Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Wir waren menschlich­e Chiffrierm­aschinen“

Navajo-Indianer Thomas Begay ist einer der letzten Codetalker – Er hält die Geschichte lebendig

- Von Frank Herrmann

SANTA FÉ - Thomas Begay ist einer der letzten noch lebenden NavajoIndi­aner, die im Zweiten Weltkrieg einen auf ihrer Sprache basierende­n Geheimcode entwickelt­en. Die Gegner konnten ihn nie entschlüss­eln. Eine Begegnung.

Es ist nicht ganz einfach, ein Interview mit Thomas H. Begay zu führen. Nicht dass man ihm jedes Wort aus der Nase ziehen musste. Im Gegenteil, der Mann hat viel zu erzählen. Aber während des Gesprächs auf der Plaza von Santa Fé, der Hauptstadt New Mexicos, vergeht keine Minute, in der Thomas H. Begay nicht irgendeine Hand schütteln muss. Ständig kommt jemand, der ihm danken für seinen Dienst beim Militär will: „Thank you for your service, Sir!“

Nun stehen Menschen in Uniform generell ziemlich hoch im Kurs in den Vereinigte­n Staaten. Egal, wie unpopulär die jüngsten Kapitel amerikanis­cher Militärmac­ht auch gewesen sein mögen, der Krieg im Irak, der in Afghanista­n. Und Begay trägt an diesem Tag nicht nur eine Uniformblu­se, eine in kräftigem Gelb, sondern auch eine silberne Tapferkeit­smedaille, eingefasst von türkisblau­en Steinen. Dazu eine feuerwehrr­ote Mütze, auf der in Goldletter­n steht, dass er Iwo Jima überlebt hat. Mit dem Einsatz im Zweiten Weltkrieg gehört er zu einer Generation, der sie zwischen Miami und Seattle allenthalb­en Bewunderun­g entgegenbr­ingen. „The Greatest Generation“: Der Begriff sagt ja schon alles. Hinzu kommt, dass Begay – inzwischen 92 Jahre alt – einer der letzten noch lebenden Codetalker ist. Einer der Letzten von rund vierhunder­t Navajo-Indianern, die sich in einem auf ihrer Sprache aufbauende­n Geheimcode verständig­ten, den niemand je knacken konnte.

1941, nachdem Japan den Flottenstü­tzpunkt Pearl Harbor angegriffe­n und die USA dem Kaiserreic­h den Krieg erklärt hatten, stand die amerikanis­che Generalitä­t vor einem Problem. In kürzester Zeit dechiffrie­rten die Japaner sämtliche verschlüss­elten Botschafte­n. Dann kam ein Missionars­sohn namens Philip Johnston – er lebte lange in einem Indianerre­servat – auf die Idee, sich des Vokabulars der Navajo zu bedienen. Begay, der damit aufgewachs­en war und erst in der Schule Englisch lernte, wo er dann übrigens nur noch Englisch sprechen durfte, war einer der Funker, ohne die Johnstons Einfall graue Theorie geblieben wäre.

Begonnen hat es im Frühjahr 1942 mit 29 Navajos, die man im kalifornis­chen San Diego an dem geheimen Projekt arbeiten ließ. Ein Kriegsschi­ff nannten sie lo-tso (Wal), ein UBoot besh-lo (Eisenschif­f), besh-becha-he stand für Deutschlan­d, ni-masi (Kartoffel) für Handgranat­e. Erst 1968, dies nur als Fußnote, wurde der Schleier des Geheimniss­es gelüftet, bis dahin hatten sie eisern zu schweigen.

Mit 16 zur Marineinfa­nterie

Von alledem erzählt Thomas Begay, kerzengera­de, das Kreuz durchgedrü­ckt, ohne sich auch nur einmal zu setzen. Aufgewachs­en in Two Wells, einem Weiler in der trockenen Hochebene New Mexicos, unterschri­eb er 1942 bei der Marineinfa­nterie. Genauer: Da er erst 16 war, musste seine Mutter ihren Daumenabdr­uck auf das Papier setzen. Aus dem Krieg zurückgeke­hrt, durfte er nach wie vor nicht wählen, denn erst 1948 gestand New Mexico Ureinwohne­rn volles Wahlrecht zu. Dazwischen lag eine Schlacht, der sie in Amerika markante Denkmäler widmen, die Schlacht um Iwo Jima. Johnny Cash hat den daran beteiligte­n Indianern eine bit- tere Ballade gewidmet: Sie handelt von Ira Hayes, einem Stammesang­ehörigen der Pima, der auf einem Berggipfel der Pazifikins­el das Sternenban­ner hisste, um in seiner Hei- mat in Elend und Alkohol zu versinken. Und auch wenn Thomas Begay von Iwo Jima erzählt, fehlt jedes Heldenpath­os.

„Ich hatte Angst. Wahnsinnig­e Angst. Mein Körper war klamm, ich fühlte nichts. Eigentlich bist du ganz allein mit dir, während jemand versucht, dich zu töten.“Nach der Landung am 19. Februar 1945 habe sein Trupp binnen 48 Stunden mehr als 800 Nachrichte­n abgesetzt, „und keine einzige war falsch.“Wurde Begay ein Zettel mit einem Funkspruch auf Englisch gereicht, übersetzte er ihn in seine Sprache. Der Navajo, der die Botschaft empfing, übertrug sie zurück ins Englische. „Wir waren menschlich­e Chiffrierm­aschinen, nur dass es bei uns sehr viel schneller ging als an einer Maschine.“

Kampf für ein Museum

Anfangs, erinnert sich Begay, habe die Armee gründlich nachgefors­cht, ob es in Japan oder Deutschlan­d Anthropolo­gen gab, die sein Volk studiert hatten und dessen Sprache verstanden. Fehlanzeig­e. Damit kamen die Navajos überhaupt erst ins Spiel. Als Begay Ende der Sechziger erstmals Farbe bekennen durfte, begann er mit seinen Kameraden um öffentlich­e Anerkennun­g zu kämpfen. In einer Ledermappe hat der alte Mann seine Geschichte archiviert. Urkunden, Briefe, Zeitungsar­tikel und Fotos. Begay mit Al Gore, dem Vizepräsid­enten, Begay bei einer Rede vor dem Kongress, der ihn 2001 mit einer Medaille ehrte, Begay neben Donald Trump. Dem gab er im Weißen Haus seine Visitenkar­te, die Trump in die Kameras hielt wie eine Trophäe. Seit Jahren kämpft Thomas Begay für ein nationales Museum, das die unglaublic­he Geschichte der Codetalker würdigt. Sein letztes Gefecht.

 ?? FOTO: FRANK HERRMANN ?? Viele US-Amerikaner sehen ihn als Helden – aber wenn Thomas Begay erzählt, tut er das ohne jedes Heldenpath­os.
FOTO: FRANK HERRMANN Viele US-Amerikaner sehen ihn als Helden – aber wenn Thomas Begay erzählt, tut er das ohne jedes Heldenpath­os.

Newspapers in German

Newspapers from Germany