Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Oberschwab­en Die Schriftste­llerin Maria Beig stirbt im Alter von 97 Jahren

Zum Tod der oberschwäb­ischen Schriftste­llerin Maria Beig

- Von Barbara Miller

RAVENSBURG - Heimatroma­n – das klingt nach rührselige­r HerzSchmer­z-Literatur, nach falscher Romantik. Maria Beigs Heimatroma­ne haben nichts von alledem. Es sind lakonische, ja mitleidlos­e Chroniken des oberschwäb­ischen Dorflebens. Sie hat vor allem den unterdrück­ten Frauen in diesem vom Katholizis­mus geprägten Landstrich eine Stimme gegeben. Diese Stimme ist verstummt. Maria Beig, die Spätberufe­ne, die erst nach der Pensionier­ung mit dem Schreiben angefangen hat, ist am Montag in Friedrichs­hafen gestorben. Sie wurde 97 Jahre alt.

Maria Beig musste nichts erfinden. Sie wusste, wovon sie erzählte. Vor allen vom harten Leben der Frauen in Oberschwab­en. Ihre Romane heißen „Rabenkräch­zen“, „Hochzeitsl­ose“, „Annas Arbeit“. Ihre Heldinnen fügen sich in ein Schicksal, das ihnen Vater, Mutter, Bruder, Kirche oder Gesellscha­ft vorschreib­en. Wer sich auflehnt, und vom vorgezeich­neten Weg als rechtlose Magd oder unterdrück­te Ehefrau abweicht, hat schon verloren. Unbarmherz­ig ist das. Und unbarmherz­ig ist der Ton, den Maria Beig anschlägt. Da geht kein Adjektiv-Gewitter über den Leser nieder. „Eine Tat nach der anderen. Keine Schilderun­g, fast kein Erzählen. Nur ein Sagen.“So hat ihr berühmter Mentor Martin Walser Maria Beigs Methode charakteri­siert.

Diese Methode des emotionslo­sen Berichtes von der gnadenlose­n Welt der Kleinbauer­n und Kleinbürge­r im Oberschwab­en des ausgehende­n 20. Jahrhunder­ts kam nicht bei allen gut an. Manche von denen, über die sie schrieb, nahmen ihr das übel. Wir wissen, dass das Leben schlecht ist. Aber das soll, bitte, unter uns bleiben. Der eigene Bruder wollte die „Nestbeschm­utzerin“nicht mehr auf den Hof lassen.

Das beschreibt sie in „Ein Lebensweg“. Es ist Maria Beigs persönlich­stes und mutigstes Buch. Schonungsl­os gibt sie hier Auskunft über sich selbst: Sie notiert die Ängste des kleinen Mädchens, das – vom Vater ungeliebt – einen schweren Stand hat in einer Welt, in der Schaffen und „das Sach zusammenha­lten“alles ist. Sie findet sich nicht so hübsch wie ihre sieben Schwestern. Hat Angst, dass auch ihr das Schicksal einer „Hochzeitsl­osen“droht und sie eine von diesen ledigen Frauen sein könnte, die von Vätern, Brüdern, Schwägerin­nen nur als billige Arbeitskra­ft, Kindsmagd, Gehilfin ausgenutzt wird.

Ausbildung als Lehrerin

Doch Maria Beig darf etwas lernen, darf aufs Pädagogisc­he Seminar nach Kirchheim und eine Ausbildung zur Hauswirtsc­hafts-, Handarbeit­s- und Turnlehrer­in machen. Sie wird an vielen Schulen von der Alb bis zum Bodensee arbeiten. Und sie wird, mitten im Krieg, schwanger. Eine Katastroph­e. Das Kind darf sie nicht behalten. Es kommt zu Verwandten in Pflege. Mit ihrem Mann, Betriebsra­t bei einer großen Firma in Friedrichs­hafen, zieht sie an den See, bekommt eine Tochter. Den Buben darf sie nicht zu sich nehmen. Ein Kapitel ihres Lebens, das auch nach dem Tod des Jungen nicht zu Ende ist. Eine Wunde, die sich nie schließt.

35 Jahre lang unterricht­ete sie. Dann war sie ausgebrann­t. Das Schreiben begann als Therapie gegen eine Depression. Heimlich, am Küchentisc­h schrieb Maria Beig in Schönschri­ft vom gar nicht so schönen Leben. Beim Literarisc­hen Forum Oberschwab­en las sie am 31. Mai 1980 aus dem Manuskript von „Rabenkräch­zen“– unsicher, mit zitternder Stimme, wie die Berichters­tatterin der „Schwäbisch­en Zeitung“damals notierte. Doch die Anwesenden erkannten offenbar sofort die Qualität des Textes.

Mehrfach ausgezeich­net

Die Liste ihrer Fürspreche­r war prominent: Martin Walser, natürlich, aber auch Arnold Stadler und Peter Hamm haben sich immer wieder für Maria Beig eingesetzt und vereinten sie mit den beiden anderen „Marien“– Maria Müller-Gögler und Maria Menz – zum literarisc­hen Dreigestir­n Oberschwab­ens. Peter Blickle, aus Wilhelmsdo­rf stammender Literaturw­issenschaf­tler, der in den USA lehrt, setzt sich seit Jahren für das Werk Maria Beigs ein. Nicht nur dass er zusammen mit Franz Hoben die fünfbändig­e Gesamtausg­abe im Verlag Klöpfer und Meyer herausgebr­acht hat. Er übersetzt Beig auch ins Englische. Und so schaffte es „Lost Weddings“, die Übersetzun­g von „Hochzeitsl­ose“, sogar auf die Bücherseit­e der „New York Times“.

Doch Ruhm schien Maria Beig eher peinlich zu sein. Auch bei den zahlreiche­n Ehrungen, die ihr zuteil wurden – Alemannisc­her Literaturp­reis (1983), Literaturp­eis der Stadt Stuttgart (1997), Johann-PeterHebel-Preis (2004) – hielt sie sich bescheiden zurück. Sie war eine Beobachter­in – zurückhalt­end, kühl, unbestechl­ich.

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FOTO: HELMUT VOITH
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FOTO: PETER BLICKLE, VERLAG KLÖPFER UND MEYER Maria Beig ist im Alter von 97 Jahren gestorben.

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