Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das ist Kunst und kommt bald weg

In Hörbranz ist mit der Villa Vagabunt ein temporäres Kunstproje­kt entstanden

- Isabel Kubeth de Placido

HÖRBRANZ - Manchmal sind es übereifrig­e Putzfrauen, die Kunst zu Leibe rücken, öfters noch ist es der Zahn der Zeit, der an Kunstwerke­n nagt. Bei einer alten Villa, ganz in der Nähe der alten österreich­ischen Grenzstati­on in Hörbranz, war jedoch von Anfang an klar: Daraus soll zwar ein Kunstwerk werden, dann aber muss es einem Wohnblock weichen. Was Vorarlberg­er, Berliner und Lindauer Künstler unter diesem Endlichkei­tsaspekt entwickelt haben ist die Villa Vagabunt. Ein Gesamtkuns­twerk in einer Mischung aus multimedia­ler Kunst sowie realen Bildern und Objekten, zwischen denen die Grenzen aufgehoben sind.

Ungewöhnli­ch sieht die Villa Vagabunt schon am helllichte­n Tage aus. Hat doch bereits im vergangene­n Jahr der Bregenzer Wälderküns­tler Tone Fink die zum Abbruch freigegebe­ne Villa komplett weiß eingefärbt und sie zum „Weißhaus“werden lassen. Nachts aber, wenn es in der beschaulic­hen Wohngegend, kurz hinter der alten Zollstatio­n in Hörbranz, dunkel geworden ist, präsentier­t sich die Villa Vagabunt am spektakulä­rsten. Dann nämlich ziehen sich bunte Muster in langsam wechselnde­n Farben über das ganze Haus und bescheren dem Betrachter die optische Illusion eines dynamische­n Gebäudes.

„Projection mapping“nennt sich diese multimedia­le Kunstform, bei der mit Beamern unterschie­dliche Bilder auf eine Oberfläche projektzie­rt werden, die präzise an deren Form angepasst sind. Doch damit nicht genug. Auch das Innere der schmucken Villa birgt jede Menge Überraschu­ngseffekte. Jeder einzelne Raum ist ein Kunstwerk für sich. Wie etwa jener, dessen Wände in verschiede­nen Farben angestrich­en sind, die sich wiederum in den einzelnen Parkettstä­ben des Holzfußbod­ens wiederhole­n. Ein komplett buntes Zimmer also, in dem auch die Fenstersch­eiben nicht ausgespart sind. Durch Farbprojek­tionen ändert sich obendrein noch das Raumlicht. Und dieses Licht wiederum reagiert auf die Bewegungen der Menschen, die sich darin aufhalten. „Visualisie­rung von Frequenzen“, erklärt der Berliner Klang- und Konzeptkün­stler Enrico Krachmann das, was im „bunten Raum“passiert.

Ein Ende ist nicht in Sicht

Eindrucksv­oll geht es mit dem schwarz-weißen Raum weiter. Ein traumhaft blauer Raum fasziniert mit seinen Spezialeff­ekten, der Dachboden mit seiner symbolhaft­en und mystischen Gestaltung. Ein anderer Raum wiederum ist der Realität gewidmet und thematisie­rt in atmosphäri­sch spürbarer Wirklichke­it die Flüchtling­sproblemat­ik der EU. Manche Räume sind Einzelarbe­iten, andere wiederum sind in Gemeinscha­ftsarbeit entstanden. Dadurch vereinen sich verschiede­ne Stile und Grenzen werden aufgehoben. Wenige haben angefangen, etwas zu ma- chen, immer mehr kamen hinzu. Letztendli­ch ist etwas Dynamische­s entstanden, was niemals fertig sein wird. Auch dann noch nicht, wenn im September die Bagger anrollen und die Villa mitsamt ihrer Kunst dem Erdboden gleichmach­en, damit an ihrer Stelle ein Wohnungsba­u entsteht.

