Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Waldrappe kommen in Italien an
Ein Team aus Österreich zeigt den Jungvögeln mit Ultraleichtfluggeräten den Weg in den Süden
Menschen zeigen den seltenen Vögeln den Weg ins Winterquartier.
ÜBERLINGEN - Die Waldrappe aus Hödingen bei Überlingen haben ihr Winterquartier in der Toskana erreicht. Begleitet von ihren Ziehmüttern Corinna Esterer und Anne-Gabriela Schmalstieg und deren Piloten, die ihnen mit Ultraleichtfluggeräten den Weg in den Süden zeigten, landeten sie am Dienstag im italienischen WWF-Schutzgebiet Laguna di Orbetello.
Waldrappe sind in Mitteleuropa so gut wie ausgestorben. Eine Kolonie gibt es noch im Tierpark Rosegg in Kärnten in Österreich. Doch weil sie in Volièren leben und gefüttert werden, haben die Zugvögel den Weg in den Süden vergessen. Sollen Jungvögel also wieder ausgewildert werden, muss ihnen jemand den richtigen Weg ins Winterquartier zeigen. Diese Aufgabe übernimmt das Waldrappteam aus Österreich, das der Verhaltensforscher Johannes Fritz 2002 gegründet hat. Es zieht Küken, die im Tierpark geschlüpft sind, von Hand auf und zeigt ihnen mit zwei Ultraleichtfluggeräten den Weg über die Alpen in den Süden. Ohne menschliche Hilfe würden sie in die falsche Richtung fliegen. Doch einmal gelernt, finden sie ihn selbst immer wieder – und zeigen ihn den jüngeren Artgenossen.
Von den 31 Waldrappen, die am 15. August in Hödingen starteten, kamen 29 am Ziel an. Ein Fuchs war in der zweiten Nacht in die Volière eingedrungen und hatte zwei der Jungvögel gebissen. „So etwas ist vorher noch nie vorgekommen“, sagt Corinna Esterer. Die Ziehmütter konnten den Fuchs zwar verscheuchen, doch beide Vögel wurden durch den Angriff verletzt. Einer der Vögel starb in der Nacht darauf, der andere konnte sich nicht schnell genug erholen, um den Zug in den Süden fortzusetzen. Er wurde in eine Vogelstation gebracht und dort gesundgepflegt.
Vögel erreichen gute Flughöhe
Die 29 Vögel, die nun in der Toskana angekommen sind, sind die komplette Strecke selbst geflogen. „Und zwar sehr gut“, sagt Corinna Esterer. Zuvor sei es immer wieder vorgekommen, dass einzelne Vögel den Flug verweigerten und transportiert werden mussten. Doch diesmal war das nicht nötig. „Die Vögel sind sehr hoch geflogen, über 2500 und sogar 2600 Meter“, berichtet sie. So weit oben seien sie bisher noch nie unterwegs gewesen. Doch diese Flughöhe sei sehr gut, um die Alpen zu überqueren.
Einmal attackierte ein Steinadler die ungewöhnliche Reisegruppe. „Ich vermute aber, dass der Steinadler noch sehr jung war. Er hatte keine Chance“, sagt die Ziehmutter. Die Waldrappe ließen sich dadurch nicht irritieren. Der Steinadler habe es nicht einmal geschafft, die Jungvögel zu verscheuchen, geschweige denn Beute zu machen.
Waldrappe wollen nicht fliegen
Obwohl das Waldrappteam und die Vögel immer wieder mehrtägige Flugpausen einlegten, kamen sie gut voran. „Wir waren die ganze Zeit relativ schnell unterwegs“, sagt Corinna Esterer. Nur einmal folgten die Vögel ihren Ziehmüttern nicht, und zwar kurz vor dem Ziel. Am Tag der eigentlich letzten geplanten Etappe waren sie nicht zu motivieren. „Am Montag wollten wir direkt nach Orbetello fliegen“, berichtet sie. Aber die Vögel wollten nicht mitfliegen. Sie verweigerten es einfach, den Ziehmüttern in den Ultraleichtfluggeräten zu folgen. „Wenn sie nicht wollen, wollen sie nicht“, sagt Corinna Esterer.
Einen Tag später waren die Vögel aber wieder in Reiselaune. „Sie waren super brav dabei“, sagt die Ziehmutter. Für sie war die Landung am Ziel der Höhepunkt der Reise. Der Wind sei dort immer sehr stark. „Es war gerade so an der Grenze, dass wir mit den Fluggeräten fliegen können“, sagt sie. Die Waldrappe sind jetzt in einer Volière. Sie wissen noch nicht, dass sie ihr Ziel erreicht haben. Corinna Esterer und Anne-Gabriela Schmalstieg werden die Jungvögel jetzt schrittweise entwöhnen. Sie hören auf, ihnen das Futter direkt in den Schnabel zu geben. Stattdessen legen sie es aus, sodass die Vögel lernen, es selbst zu suchen. Nach und nach ziehen sie sich aus der Volière zurück und lassen die Vögel dann hinaus, damit sie die dort wild lebenden Waldrappe kennenlernen und sich ihnen anschließen können. Erst dann sind sie wirklich angekommen.
Beim Freilassen der Vögel spüren die Ziehmütter keinen großen Trennungsschmerz. „Wir sind froh, wenn die Vögel frei sind und draußen in der Natur selbstständig leben können“, sagt sie. „Das ist das Ziel, auf das wir den ganzen Sommer hinarbeiten.“