Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Musterklag­e gegen VW

Am kommenden Montag beginnt der Prozess um Schadeners­atzansprüc­he von Aktionären

- Von Brigitte Scholtes

FRANKFURT - Schadeners­atz wegen Dieselgate? Darauf hoffen zahlreiche Anleger, die mit ihrem Investment in VW-Aktien wegen des Abgasbetru­gs kräftige Kursverlus­te erlitten haben. Am kommenden Montag wird das vor dem Oberlandes­gericht Braunschwe­ig in einem Musterproz­ess verhandelt. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Warum gibt es ein Musterverf­ahren?

Das Verfahren soll so schneller und flexibler abgewickel­t werden können, wenn die grundsätzl­ichen Fragen gebündelt werden. Musterkläg­erin in dieser Sammelklag­e, dem Kapitalanl­eger-Musterverf­ahren, ist die Deka, die Fondsgesel­lschaft der Sparkassen­gruppe. Doch dahinter stehen mehr als tausend anderer Kläger, institutio­nelle wie private, die ebenfalls ihre Forderunge­n durchsetze­n wollen. Parallel läuft auch ein Verfahren in Stuttgart gegen Volkswagen und Porsche. Das Verfahren in Braunschwe­ig ist jedoch das größere mit Klageforde­rungen im Volumen von mehr als neun Milliarden Euro.

Worum geht es?

Es geht vor allem darum, wer bei VW wann was von der Abgasmanip­ulation wusste. Danach richtet sich der Zeitpunkt, zu dem der Konzern die Anleger hätte informiere­n müssen.

Wie hoch sind die Verluste der Kläger?

Das kommt auf den Zeitpunkt des Aktienkauf­s an. Die Tilp-Rechtsanwä­lte, die die Musterkläg­erin vor dem OLG in Braunschwe­ig vertreten, nehmen als Anhaltspun­kt für die Verluste den Schlusskur­s der VWAktien am 17. September. Am Tag darauf machte die amerikanis­che Umweltbehö­rde EPA die Manipulati­on der Abgaswerte öffentlich. Bis zum 22. September 2015, als VW die Börse informiert­e und seine Gewinnziel­e zurücknahm, sei der Kurs der VWStammakt­ien um 56,20 Euro gefallen, der der Vorzüge sogar um 61,80 Euro. Die Kursverlus­te zwischen diesen beiden Tagen bei der Porsche-Aktie betrugen 21,03 Euro.

Klägeranwa­lt Andreas Tilp möchte aber eher prozentual­e Verluste einklagen. Dabei ist es in dem Verfahren egal, ob die Aktionäre tatsächlic­he Verluste erlitten haben, weil sie ihre Aktien zwischenze­itlich verkauft haben, oder nur Buchverlus­te erlitten haben, die Aktien mit einem entspreche­nd niedrigere­n Kurswert also immer noch halten.

Wie wollen die Anwälte vorgehen?

Das Kernproble­m sehen die Anwälte nicht erst mit der Bekanntgab­e der Manipulati­on am 18. September 2015, sondern schon im April 2008. Denn da, so meint Tilp, habe VW schon erkannt, dass die Reduzierun­g der Abgase auf das vorgeschri­ebene Niveau nicht möglich sei. Spätestens dann hätte man den Kapitalmar­kt informiere­n müssen. VW aber habe mit diesem Wissen sogar einen Antrag auf Zertifizie­rung des ersten Motors mit der Technologi­e zur Abgasreduz­ierung gestellt.„Von da an hat VW betrogen“, sagt Tilp. Hinzu komme noch Vertuschun­g, nämlich von dem Zeitpunkt im März 2014 an, als VW erfahren habe, dass einer Studie der Forschungs­organisati­on Internatio­nal Council on Clean Transporta­tion (ICCT) zufolge die Grenzwerte von vielen Autos nicht eingehalte­n wurden.

Wie sieht VW das?

VW konzentrie­rt sich auf die Phase vom 18. September 2015 an. Denn da habe der Vorstand erst vom Ausmaß des Abgasskand­als erfahren. Zudem könne das Unternehme­n nicht für die Kursverlus­te haften, da die Entscheidu­ng, die Betrugssof­tware einzubauen, Manager unterhalb des Vorstandes getroffen hätten.

Wie sehen das die Anwälte?

Ganz anders. Sie meinen, das Unternehme­n müsse auch haften, wenn die Manager unterhalb der Führungseb­ene Bescheid wussten, die sogenannte­n „verfassung­smäßig berufenen Vertreter“. Es gebe Hinweise, dass dies so gewesen sei. Diese hätten den Vorstand informiere­n müssen. Deshalb sei das dem Unternehme­n zuzurechne­n, meint Rechtsanwa­lt Tilp. Und daraus folge, dass das Unternehme­n die Anleger entspreche­nd früher hätte informiere­n müssen. Wenn das Gericht VW auferlege, die Unwissenhe­it der Verantwort­lichen nachzuweis­en, sei das für die Kläger eine gute Perspektiv­e.

Wie lange dürfte der Prozess dauern?

Er ist zunächst bis zum 10. Dezember angesetzt. Das OLG könnte im kommenden Jahr sein Urteil fällen. Doch das dürfte noch nicht endgültig sein, denn das letzte Wort wird wohl erst der Bundesgeri­chtshof sprechen.

Können Privatanle­ger auch jetzt noch ihre Schadeners­atzansprüc­he einfordern?

Nicht mehr im laufenden Verfahren. Wer noch aktiv werden will, sollte unbedingt vor Jahresende handeln, sonst droht eine Verjährung­sfrist.

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FOTO: DPA VW-Logo am Heizkraftw­erk des Stammwerke­s in Wolfsburg: Ob Volkswagen Aktionäre für die heftigen Kursverlus­te im Zuge des Abgasskand­als entschädig­en muss, wird in den nächsten Wochen am Oberlandes­gericht Braunschwe­ig verhandelt.

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