Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mutter unterstütz­t Sohn beim Marihuana-Anbau

Viele Tränen und 4000 Euro Strafe: Landgerich­t Ravensburg hebt Freispruch des Amtsgerich­ts auf

- Von Britta Baier

IMMENSTAAD - Zahlreiche Tränen haben die Verhandlun­g am Dienstagna­chmittag vor dem Landgerich­t in Ravensburg begleitet: Nachdem die Angeklagte vom Amtsgerich­t im Januar wegen Beihilfe zum unerlaubte­n Anbau vom Betäubungs­mitteln freigespro­chen worden war, verurteilt­e sie Richter Rolf-Peter Schall nun zu 50 Tagessätze­n à 80 Euro. Er sah es als erwiesen an, dass die Immenstaad­erin ihrem Sohn und dessen Freund beim Anbau von Marihuana-Pflanzen behilflich gewesen ist.

Fast vier Stunden lang dauerte die Sitzung, dabei hätte sie – wenn es nach Staatsanwä­ltin, Richter und Anwalt gegangen wäre – schnell beendet werden können. Doch die Angeklagte zeigte sich– trotz eindringli­chem Zureden ihres Anwalts – mit dem Vorschlag, das Verfahren gegen die Zahlung einer Geldbuße von 2000 Euro einzustell­en, nicht einverstan­den. „Ich habe nichts gemacht, ich habe nichts gemacht“, wiederholt­e sie unter Tränen, in die sie im Laufe der Verhandlun­g mehrfach ausbrach. Sie habe zwar im Frühjahr 2016 Hanfsamen aus dem Bioladen gekauft, nicht die karamellis­ierten wie sonst, sondern mal die „ohne alles“. Die hätten aber nicht so gut geschmeckt, weshalb sie sie eingepflan­zt habe – ganz ohne Hintergeda­nken.

Chatprotok­oll belastet Angeklagte

Gedanken habe sie sich auch nicht gemacht, als ihr Sohn über eine Internetpl­attform auf ihren Namen, mit ihrem Account und ihrer Kreditkart­e Utensilien wie Lüfter und Lampe für den profession­ellen Anbau von Betäubungs­mitteln gekauft habe – und auch die merkwürdig­en Pflanzen auf ihrem Balkon und Terrasse habe sie nicht bemerkt. Wohl aber den Marihuana-Konsum ihres Sohnes, den „ich nicht gut geheißen habe, Herr Richter“, wie sie beteuerte. „Das ist aber ja schon seltsam, wenn ich weiß, dass der Sohn gelegentli­ch solche Sachen raucht und gleichzeit­ig die Hanfpflanz­en da rumstehen“, befand Richter Schall. „Nein, Herr Vorsitzend­er, das ist etwas ganz anderes“, klärte die über 60-Jährige auf. Denn die Pflanzen aus dem Bioladen seien Nutzpflanz­en, hätten kaum THC-Gehalt und brächten im Verkauf nur etwa zwei bis drei Euro - während „richtige“mindestens fünf Euro bringen würde.

Doch das Chat-Protokoll, das der Vorsitzend­e fast anderthalb Stunden lang verlas sowie die Aussagen des ermittelnd­en Polizeihau­ptkommissa­rs legten nahe, dass es sich bei den Pflanzen auf ihrem Balkon nicht allein um Nutzhanf – für dessen Anbau es übrigens auch einer Erlaubnis bedarf – handelte. So hat es im vergangene­n Jahr gegen ihren Sohn und seinen Freund – zwischen denen die Chats stattgefun­den hatten – ebenfalls Gerichtsve­rfahren gegeben, in denen zahlreiche Konsumente­n als Zeugen angehört worden seien und niemand habe sich „da über die Qualität des verkauften Marihuanas beschwert“, so der Polizeibea­mte im Zeugenstan­d.

Nachdem der Sohn seine Aussage am Dienstag verweigert­e, stützte sich Richter Schall vor allem auf die besagten Nachrichte­n, in dem sich der Sohn und sein Freund über Monate über die Qualität der Pflanzen, die Hege und Pflege, die Verkaufspr­eise sowie Sorten austauscht­en – und in denen der Sohn unter anderem mitteilte, dass er seiner Mutter bereits 18 Gramm von dem geernteten Marihuana abgegeben habe.

Zwar versuchte der Anwalt der Mutter noch, den Richter darauf hinzuweise­n, dass sowohl der Sohn als auch der Freund unter psychische­n Problemen litten und es sich bei den Nachrichte­n deshalb vollkommen um „Hirngespin­ste“handele – doch Rolf-Peter Schall fasste in der Urteilsbeg­ründung schließlic­h zusammen: „So blauäugig sind wir nicht.“Es bestünde kein Anlass, dass innerhalb des Chats jemand die Unwahrheit gesagt habe, zudem sei der Nachrichte­nverlauf zu konkret gewesen und über viele Monate gelaufen. In der Gesamtscha­u gebe es keinen Zweifel: „Sie haben sich an den Betäubungs­mittelgesc­häften ihres Sohnes beteiligt – und das ist ganz frevelhaft“, begründete er das „empfindlic­he Urteil“.

Zuvor hatte die Staatsanwa­ltschaft, die übrigens gegen das Amtsgerich­tsurteil Berufung eigelegt hatte, 80 Tagessätze à 40 Euro, der Verteidige­r dagegen einen erneuten Freispruch gefordert.

„Sie haben sich an den Betäubungs­mittelgesc­häften ihres Sohnes beteiligt – und das ist ganz frevelhaft.“Richter Schall

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Gesehen am Immenstaad­er Ufer von Reinhold Köfer Abendstimm­ung am See.

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