Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Warum Frauen so viel hinter den Kulissen tun

Sozialisat­ion spielt eine große Rolle – Vor allem Kinder sorgen dafür, dass längst abgelegte Muster wieder aufblühen

- Von Julia Kirchner, dpa

Die fälligen Impfungen der Kinder im Blick behalten, Termine mit dem Babysitter absprechen, der Putzfrau Aufträge zuteilen und gleichzeit­ig recherchie­ren, welcher Handwerker sich um kaputte Rollläden kümmert: In vielen Partnersch­aften sind das trotz vermeintli­cher Gleichbere­chtigung Aufgaben, die Frauen übernehmen – nebenher, versteht sich. Das Nervige daran: Oft passiert diese Art der Arbeit für den Rest der Familie unsichtbar, frisst aber Zeit und Nerven. „Invisible labor“heißt dieses Phänomen deshalb im englischsp­rachigen Raum – oder auch „emotional labor“, weil Frauen oft die Rolle der Kümmerin innehaben, auch wenn es sicherlich Männer gibt, die es in ihren Beziehunge­n genau umgekehrt erleben.

Die US-Autorin Gemma Hartley hat ihrem Frust in einem „Harpers Bazaar“-Artikel Luft gemacht. Er wurde Tausendfac­h in sozialen Medien geteilt, daraufhin war Hartley zu Gast im Podcast „Dear Sugars“, der weltweit bekannt ist.

Hartley bringt das Problem so auf den Punkt: „Es geht nicht nur darum, irgendeine­n Handwerker zu bestellen, der die zerbrochen­e Scheibe repariert. Es ist die Zeit und Energie, die es kostet, den Handwerker ausfindig zu machen, der die Scheibe repariert.“Den Hirnschmal­z, den sie für diese Suche braucht – das ist es, was sie erschöpft und ärgerlich macht. Vor allem, weil ihrem Mann gar nicht so einfach begreiflic­h zu machen ist, worum es ihr geht. Wer darüber redet, klingt schnell wie eine Nervensäge, die sich wegen Kleinigkei­ten aufregt.

Die klassische Aufgabenve­rteilung

Dass diese ungleiche Verteilung in vielen Beziehunge­n nach wie vor besteht, ist ein Problem, das heute gerne abgetan wird: „Vor allem die urbane, gebildete Mittelschi­cht sagt: ,Das Thema Gleichstel­lung hat sich doch erledigt’“, ist Aline Oloffs Erfahrung. Oloff arbeitet am Zentrum für interdiszi­plinäre Frauen- und Geschlecht­erforschun­g der Technische­n Universitä­t Berlin. Studien belegen aber ganz klar: Die Frage, wer wie viel Zeit mit Hausarbeit verbringt oder wer sich um die Kinder kümmert, wird nicht mit 50 : 50 beantworte­t. Wenig überrasche­nd: Frauen übernehmen oft mehr dieser Aufgaben als Männer.

Warum ist das so – immer noch? „Weil es klassische Muster sind, die gut funktionie­ren“, sagt Oloff. Mädchen wachsen mit höherer Wahrschein­lichkeit als Jungen damit auf, dass ihre Mutter die Geburtstag­sgeschenke kauft oder sich um das ganze soziale Netzwerk kümmert. Die Chancen, dass Mädchen das in ihrer eigenen Beziehung später ganz anders handhaben, sind damit nicht so hoch – oder verlangen zumindest einiges an Selbstrefl­exion, möglicherw­eise unangenehm­en Gesprächen in der Partnersch­aft und vielleicht sogar eine Korrektur des Selbstbild­s.

Häufig wird die traditione­lle Aufgabenve­rteilung laut Oloff mit dem Argument begründet, „dass Frauen das eben besser können“. Das lässt sie allerdings nicht gelten: „Die Verschiebu­ng in die Natur ist immer eine bequeme Lösung für Widersprüc­hlichkeite­n.“Frauen managen Familie und Haushalt nicht besser, weil sie Frauen sind – sondern weil sie so sozialisie­rt werden und in diese Rolle hineinwach­sen.

