Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die kleinere Schwester trägt Großes in sich

Viertelfin­aleinzug – die 20-jährige Naomi Osaka lässt den tollkühnen Plan ihres Vaters in New York vollends aufgehen

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NEW YORK (SID) - In New York bekam die Tenniswelt eine Ahnung davon, welch gewaltigem Druck diese junge Frau mit der wilden Lockenmähn­e ausgesetzt ist. Nach ihrem Einzug ins Viertelfin­ale der US Open kamen Naomi Osaka die Tränen, doch die Japanerin weinte nicht nur vor Freude. Viel mehr brach sich die Erleichter­ung Bahn, endlich den Erwartunge­n gerecht zu werden. „Jedes Mal bei einem Grand Slam bin ich gefragt worden, ob ich die dritte Runde überstehe. Als ich in Australien in der vierten Runde stand, haben die Leute gefragt: ,Kommst du noch weiter, oder war es das jetzt?‘“, erklärte Osaka ihren emotionale­n Ausbruch nach dem 6:3, 2:6, 6:4 gegen die Weißrussin Aryna Sabalenka.

Die Ansprüche an Osaka klingen unfair – immerhin ist sie erst 20 Jahre alt und spielt gerade mal ihr elftes Grand-Slam-Turnier. Sie leiten sich jedoch aus ihrer Geschichte ab und reichen weit über das Tennis hinaus.

Naomi Osaka wurde in der gleichnami­gen Stadt in Japan als Tochter einer Japanerin und eines New Yorkers mit Wurzeln in Haiti geboren. Mutter Tamaki galt durch die Liaison mit Léonard François als Schande für ihre Familie. Naomi Osaka ist für traditione­lle Kreise daher nur eine „Hafu“, eine Halbjapane­rin, ebenso wie ihre zwei Jahre ältere Schwester Mari.

Ein Grund für die Familie, in die USA zu ziehen. Naomi ist zwei Jahre alt, als ihr Vater einen tollkühnen Plan fasst: Seine Töchter sollen aufwachsen wie die Williams-Schwestern. „Die Blaupause war da. Ich musste ihr nur folgen“, sagte Léonard François der „New York Times“über sein Vorbild Richard Williams, der Serena und Venus von klein auf zu Tennisstar­s erzog.

Und tatsächlic­h sind Naomi und Mari Osaka Tennisprof­is geworden, das größere Potenzial besitzt die Kleinere. Ihr Münchner Trainer Sascha Bajin, lange Zeit im Team von Serena Williams, sagt über sie: „Ich habe fast acht Jahre lang mit Serena gearbeitet, und Naomis Waffen sind genauso groß wie ihre. Sie hat keine Angst vor der großen Bühne; ich glaube, dass sie etwas Großes in sich trägt.“

Das bewies Naomi Osaka bereits 2017, als sie in New York Titelverte­idigerin Angelique Kerber deklassier­te. In Indian Wells im März holte sie ihren ersten Titel, wenig später gewann sie in Miami gegen ihr großes Idol Serena Williams. In ihrem ersten GrandSlam-Viertelfin­ale trifft Osaka am heutigen Mittwoch in New York auf Lesia Zurenko aus der Ukraine.

Naomi Osakas Agent Stuart Duguid reibt sich bereits die Hände, vor den Sommerspie­len 2020 in Tokio sind die Vermarktun­gsmöglichk­eiten in Asien und den USA grenzenlos. Doch Duguid denkt darüber hinaus. Er hofft, dass Osaka „die Wahrnehmun­g“der Hafu in Japan zum Positiven verändert. „Sie kann eine Botschafte­rin des Wandels sein“, sagt Duguid. Viel Druck für eine 20-Jährige, die auf dem Tennisplat­z selbst die größten Erwartunge­n an sich hat.

Da können schon mal Tränen fließen.

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FOTO: IMAGO Bis jetzt allem Druck standgehal­ten: Naomi Osaka.

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