöne Bilder: Kritiker werfen von der Leyen vor, sie nutze die Besuche als Bühne, um hauptsächlich sich selbst in Szene zu setzen.
Doch dieses Jahr läuft die Tour über zehn Stationen etwas anders ab: Beim Artilleriebataillon 295 in Stetten am kalten Markt bereitete von der Leyen am Montag die Truppe auf Einsätze in Afrika vor, in Ulm ließ sie sich am Dienstag über den Stand der Vorbereitungen für das neue Transportund Logistikkommando für die Nato informieren. Denn die Bundeswehr muss sich zurückbesinnen und angesichts wachsender Bedrohungen – Ukraine-Krise, Annexion der Krim, „Islamischer Staat“, Destabilisierung Afrikas – die Bündnis- und Landesverteidigung wieder in den Vordergrund stellen. Ernsthaftigkeit ist gefragt.
Neuerfindung der Bundeswehr
Beim Artilleriebataillon 295 in Stetten ist gut zu sehen, wie sich die Bundeswehr zwischen Landesverteidigung, Einsatzaufgaben im Ausland und der Digitalisierung neu erfinden muss. Denn jener eingangs erwähnte Oberstabsgefreite lenkt Feuer aus der Panzerhaubitze 2000: einem Waffensystem, konzipiert im Kalten Krieg für die Bündnis- und Landesverteidigung. 57 Tonnen schwer, kann die Haubitze Ziele bis in 40 Kilometern Entfernung punktgenau bekämpfen. 30 Jahre lang wurde die Artillerietruppe abgebaut, von einst mehr als 40 Bataillonen und Regimentern blieben der Bundeswehr genau vier Verbände. Man glaubte, die Fähigkeiten der Männer und Frauen mit den schweren Waffen entbehren zu können. Fachwissen ging verloren.
Offiziere mit Karrierewünschen verließen die Waffengattung mit den beiden gekreuzten Kanonenrohren im Wappen. Heute wird klar: Allein die Präsenz des modernen Waffensystems kann, wie in Afghanistan bewiesen, kritische Lagen stabilisieren. Artilleristisches Handwerk ist wieder gefragt: „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen.“
Ursula von der Leyen lobt in Stetten das hohe Ausbildungsniveau der Artillerie, streift mit der Zielerfassung durch Drohnen kurz die Digitalisierung – und schwenkt dann von der Bündnis- und Landesverteidigung
„Bei Frau von der Leyen hat man den Eindruck, dass sie die Bundeswehr vor allem für ihr weiteres Fortkommen nutzt.“
auf die nächste, direkt vor den Artilleristen liegende Aufgabe: „Der Verband bereitet sich jetzt auf Mali vor.“Die Europäische Trainingsmission in dem westafrikanischen Land werde in wenigen Wochen übernommen und maßgeblich durch die Stettener Artilleristen mitgesteuert.
Der Ministerin ist anzumerken, dass die heftige Kritik des vergangenen Jahres bei ihr angekommen ist. Sie hatte Skandale wie die Ausbildungspraktiken in der Kaserne in Pfullendorf oder die Vorfälle um den rechten Oberleutnant Franco A. aufgebauscht und sich als Aufklärerin geriert. Später stellte sich heraus, dass die Vorwürfe überzogen waren. Gänzlich verloren große Teile der Truppe das Vertrauen in die „Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt“(IBUK), als von der Leyen im Frühjahr 2017 den Soldaten pauschal ein Haltungsproblem, Führungsschwäche und falschen Korpsgeist vorwarf. Dass sie sich anschließend entschuldigte, ging im medialen Getümmel unter. Der frühere Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat warf ihr vor, auch nach damals dreieinhalb Amtsjahren nicht in der Bundeswehr angekommen zu sein.
Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur, im Jahr 2017
„Sie steht außerhalb, sie steht neben den Streitkräften. Und sie scheint auch nicht die Absicht zu haben, daran etwas zu ändern.“Und Kujat setzte noch einen drauf: „Bei Frau von der Leyen hat man den Eindruck, dass sie die Bundeswehr vor allem für ihr weiteres Fortkommen nutzt.“
Ausbau der Sicherheitspolitik
Im Jahr 2018 will von der Leyen spürbar deutlich machen, dass sie in ihrer zweiten Amtszeit und nach fünf Jahren als Ressortchefin die Sicherheitspolitik in den Vordergrund stellen will. Sie sehe in Afrika ein wichtiges Einsatzgebiet einer möglichen zukünftigen europäischen Armee, sagt sie den Soldaten und zieht den Kreis weiter: „In der Landes- und Bündnisverteidigung wird die Nato immer die erste Rolle spielen. Aber es gibt ganz andere Einsatzgebiete wie zum Beispiel Afrika. Da sehe ich die Nato nicht, aber ich sehe eine große Rolle der Europäer.“Die Deutsch-Französische Brigade, zu der das Stettener Bataillon zählt, zeige, „wie die Zukunft einer Armee der Europäer sein kann“, ergänzt die Ministerin: „Nämlich gewachsen aus den einzelnen Streitkräften, die immer enger miteinander arbeiten, sodass wir gemeinsam in der Lage sind, in Einsätze zu gehen und die auch zu gestalten.“Dass die binationale Brigade zwar die Mali-Einsätze der Europäischen Union (EUTM Mali), der Vereinten Nationen (Minusma) und der Republik Frankreich (Barkhane) bestreitet, die Zusammenarbeit beider Armeen vor Ort aber sehr punktuell bleibt, geht in von der Leyens Botschaft etwas unter ...
