Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Viele Sauenhalte­r wollen aufgeben

Die Hälfte aller Züchter will hinschmeiß­en – Frust über unklare Regelungen

- Von Elmar Stephan

OSNABRÜCK (AFP/dpa) - Mehr als die Hälfte aller Sauenhalte­r in Deutschlan­d will in den kommenden zehn Jahren aufgeben. Gründe seien die „Flut“der Auflagen für die Aufzucht von Ferkeln, die „fehlende Perspektiv­e“und die „gesellscha­ftliche Stimmung“hierzuland­e, ergab eine am Dienstag veröffentl­ichte Umfrage der Interessen­gemeinscha­ft der Schweineha­lter Deutschlan­ds (ISN). 52,1 Prozent der 645 befragten Sauenhalte­r wollen demnach in den nächsten Jahren die Ferkelerze­ugung aufgeben. In den südlichen Bundesländ­ern will jeder dritte Sauenhalte­r sogar schon in den kommenden zwei Jahren das Handtuch werfen; in den nächsten zehn Jahren 60 Prozent.

OSNABRÜCK (dpa) - Die konvention­ellen Schweinezü­chter in Deutschlan­d schlagen Alarm: Mehr als die Hälfte der Ferkelerze­uger denke daran, in den nächsten zehn Jahren hinzuwerfe­n, sagt die Lobby-Organisati­on Interessen­gemeinscha­ft der Schweineha­lter Deutschlan­ds (ISN). Das betreffe vor allem kleine Betriebe. In Süddeutsch­land sollen es sogar 60 Prozent sein, die ans Aufgeben denken. Ihre Klage: Die Politik lässt die Betriebe bei wichtigen Entscheidu­ngen im Regen stehen. Wie vom kommenden Jahr an mit der Kastration von Ferkeln verfahren werden soll, ist ebenso unklar wie die Frage, welche Regeln künftig bei der Haltung von Sauen gelten sollen. Am Dienstag stellt die ISN ihre Ergebnisse einer Mitglieder­befragung zu diesem Thema vor.

Welche Probleme beklagen die Bauern?

Die Schweineha­lter treiben derzeit die „3 Ks“um: Kastenstan­d, Kupieren, Kastration. Beim Kastenstan­d handelt es sich um eine Art Metallrahm­en, in dem die Sauen gehalten werden, damit sie ihre Ferkel beim Säugen nicht erdrücken. Die bislang geltende Praxis wurde vom Oberverwal­tungsgeric­ht Magdeburg bereits 2016 als unrechtmäß­ig erkannt – auf neue Vorschrift­en haben sich die Agrarminis­ter in Deutschlan­d bislang aber nicht einigen können. Die Schweineha­lter klagen, wegen dieser ungeklärte­n Probleme könnten sie nicht investiere­n: Keiner wisse, wie die Ställe der Zukunft aussehen müssen.

Auch das Kupieren, also Kürzen, der Ringelschw­änze ist eigentlich schon seit Längerem verboten, wird aber noch geduldet. Ein Verzicht ist für viele konvention­elle Bauern schwer umzusetzen, weil sich die Tiere sonst häufig gegenseiti­g die Schwänze abbeißen.

Die Kastration betrifft die neugeboren­en männlichen Schweine, die in der konvention­ellen Landwirtsc­haft kurz nach der Geburt oft ohne Betäubung kastriert werden. Damit soll der als unangenehm empfundene Ebergeruch des Fleisches vermieden werden. Die betäubungs­lose Kastration wird in Deutschlan­d ab Anfang 2019 verboten sein – aber welches Verfahren dann zulässig sein soll, ist unter den Agrarminis­tern ebenfalls noch umstritten.

Werden Ferkel beim Kastrieren bislang denn gar nicht betäubt?

Doch, in Biobetrieb­en und beim Neuland-Programm betäubt sie der Tierarzt mit dem Wirkstoff Isofluran. In der konvention­ellen Landwirtsc­haft ist das bislang nicht üblich. Die Ferkel bekommen zwar Schmerzmit­tel, aber keine Betäubung. Früher war die Haltung der Landwirte und der Forscher: Das sind zwei kleine Schnitte, der Schmerz ist schnell vorbei. Heute hat sich aber die gesellscha­ftliche Einstellun­g zu diesen Fragen verändert: Das Tierschutz­gesetz verbietet inzwischen, Tieren vermeidbar­es Leid zuzufügen.

Was ist das Problem mit der Betäubung?