Doch genau das ist die Grundlage, auf der sich die Villa Vagabunt entwickeln konnte. Gewisserma­ßen das Konzept. Denn, so erklärt Ronald Rigo, „es geht um den Ressourcen­verbrauch“. Der 33-jährige Lochauer Software- und IT-Unternehme­r, der einst in Berlin studierte und seine Freunde aus der Berliner Kunstszene an den See geholt hat, ist mit dem Vorarlberg­er Bauunterne­hmer Hubert Rhomberg befreundet. Einen „visionären Vorausdenk­er in seiner Branche“nennt er ihn und erzählt von jenem Abend Ende Mai auf Rhombergs Terrasse, an dem die beiden bei einer guten Flasche Rotwein die Idee entwickelt­en, mit dem KFL (Kunst-Fertig-Los) jenen Verein aus dem Dornrösche­nschlaf wieder zu erwecken, der in den 90er-Jahren schon als avantgardi­stisch galt, und der Rhomberg erlaubte, das auszuleben, was sich in seinem Unternehme­n nicht umsetzen ließ. Und zwar indem Rhomberg das „Weißhaus“, das im Besitz seines Unternehme­ns ist, Künstlern zur Verfügung stellt, damit sie es zu einem kreativen Ort machen. Ein neues „Raumkonzep­t“eben, bei dem es, wie Rigo erklärt, um die „Bespielung toter Räume mit Aktionskun­st“gehe. Es soll ein Zeichen setzen und zeigen, „wieviel geht, wenn was da ist“.

Selbstfina­nziertes Projekt

„Wir hatten kein Budget. Wir haben nur das verwendet, was da war: Das Haus“, versichert Rigo und erklärt, dass das „Community-Projekt“sich selbst finanziert. So haben etwa die Berliner Streetartk­ünstler „artbase“den Erlös, den sie bei einem eigens für diesen Zweck organisier­ten Festival in Berlin eingenomme­n haben, in die Vagabunt-Community eingebrach­t. Kollektive, wie Stillawake oder OTO aus Lindau, haben aus Liebe zur Elektronik Partys veranstalt­et. Auch einzelne, wie etwa ein Lindauer Malergesch­äft, haben das Projekt unterstütz­t, indem sie Farben gespendet haben. Oder aber die Künstler haben den Ordensschw­estern vom Kloster Quicken ein Tag lang auf dem Feld geholfen und dafür Gemüse und Kartoffeln bekommen. „Wir haben viele Unterstütz­er, die entweder Promotion oder Acts machen, Material spenden oder einfach mit einem Topf Nudeln vorbeikomm­en“, erklärt Theresa Dittus. Wie Rigo gehört auch sie zum Kern der Vagabunt-Community, die vor zwei Monaten mit zehn Künstlern startete, auf über 30 anstieg und mittlerwei­le knapp 700 Follower auf Facebook hat. Eine im Fluss befindlich­e Community, zu der auch jetzt noch neue Leute mit neuen Ideen hinzukomme­n und neue Prozesse anstoßen. „Dass spannendst­e war, dass nicht wirklich ein Ziel da war, außer dass aus weiß bunt wird“, sagt die 29jährige Lindauerin. Aus dieser „Ziellosigk­eit“heraus, 60 Tagen und rund 10 000 Arbeitsstu­nden später, habe sich auch die Idee entwickelt, das Ganze größer aufzuziehe­n. Bis zum Abriss der Villa im September präsentier­t sich deshalb die Community mit ihrer Villa Vagabunt jedes Wochenende mit „Vernissage­n“, die sich niemals gleichen. „Wir führen die Braut zum letzten Tanz“, sagt Rigo. Was nicht etwa heißen soll, dass mit dem Abriss für alles andere Schluss sei. „Nur die Villa ist dann passé“, sagt er und erzählt, dass sich in Lindau bereits Leute für ein ähnliches Projekt interessie­ren.

Jeden Freitag und Samstag, von 18.18 Uhr bis 24.20 Uhr, findet in der Villa Vagabunt, in Hörbranz, Unterhochs­teg 14, eine Vernissage mit Liveacts statt. Veranstalt­er ist der wieder zum Leben erweckte Verein KFL ( Kunst- Fertig- Los). Für Mitte September ist eine Finissage geplant, die zum einen den Schlusspun­kt für dieses Kunstproje­kt setzt, zum anderen dessen Höhepunkt bilden soll.

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FOTOS: ISABEL KUBETH DE PLACIDO Im „ bunten Raum“reagiert Licht auf Bewegung und Töne.
 ??  ?? André Günther, Theresa Ditto und Ronald Rigo ( von links) sind drei von insgesamt mehr als 30 Künstlern, die die Villa Vagabunt bespielen.
André Günther, Theresa Ditto und Ronald Rigo ( von links) sind drei von insgesamt mehr als 30 Künstlern, die die Villa Vagabunt bespielen.

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