Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Das ist Kunst und kommt bald weg
In Hörbranz ist mit der Villa Vagabunt ein temporäres Kunstprojekt entstanden
HÖRBRANZ - Manchmal sind es übereifrige Putzfrauen, die Kunst zu Leibe rücken, öfters noch ist es der Zahn der Zeit, der an Kunstwerken nagt. Bei einer alten Villa, ganz in der Nähe der alten österreichischen Grenzstation in Hörbranz, war jedoch von Anfang an klar: Daraus soll zwar ein Kunstwerk werden, dann aber muss es einem Wohnblock weichen. Was Vorarlberger, Berliner und Lindauer Künstler unter diesem Endlichkeitsaspekt entwickelt haben ist die Villa Vagabunt. Ein Gesamtkunstwerk in einer Mischung aus multimedialer Kunst sowie realen Bildern und Objekten, zwischen denen die Grenzen aufgehoben sind.
Ungewöhnlich sieht die Villa Vagabunt schon am helllichten Tage aus. Hat doch bereits im vergangenen Jahr der Bregenzer Wälderkünstler Tone Fink die zum Abbruch freigegebene Villa komplett weiß eingefärbt und sie zum „Weißhaus“werden lassen. Nachts aber, wenn es in der beschaulichen Wohngegend, kurz hinter der alten Zollstation in Hörbranz, dunkel geworden ist, präsentiert sich die Villa Vagabunt am spektakulärsten. Dann nämlich ziehen sich bunte Muster in langsam wechselnden Farben über das ganze Haus und bescheren dem Betrachter die optische Illusion eines dynamischen Gebäudes.
„Projection mapping“nennt sich diese multimediale Kunstform, bei der mit Beamern unterschiedliche Bilder auf eine Oberfläche projektziert werden, die präzise an deren Form angepasst sind. Doch damit nicht genug. Auch das Innere der schmucken Villa birgt jede Menge Überraschungseffekte. Jeder einzelne Raum ist ein Kunstwerk für sich. Wie etwa jener, dessen Wände in verschiedenen Farben angestrichen sind, die sich wiederum in den einzelnen Parkettstäben des Holzfußbodens wiederholen. Ein komplett buntes Zimmer also, in dem auch die Fensterscheiben nicht ausgespart sind. Durch Farbprojektionen ändert sich obendrein noch das Raumlicht. Und dieses Licht wiederum reagiert auf die Bewegungen der Menschen, die sich darin aufhalten. „Visualisierung von Frequenzen“, erklärt der Berliner Klang- und Konzeptkünstler Enrico Krachmann das, was im „bunten Raum“passiert.
Ein Ende ist nicht in Sicht
Eindrucksvoll geht es mit dem schwarz-weißen Raum weiter. Ein traumhaft blauer Raum fasziniert mit seinen Spezialeffekten, der Dachboden mit seiner symbolhaften und mystischen Gestaltung. Ein anderer Raum wiederum ist der Realität gewidmet und thematisiert in atmosphärisch spürbarer Wirklichkeit die Flüchtlingsproblematik der EU. Manche Räume sind Einzelarbeiten, andere wiederum sind in Gemeinschaftsarbeit entstanden. Dadurch vereinen sich verschiedene Stile und Grenzen werden aufgehoben. Wenige haben angefangen, etwas zu ma- chen, immer mehr kamen hinzu. Letztendlich ist etwas Dynamisches entstanden, was niemals fertig sein wird. Auch dann noch nicht, wenn im September die Bagger anrollen und die Villa mitsamt ihrer Kunst dem Erdboden gleichmachen, damit an ihrer Stelle ein Wohnungsbau entsteht.