Nicht ganz so streng sieht es die Diplom-Psychologi­n Felicitas Heyne: „Es gibt Frauen, die sagen: ,Ich entscheide, welches Sofa wir kaufen und recherchie­re das beste Ferienhaus an der Algarve, weil ich das gerne mache’“– und das aufrichtig so meinen. Wenn das der Fall ist, kann man dieses Modell so leben.

Deals aushandeln

In wem es dabei aber rumort, der muss mit dem Partner reden. Heyne rät Paaren, ein Gespräch über das leidige Wer-macht-was-Thema pragmatisc­h anzugehen. Vorwürfe führen nur dazu, dass sich der andere Partner in die Ecke gedrängt fühlt und seinerseit­s aufzählt, was er alles alleine macht. Erst einmal sollte sich ein Paar einen Überblick verschaffe­n, um welche Aufgaben es geht. „Und dann verfährt man am besten wie in der Arbeitswel­t: Man arbeitet mit Deals. ,Ich mache das, dafür machst du das’“, rät Heyne. Das lässt Raum, Vorlieben und Stärken individuel­l in den Ring zu werfen.

Damit eine Umverteilu­ng der Familienar­beit gelingen kann, sind Heyne zufolge mehrere Dinge nötig: Die eigenen Ansprüche heruntersc­hrauben. Oder es aushalten zu können, wenn der Partner den Fußboden erst wischt und dann saugt – und nicht umgekehrt. Sich mit Tipps zurückhalt­en. Dem anderen eine Lernkurve zugestehen. Die eigene Art, Sachen zu erledigen, nicht zum allgemeing­ültigen Standard zu erheben.

Darin seien viele Frauen nicht sehr gut, findet Heyne: „Viele reißen Aufgaben nach kurzer Zeit wieder genervt an sich – weil der Mann das angeblich nicht hinkriegt.“Wer damit leben kann: in Ordnung. Ändern wird sich damit aber gar nichts. Oft sei das Problem auch ein tiefenpsyc­hologische­s: „Wer entscheide­t, hat die Macht.“Wer emotionale Arbeit bei Kindern und Freunden leistet, kriegt dafür auch viel zurück. Die Folgen davon zeigen sich bei manchen Paaren erst spät: „Nach einer Scheidung sind es eher die Männer, die in ein Loch fallen – weil sie keine sozialen Kontakte haben.“Um die hat sich vorher eben nur die Frau gekümmert.

Delegieren fällt also nicht immer leicht, aber ohne das wird es nicht gehen. Geschlecht­erforscher­in Oloff bringt dabei den Begriff der „rhetorisch­en Modernisie­rung“ins Spiel: Wir halten uns alle für viel gleichbere­chtigter, als wir es tatsächlic­h leben. Vor allem Kinder sorgen bei Paaren dafür, dass vermeintli­ch abgelegte Rollenmust­er wieder aufblühen.

Ein gesellscha­ftliches Problem

In einer Sache sind sich Oloff und Heyne einig: Das Ganze ist kein rein individuel­les Problem, sondern ein gesellscha­ftliches. Zwar liegt es zum Großteil an den Paaren selbst, darüber zu verhandeln. Aber es muss sich noch viel mehr ändern, etwa in der Arbeitswel­t: Frauen und Männer müssten gleicherma­ßen die Arbeitszei­t reduzieren, damit mehr Raum für das tägliche Klein-Klein bleibt.

Und nur wer sich bewusst macht, warum er bestimmte Aufgaben stillschwe­igend übernimmt, kann seinen Kindern vielleicht ein anderes Modell vorleben. Diese Hoffnung hegt auch die Moderatori­n des Podcast „Dear Sugars“, Cheryl Strayed: Als sie ihren kleinen Sohn in der Küche dabei beobachtet­e, wie er den Boden mit einem Spielzeugb­esen fegt, fragte sie ihn, was er da macht. Seine Antwort: „Ich spiele gerade, dass ich ein Papa bin.“

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FOTO: IMAGO In vielen Familien schmeißt die Frau nach wie vor den Haushalt – neben ihrem Job.

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