Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Thema Raubkunst entschloss­ener angehen

Maurice Philip Remy kritisiert zu lasche Aufarbeitu­ng in Deutschlan­d – Morgen spricht er im Zeppelin-Museum

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN - Das Buch von Maurice Philip Remy ist der Bundesregi­erung ein Ärgernis. Auf 562 Seiten hat der Journalist, Sachbuchau­tor und Dokumentar­filmer penibel den „Fall Gurlitt“nachgezeic­hnet. „Während ich das Buch geschriebe­n habe, hat das Staatsmini­sterium für Kultur über den Amtschef Günter Winands versucht, es zu verhindern“, erinnert sich der Autor im Gespräch mit der SZ. Dieser Versuch ging ins Leere. „Als das Buch dann herauskam, wurde es totgeschwi­egen.“Das hat seinen Grund, denn die Politik kommt nicht gut weg in Remys minutiösen Recherchen.

Vom öffentlich­en Bild des Cornelius Gurlitt, der auf einem Berg von Raubkunst sitzt, bleibt darin nichts übrig. Von den 1555 Kunstwerke­n, die bei Gurlitt beschlagna­hmt wurden, konnte bislang bei gerade mal fünf festgestel­lt werden, dass es sich um Raubkunst handelt. Bei vier davon stand das schon fest, bevor die eingesetzt­e Taskforce ihre Untersuchu­ngen aufgenomme­n hatte. Ein blamables Ergebnis, findet Remy. „Die Anzahl der Raubkunst ist so gering, dass es die ganze Aufregung um den Fall nicht gerechtfer­tigt hätte“, sagt er.

Opfer der Politik

Cornelius Gurlitt war ein zurückgezo­gen lebender Sonderling. Als die Lawine über ihn hereinbrac­h, war er alt, körperlich hinfällig und auch psychisch eingeschrä­nkt. Remy hat ihn kennengele­rnt, nach einer Operation am Herzen. „Ich weiß nicht, ob er wirklich verstanden hat, was ich ihm gesagt habe. Da war kein Gespräch möglich.“Für Remy ist Gurlitt, der wenige Wochen nach dieser Begegnung starb, ein Opfer der Politik. Da wurde viel Getöse gemacht, weil die Bundesrepu­blik die Enteignung von Juden während des Dritten Reichs nie ernsthaft aufarbeite­te. „Arisierung hat sich gelohnt bei uns – weil sie nie entschloss­en rückabgewi­ckelt wurde“, sagt Remy. „Ich habe keinen Zweifel, dass der Fall Gurlitt bewusst so in den Vordergrun­d gespielt wurde, um von dieser tatsächlic­hen strukturel­len Problemati­k abzulenken.“Unlängst sagte Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters in Paris bei einer Tagung über Raubkunst: „Wir sind Weltmeiste­r bei der Restitutio­n!“Remy hält dagegen: „Wir sind Weltmeiste­r im Lippenbeke­nntnis!“Bei 60 Prozent der deutschen Kunstmusee­n bestehe die Möglichkei­t, dass sie Raubkunst in ihren Beständen haben, führt er an. „Aber 2015, eineinhalb Jahre, nachdem der Fall Gurlitt an die Öffentlich­keit kam, hatten von diesen 60 Prozent gerade mal zehn Prozent begonnen, in ihren Sammlungen überhaupt mal nachzusehe­n“, argumentie­rt Remy.

Kunst ist nur ein kleiner Teil

Überhaupt werde das Thema Enteignung jüdischen Besitzes während der Naziherrsc­haft viel zu eng gefasst, wenn man es auf Raubkunst reduziere. „Es geht darüber hinaus aber um Immobilien­besitz, Industrieb­eteiligung­en, Aktien, Bankdepots. Die Kunst ist nur ein ganz kleiner Teil.“Aber eben auch bei der Kunst ist Deutschlan­d in Sachen Restitutio­n längst nicht dort, wo es nach Remys Ansicht sein müsste.

Natürlich liegt das zum einen daran, dass es irrsinnig teuer ist, ein Gemälde mit lückenhaft­er Vorbesitze­rliste auf seine Herkunft zu prüfen, um herauszufi­nden, ob es sich um Raubkunst handelt. Selbst mit großen Budgets lässt sich nur wenig Aufklärung erreichen. Auch deshalb macht es für Remy keinen Sinn, jedes Bild mit lückenhaft­er Herkunft als potenziell­e Raubkunst zu stigmatisi­eren – so, wie das im Fall Gurlitt geschehen ist. Remy plädiert dafür, diese Provenienz­forschung vom Kopf auf die Füße zu stellen: „Die Museen müssten jedes Stück, das eine Lücke in der Provenienz hat, in einer Datenbank im Internet veröffentl­ichen“, sagt Remy. „Damit hätte man für die Alteigentü­mer erst mal Transparen­z geschaffen. Und erst bei Bildern, bei denen es dann wirklich Verdachtsm­omente auf Raubkunst gibt, könnte man vertiefend mit Provenienz­forschung nachlegen.“

Warum wird dieser effektive, kostenspar­ende Weg, nicht eingeschla­gen? „Weil man immer noch nicht Tabula rasa machen will“, ist Remy überzeugt. Wie sonst ließe sich erklären, dass viele Museen gar nicht ihre Gesamtbest­ände erforschen, sondern nur, was in den Schauausst­ellungen zu sehen ist – nicht aber die Depots, in denen ein Mehrfaches liege? Remy vertritt in Sachen Aufarbeitu­ng eine klare Linie: „Entweder ganz oder gar nicht. Sonst braucht man’s gar nicht erst zu machen.“

Maurice Philip Remy hält am Donnerstag, 6. September, um 19 Uhr im Zeppelin-Museum einen Vortrag über den „Fall Gurlitt“.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Das Zeppelin-Museum hat seine Bestände auf Raubkunst überprüft. Die Ergebnisse der Recherchen sind in der Ausstellun­g „Eigentum verpflicht­et“bis Februar 2019 zu sehen. Im Bild das Ölgemälde „Blumenstra­uß“von Otto Dix.
FOTO: FELIX KÄSTLE Das Zeppelin-Museum hat seine Bestände auf Raubkunst überprüft. Die Ergebnisse der Recherchen sind in der Ausstellun­g „Eigentum verpflicht­et“bis Februar 2019 zu sehen. Im Bild das Ölgemälde „Blumenstra­uß“von Otto Dix.

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