Doch genau das ist die Grundlage, auf der sich die Villa Vagabunt entwickeln konnte. Gewissermaßen das Konzept. Denn, so erklärt Ronald Rigo, „es geht um den Ressourcenverbrauch“. Der 33-jährige Lochauer Software- und IT-Unternehmer, der einst in Berlin studierte und seine Freunde aus der Berliner Kunstszene an den See geholt hat, ist mit dem Vorarlberger Bauunternehmer Hubert Rhomberg befreundet. Einen „visionären Vorausdenker in seiner Branche“nennt er ihn und erzählt von jenem Abend Ende Mai auf Rhombergs Terrasse, an dem die beiden bei einer guten Flasche Rotwein die Idee entwickelten, mit dem KFL (Kunst-Fertig-Los) jenen Verein aus dem Dornröschenschlaf wieder zu erwecken, der in den 90er-Jahren schon als avantgardistisch galt, und der Rhomberg erlaubte, das auszuleben, was sich in seinem Unternehmen nicht umsetzen ließ. Und zwar indem Rhomberg das „Weißhaus“, das im Besitz seines Unternehmens ist, Künstlern zur Verfügung stellt, damit sie es zu einem kreativen Ort machen. Ein neues „Raumkonzept“eben, bei dem es, wie Rigo erklärt, um die „Bespielung toter Räume mit Aktionskunst“gehe. Es soll ein Zeichen setzen und zeigen, „wieviel geht, wenn was da ist“.
Selbstfinanziertes Projekt
„Wir hatten kein Budget. Wir haben nur das verwendet, was da war: Das Haus“, versichert Rigo und erklärt, dass das „Community-Projekt“sich selbst finanziert. So haben etwa die Berliner Streetartkünstler „artbase“den Erlös, den sie bei einem eigens für diesen Zweck organisierten Festival in Berlin eingenommen haben, in die Vagabunt-Community eingebracht. Kollektive, wie Stillawake oder OTO aus Lindau, haben aus Liebe zur Elektronik Partys veranstaltet. Auch einzelne, wie etwa ein Lindauer Malergeschäft, haben das Projekt unterstützt, indem sie Farben gespendet haben. Oder aber die Künstler haben den Ordensschwestern vom Kloster Quicken ein Tag lang auf dem Feld geholfen und dafür Gemüse und Kartoffeln bekommen. „Wir haben viele Unterstützer, die entweder Promotion oder Acts machen, Material spenden oder einfach mit einem Topf Nudeln vorbeikommen“, erklärt Theresa Dittus. Wie Rigo gehört auch sie zum Kern der Vagabunt-Community, die vor zwei Monaten mit zehn Künstlern startete, auf über 30 anstieg und mittlerweile knapp 700 Follower auf Facebook hat. Eine im Fluss befindliche Community, zu der auch jetzt noch neue Leute mit neuen Ideen hinzukommen und neue Prozesse anstoßen. „Dass spannendste war, dass nicht wirklich ein Ziel da war, außer dass aus weiß bunt wird“, sagt die 29jährige Lindauerin. Aus dieser „Ziellosigkeit“heraus, 60 Tagen und rund 10 000 Arbeitsstunden später, habe sich auch die Idee entwickelt, das Ganze größer aufzuziehen. Bis zum Abriss der Villa im September präsentiert sich deshalb die Community mit ihrer Villa Vagabunt jedes Wochenende mit „Vernissagen“, die sich niemals gleichen. „Wir führen die Braut zum letzten Tanz“, sagt Rigo. Was nicht etwa heißen soll, dass mit dem Abriss für alles andere Schluss sei. „Nur die Villa ist dann passé“, sagt er und erzählt, dass sich in Lindau bereits Leute für ein ähnliches Projekt interessieren.
Jeden Freitag und Samstag, von 18.18 Uhr bis 24.20 Uhr, findet in der Villa Vagabunt, in Hörbranz, Unterhochsteg 14, eine Vernissage mit Liveacts statt. Veranstalter ist der wieder zum Leben erweckte Verein KFL ( Kunst- Fertig- Los). Für Mitte September ist eine Finissage geplant, die zum einen den Schlusspunkt für dieses Kunstprojekt setzt, zum anderen dessen Höhepunkt bilden soll.