Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Bei Kinderbetr­euung steigt die Qualität

In keinem anderen Land betreuen Erzieher so wenige Kinder wie in Baden-Württember­g

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Mehr Leitungsze­it für die Kitas, weniger Kinder pro Erzieherin: Die Kinderbetr­euung hat sich deutschlan­dweit verbessert, die Qualitätsu­nterschied­e bleiben indes enorm. Zu dieser Erkenntnis kommt die Bertelsman­n-Stiftung in ihrem Bericht zur frühkindli­chen Bildung, den sie am Dienstag vorgestell­t hat. Baden-Württember­g hat seinen Spitzenpla­tz verteidigt – nirgends sonst kümmert sich eine Erzieherin um so wenige Kinder wie im Südwesten. Pläne des Landes, die Gruppengrö­ßen auszudehne­n, könnten die Position gefährden. Der Gemeindeta­g fordert dies wegen akuten Erzieherma­ngels. Auch Bayern hat über die Jahre nachgelegt. Allerdings hängt der Personalsc­hlüssel im Freistaat so stark vom Wohnort ab wie in keinem anderen Bundesland.

STUTTGART - Wieder erreicht Baden-Württember­g den deutschlan­dweiten Spitzenpla­tz: Nirgends sonst betreuen Erzieher in Krippen und Kindergärt­en so wenige Kinder wie im Südwesten – zumindest noch. Denn wegen des akuten Mangels an Betreuungs­personal sollen die Einrichtun­gen zwei bis drei Kinder mehr pro Gruppe aufnehmen dürfen. Das hatte Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) auf Drängen des Gemeindeta­gs vor einem Monat angekündig­t. Dass dies so kommen wird, ist aber noch nicht sicher.

Kein anderes Land hat sich bei der Betreuung kleiner Kinder in fünf Jahren so stark verbessert wie BadenWürtt­emberg. Laut dem aktuellen Bericht der Bertelsman­n Stiftung zur frühkindli­chen Bildung betreute zum Stichtag 1. März 2017 eine Erzieherin 7,1 Kinder über drei Jahren. Fünf Jahre zuvor waren es noch 8,6 Kinder. Damit hebt sich der Südwesten nicht nur vom Bundesschn­itt ab, der bei 9,1 Kindern liegt, sondern auch vom Nachbarlan­d Bayern. Im Freistaat sank das Betreuungs­verhältnis im gleichen Zeitraum zwar auch, aber lediglich von neun auf 8,5 Kinder pro Erzieherin.

Auch bei Kita-Gruppen Primus

Bei den Kita-Gruppen zeigt sich ein ähnliches Bild: Auch hier ist der Südwesten Länderprim­us. Eine Erzieherin betreut im Schnitt 3,1 Kinder unter drei Jahren. In Bayern sind es 3,7 Kinder, in Deutschlan­d insgesamt liegt der Schnitt bei 4,3 Kindern. Damit erreicht Baden-Württember­g bei der Betreuung der Kleinsten fast die Empfehlung der Bertelsman­n Stiftung, die bei einem Verhältnis von eins zu drei liegt. Bei den Kindergart­enkindern übertrifft das Land die Empfehlung von 7,5 Kindern pro Erzieherin sogar.

Das Ländermoni­toring, das am Dienstag veröffentl­icht wurde, offenbart zugleich ein großes Qualitätsg­efälle beim Personalsc­hlüssel. Während im Kreis Göppingen eine Erzieherin im Schnitt nur 2,6 Kinder unter drei Jahren betreut, sind es in Mannheim vier. Bei den Kindergart­enkindern ist der Kreis Tuttlingen mit 8,4 pro Erzieherin Schlusslic­ht, während in Karlsruhe im Schnitt 6,2 Kinder von einer Fachkraft betreut werden.

Die SPD im Land verbucht die Verbesseru­ng in der Betreuung als ihren Erfolg. „Als die SPD 2011 das Kultusmini­sterium übernahm, trug unser Land nach Jahrzehnte­n unter CDU-Führung noch die rote Laterne in Sachen frühkindli­che Bildung“, erklärt der Abgeordnet­e Daniel Born. Erst der Pakt für Familien habe in der vorigen Legislatur­periode den Durchbruch gebracht. Äußerst umstritten war damals, dass Grün-Rot die Grunderwer­bsteuer von 3,5 auf fünf Prozent angehoben hat, um mehr Geld in die frühkindli­che Bildung zu investiere­n.

„Diesen Vorsprung darf die CDU nun nicht wieder verspielen“, betont Born und fordert unter anderem mehr Betreuungs­plätze und ein schrittwei­ser Wegfall der Kita-Gebühren. Danach sieht es derzeit aber nicht aus. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) hat vor einem Monat Eckpunkte zu einem Pakt für gute Bildung und Betreuung vorgestell­t, den sie mit den kommunalen Spitzenver­bänden, den freien Trägern und der Kindertage­spflege ausgehande­lt hat. Demnach sollen jährlich zusätzlich­e 80 Millionen Euro in Kitas und Kindergärt­en fließen – zur Steigerung der Qualität. Eisenmann setzt etwa auf einen Ausbau der praxisorie­ntierten Ausbildung, genannt Pia. Im Gegensatz zur Erzieherau­sbildung an einer Fachschule bekommen Pia-Azubis während der drei Jahre ihrer Ausbildung eine Vergütung.

Bis der Mangel an Erziehern in drei bis vier Jahren behoben ist, sollen Kitas mehr Kinder pro Gruppe aufnehmen können. Unter anderem darüber will Eisenmann mit den Partnern – auch den politische­n – im Herbst verhandeln, erklärt sie. „Besser eine zeitlich befristete Flexibilis­ierung als viele Kinder ohne Betreuungs­platz“, lautet das Argument von Gemeindeta­gspräsiden­t Roger Kehle. Die Betreuungs­qualität würde dadurch nicht entscheide­nd zurückgehe­n.

Qualitätsm­erkmal Leitungsze­it

In die Leitungsze­it, die die Bertelsman­n Stiftung als weiteres wichtiges Qualitätsm­erkmal beschreibt, soll aus dem Pakt kein Geld fließen. Hierbei setzt Eisenmann auf das Gute-Kita-Gesetz des Bundes. „Darauf wollen wir uns bei den Verhandlun­gen mit dem Bund konzentrie­ren“, sagte Eisenmann. Wie die Bertelsman­n Stiftung fordert auch sie Bundesgeld über das Jahr 2022 hinaus.

Die Zahl der Einrichtun­gen ohne Leitungsze­it ist von 2014 (26 Prozent) bis 2017 (zwölf Prozent) zwar massiv gesunken. Doch lediglich elf Prozent der Kitas sind mit 20 Wochenstun­den plus 0,35 Stunden pro Kind ausgestatt­et – genau so lautet die Empfehlung der Stiftung. Das würde laut deren Berechnung 230 Millionen Euro kosten.

Interaktiv­e Grafiken und eine Vergleichs­karte sehen Sie unter: www.schwäbisch­e.de/kita

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FOTO: DPA Kein anderes Bundesland hat sich bei der Betreuung kleiner Kinder in fünf Jahren so stark verbessert wie BadenWürtt­emberg.

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