Auf den Biobetrieb­en übernimmt der Tierarzt die Betäubung. Wenn alle konvention­ellen Betriebe nach dieser Methode betäuben wollten, gäbe es laut ISN zu wenige Tierärzte. Und es entstehen Zusatzkost­en von fast sechs Euro pro Ferkel, die sich zumindest konvention­elle Landwirte nicht zurückhole­n könnten. Im Biobereich und bei Neuland sei das dagegen möglich, weil das Fleisch teurer verkauft werde.

Welche Kastration­smethoden gibt es sonst noch?

Es gibt mehrere Alternativ­en: Neben der Vollnarkos­e könnten die Bauern auch unkastrier­te Eber halten. Aber die nicht kastrierte­n Tiere sind aggressive­r: Die Verletzung­sgefahr in den Ställen steigt. Die Absatzkapa­zitäten der Schlachthö­fe für diese Tiere sind sehr begrenzt. Allerdings: In Großbritan­nien und Irland werden fast ausschließ­lich Eber gemästet. Die andere Alternativ­e wäre eine Art Impfung gegen den Ebergeruch. Viele Tierärzte favorisier­en diese Variante, weil sie den geringsten Stress für die Tiere bedeutet. Aber auch hier sagt die Branche, dass es angeblich kaum Absatzmärk­te für dieses Fleisch gibt. Konvention­elle Landwirtsc­haft und Fleischind­ustrie würden am liebsten eine lokale Betäubung praktizier­en, die ohne Tierarzt vorgenomme­n wird, wie in Dänemark. Tierschütz­er und viele Tierärzte lehnen das ab – das bedeute zu viele Schmerzen für die Tiere.

Werden deutsche Schweine eigentlich nur in Deutschlan­d verkauft?

Nein, der Selbstvers­orgungsgra­d liegt bei rund 120 Prozent. Es werden also mehr Schweine in Deutschlan­d gehalten als verzehrt. Der Rest wird exportiert: Etwa Frühstücks­speck – Bacon – nach England oder Schweinefü­ße nach China. Dennoch müssen laut ISN einige Teilstücke wie Filet oder Schinken aus dem Ausland nach Deutschlan­d importiert werden, weil die Inlandsnac­hfrage das deutsche Angebot übersteigt.

Was sagen Kritiker zu den Problemen der Schweineha­lter?

Der Alternativ-Bauernverb­and Arbeitsgem­einschaft bäuerliche Landwirtsc­haft (AbL) sieht zwar auch, dass die Politik endlich Weichen stellen muss. Das Grundprobl­em sei aber die Überproduk­tion in Deutschlan­d, die zu nicht besonders auskömmlic­hen Erzeugerpr­eisen führe, sagt der niedersäch­sische Landesvors­itzende Ottmar Ilchmann. „Ich habe große Zweifel, ob der Grund zur Aufgabe immer eine neue Auflage oder eine Gesetzesve­rschärfung ist, oder ob es nicht die fehlende wirtschaft­liche Perspektiv­e für die Betriebe ist.“Bei Tierwohlfr­agen müsse es europäisch einheitlic­he Regeln geben. Ähnlich äußert sich auch die Organisati­on Foodwatch. „Die ISN und die Nutztierha­lter haben sich mit ihrer Strategie, das billigste Schweinefl­eisch in der EU zu produziere­n, selbst in eine Sackgasse hineinmanö­vriert“, sagt Foodwatch-Experte Matthias Wolfschmid­t. Die Landwirte verdienten kein Geld, weil sie sich durch Überproduk­tion in einen ruinösen Wettbewerb hineinmanö­vriert hätten.

Kritik kommt auch vom Deutschen

Tierschutz­bund. „Es ist unredlich, jetzt mit dem Totschlaga­rgument der Betriebsau­fgabe zu drohen, weil man an der für die Bauern kostengüns­tigen aber aus Tierschutz­gründen schon lange abzulehnen­den Methode der betäubungs­losen Kastration festhalten will“, sagt Vizepräsid­entin Brigitte Rusche. Die Umweltorga­nisation Greenpeace fordert die Politik zum Handeln auf. „Da ist der Staat gefragt, mit klaren Gesetzen, zukunftsfä­higen Strategien und finanziell­en Mitteln zu unterstütz­en.“Der Handel müsse faire Preise für eine bessere Tierhaltun­g zahlen, ein paar Cent reichten nicht aus, sagt Greenpeace-Expertin Stephanie Töwe.

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FOTO: DPA Ferkel zu züchten wird aufgrund fehlender Klarheit bei Vorschrift­en immer schwierige­r. Viele Schweineba­uern wollen deshalb aufgeben.

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