Von der internationalen Sicherheitspolitik holen die Soldaten ihre oberste Chefin zurück in den flecktarn-grünen, oft sehr grauen Kasernenalltag. Von der Leyen muss sich auch in Stetten von den 200 angetretenen Männern und Frauen anhören, wo es klemmt.
Zwar ist die Öffentlichkeit von dem fast einstündigen Gespräch zwischen der Truppe und der Ministerin ausgeschlossen. Aber manche Fragen sorgen in Stetten schon immer für besonders viel Ärger: beispielsweise die Unterkunftspflicht. Soldaten sind im Regelfall unterkunftspflichtig, müssen also unter der Woche in der Kaserne schlafen, bevor sie 25 Jahre alt werden. Danach sind sie nicht mehr unterkunftspflichtig. Dies hatte die Bundeswehrverwaltung unter dem Spardiktat dazu bewogen, für diese Gruppe beim Umbau der Kaserne in Stetten viel zu wenig Unterkünfte zu bauen. Soldaten mussten sich privat eine Bleibe suchen – und kräftig wie
„Soldaten wollen respektiert werden, und diesen Respekt hat die Ministerin uns entgegengebracht. Endlich.“
auch ungeplant aus privater Tasche zahlen. Entsprechend gingen die Bewerberzahlen zurück.
Damit soll Schluss sein: Nach 25 Jahren „Kürzen und Schrumpfen“sei die Bundeswehr jetzt mitten in einer Trendwende, sagt von der Leyen. „Es ist wichtig für die Männer und Frauen, dass sie wissen, dass jetzt die Phase kommt, wo die Bundeswehr wieder wächst.“Es müsste mehr Personal eingestellt und es müssten „Lücken beim Material“geschlossen werden. Dass auch in Stetten die Trendwende greift, bestätigt Oberleutnant Christian Abert vom Stab des Artilleriebataillons: „Nach Jahren mit abnehmenden Bewerberzahlen steigt die Zahl jetzt wieder, auch gibt es viele Rückkehrer, die nach einem Ausflug in die freie Wirtschaft Interesse am Bund haben.“
Eine nachdenkliche Ministerin, die nicht alle Versäumnisse ihren Vorgängern anlastet? Eine Ursula von der Leyen, die nicht jeden Widerspruch konsequent weglächelt und jeden Truppenbesuch als Werbeblock in eigener Sache versteht? Auch am Dienstag, beim Multinationalen Kommando Operative Führung
Ein Offizier beim Multinationalen Kommando Operative Führung Ulm
in Ulm, geht es um die Bündnisfähigkeit. Nach Angaben der Bundeswehr sind in dem Kommando, das Nato-, UN- und EU-Operationen mit bis zu 60 000 Streitkräften koordinieren kann, derzeit nur 33 von 165 vorgesehenen Plätzen mit ausländischen Soldaten besetzt. Von der Leyen will ihre internationalen Amtskollegen dazu bewegen, mehr Personal nach Ulm zu entsenden. Der Mangel liege vor allem daran, dass auch die Streitkräfte verbündeter Nationen Schwierigkeiten hätten, genug Fachpersonal zu finden. Außerdem sei die Besetzung der Dienstposten in Ulm freiwillig. Die Einrichtung des neuen Nato-Hauptquartiers für schnelle Truppen- und Materialtransporte (JSEC) werde die Attraktivität des Standorts Ulm allerdings „deutlich erhöhen“, da es zusätzliche Expertise des Atlantikbündnisses nach Ulm bringe. „Insofern ist das eine Riesenchance für das multinationale Kommando hier in Ulm.“
Nach zwei Stunden endet auch der Ulm-Besuch. Die Ministerin, selbst Reiterin, stattet dem Hauptund Landesgestüt Marbach einen Besuch ab. Vorher steht aber noch das Gespräch ohne Öffentlichkeit an, zu dem sich so viele Soldaten angemeldet hatten, dass die wenigen Plätze ausgelost wurden. Was bleibt? „Soldaten wollen respektiert werden“, sagt ein Offizier in Ulm, „und diesen Respekt hat die Ministerin uns entgegengebracht. Endlich.“