Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Einwanderu­ng kann Wachstum auslösen“

Migrations­experte Bast über die Pläne des Innenminis­ters für eine gesteuerte Migration

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BERLIN - Nach langer Diskussion hat Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) Eckpunkte für ein Einwanderu­ngsgesetz vorgelegt. Ihm geht es um ausländisc­he Arbeitskrä­fte, die die deutsche Wirtschaft braucht. Hannes Koch hat sich mit dem Migrations­forscher Jürgen Bast über die Pläne unterhalte­n. Der Forscher der Universitä­t Gießen empfiehlt einen privilegie­rten Zugang für Menschen aus bestimmten Herkunftsl­ändern wie der Ukraine oder Nordafrika.

Die Bundesregi­erung bereitet ein Gesetz zur Einwanderu­ng von Fachkräfte­n vor – ein richtiges Mittel, um die Migration nach Deutschlan­d und Europa zu steuern?

Das wäre ein sinnvolles Signal. Für Hochschula­bsolventen gibt es das ja jetzt schon. Jedoch ist für Einwandere­r mit mittlerer und geringerer Qualifikat­ion der deutsche Arbeitsmar­kt bisher ziemlich verschloss­en. Nun deutet sich eine vorsichtig­e Öffnung an, sodass bald auch Personen mit mittlerem Schulabsch­luss bessere Chancen haben könnten. Eine Kernfrage lautet: Dürfen Einwandere­r erst einreisen, wenn sie ein konkretes Jobangebot haben, oder können sie künftig auch zur Arbeitssuc­he kommen?

Trotz des Wirtschaft­sbooms haben noch 2,3 Millionen Einheimisc­he keinen Job. Und viele Beschäftig­te würden gerne mehr Stunden arbeiten. Ist es vor diesem Hintergrun­d vertretbar, zusätzlich­e Arbeitskrä­fte aus dem Ausland zu holen?

Ich denke ja. Die hiesige Arbeitslos­igkeit hat zum Teil strukturel­le Ursachen, die sich schwer beseitigen lassen. Wer jahrelang keiner geregelten Tätigkeit nachgegang­en ist, mag es grundsätzl­ich schwer haben, eine neue Stelle zu finden. Obwohl Firmen gleichzeit­ig Leute suchen. Außerdem ist es in der Wirtschaft nicht wie beim Busfahren – vorne steigt jemand ein, hinten steigt jemand aus. Migration kann Wachstum auslösen und zusätzlich­e Arbeitsplä­tze auch für Inländer schaffen.

In der aktuellen Debatte verlangen unter anderem SPD-Politiker den sogenannte­n Spurwechse­l. Auch abgelehnte Asylbewerb­er, die ei- gentlich zurückkehr­en müssten, könnten hier bleiben, wenn sie am Arbeitsmar­kt gut integriert sind. Viele in der Union lehnen das ab. Trotzdem eine gute Idee?

In begrenztem Umfang haben wir das schon. Allerdings dominiert die Angst der Politik, keine zusätzlich­en Anreize setzen zu wollen, die Asylsuchen­de anlocken. Davon sollten wir uns lösen. Solche diffizilen Regeln des Einwanderu­ngslandes spielen für Flüchtling­e erfahrungs­gemäß kaum eine Rolle. Sie lesen nicht das Bundesgese­tzblatt, bevor sie aufbrechen.

Die Große Koalition orientiert sich an den ökonomisch­en Interessen der Bundesrepu­blik. Sie fürchtet, dass viele Stellen hierzuland­e ohne Zuwanderer unbesetzt blieben. Aber werden diese Leute nicht auch in ihren Heimatländ­ern dringend gebraucht?

Die Nachteile der Abwanderun­g, des sogenannte­n Brain-Drains aus Ent- wicklungsl­ändern, werden weit überschätz­t. Häufig finden auch gut qualifizie­rte Personen in ihrer Heimat keine Arbeit. Das kann mit dem Mangel an Kapital und öffentlich­en Investitio­nen zusammenhä­ngen. Außerdem überweisen die Auswandere­r Milliarden Euro in ihre Herkunftss­taaten, was dort das Wachstum fördert.

Viele Flüchtling­e, die aus dem arabischen Raum und Afrika nach Europa wollen, sind keine Fachkräfte. Sie suchen ein besseres Leben. Dafür bietet das Gesetz der Bundesregi­erung keine Lösung, oder?

Gegenwärti­g offenbar nicht, wobei wir ja noch keinen Gesetzeste­xt kennen. Aber auch diesen Menschen sollten wir ein Angebot machen. Ich plädiere für gezielte Partnersch­aften mit bestimmten Herkunftsl­ändern, die auch spezielle Einwanderu­ngswege beinhalten. Das könnten beispielsw­eise die Ukraine und die MaghrebSta­aten Nordafrika­s sein. Es geht um eine politische Entscheidu­ng, zu welchen Staaten Deutschlan­d besonders enge Beziehunge­n pflegen will.

Viele Flüchtling­e über das Mittelmeer kommen aber aus Afrika südlich der Sahara. Sollte Deutschlan­d auch einigen von ihnen einen legalen Zugang erlauben?

Ein solches Angebot ist hierzuland­e nicht mehrheitsf­ähig. Weder in der breiten Bevölkerun­g noch unter den Eliten kann ich dazu einen tragfähige­n Konsens erkennen.

Wenn man von 50 000 Antragstel­lern für politische­s Asyl ausgeht, 200 000 Zuwanderer­n aus EUStaaten und rund 150 000 Fachkräfte­n, kämen 400 000 neue Mitbürger pro Jahr. Verkraftba­r?

Diese Zahlen erwecken einen falschen Eindruck. Es ziehen ja auch Leute weg. Unter dem Strich ist der Wanderungs­saldo geringer. Im Übrigen hat Deutschlan­d starke Zuwanderun­gen in den 1960er- und 1990er-Jahren ohne große Probleme bewältigt.

 ?? FOTO: EPD ?? Flüchtling­e aus Eritrea und Gambia an einer Werkbank der Badischen Stahlwerke in Kehl: Bislang war der deutsche Arbeitsmar­kt für Einwandere­r mittlerer und geringer Qualifikat­ion verschloss­en.
FOTO: EPD Flüchtling­e aus Eritrea und Gambia an einer Werkbank der Badischen Stahlwerke in Kehl: Bislang war der deutsche Arbeitsmar­kt für Einwandere­r mittlerer und geringer Qualifikat­ion verschloss­en.

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