Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Neuer Liebling gesucht
Nach dem Rücktritt von Mesut Özil sucht Joachim Löw einen neuen Spielmacher
MÜNCHEN (falx/SID/dpa) - Ein Nachfolger von Format musste es sein. Einer, der ausfüllt, den die Last nicht erdrückt, der trotz allem befreit aufspielt – und vom Trainer gemocht wird. Groß sind das Erbe und die Bedeutung. Der designierte Kandidat sieht sich bereit für sein Amt: „Ich habe breite Schultern, ich glaube, ich passe da rein“, sagte der 22-jährige Julian Brandt. Doch ist der Anlass hier mehr optischer Natur. Der Leverkusener übernimmt die berühmte Trikotnummer 10 in der deutschen Nationalelf. Vor ihm hatte sie der unter großer Aufmerksamkeit zurückgetretene Mesut Özil getragen. Damit wäre die Kleidernachfolge ohne großes Bohei abgehakt. Wer jedoch das spielerische Erbe des Spielgestalters antritt, nebenbei noch des Bundestrainers Lieblingsschüler, ist eine Frage von ganz anderem Kaliber.
Bei der Suche nach dem neuen Özil nehmen auch System und Spielweise eine Schlüsselrolle ein. „Je nach Gegner und dem, was der Trainer vorhat, gibt es eine Paradebesetzung“, formuliert Thomas Müller. Löw sieht es als „wichtigste Erkenntnis“der WM-Pleite, „dass wir unsere Spielweise adaptieren müssen“. Flexibler, variabler, stabiler soll seine Mannschaft agieren. Dazu sollen die Stars schneller und vor allem häufiger in die Tiefe passen. Will heißen: Nicht immer braucht es einen wie Özil. Dennoch ist im von Löw bevorzugten 4-2-3-1 oder einem 4-3-3 ein Regisseur zwingend vorgesehen. „Wir haben viele Spielertypen, die auf dieser Position spielen können“, sagte Müller, „jeder hat ein eigenes Profil.“Und die Spielgestalter und neuen Lieblinge bringen sich bereits in Stellung. Die Kandidaten für Özils Nachfolge, für den neuen Lieblingsschüler:
„Ich mach’ kein Hehl daraus, dass ich gerne auf der Zehn spiele“, sagt zum Beispiel Und tatsächlich dürfte der Dortmunder die besten Karten haben, wenn Joachim Löw beim Neustart am Donnerstag (20.45 Uhr/ZDF) in der Nations League gegen Weltmeister Frankreich einen Özil-Nachfolger sucht. Als der Bundestrainer jüngst in Russland gegen Schweden (2:1) erstmals seit 2008 bei EM oder WM auf Özil verzichtete,
Marco Reus.
durfte Reus ran – und überzeugte. „Marco ist eine Rakete“, sagte er über den 29-Jährigen, dessen DFB-Karriere aufgrund von Verletzungen bisher noch nicht so richtig in Schwung gekommen ist. „Entscheidend ist, was der Bundestrainer sich für Gedanken macht“, bemerkte Reus. Er wäre der natürliche Kandidat.
„Der Konkurrenzkampf blüht jetzt von Neuem auf“, sagte
bei der Zusammenkunft der WMVerlierer in München. Im März gegen Brasilien (0:1) hatte Draxler selbst den Regisseur gegeben, blieb bei der WM jedoch ebenfalls blass. „Ich bin auch bei der WM unter meinen Möglichkeiten geblieben. Da muss man offen und ehrlich mit sich sein“, sagte der 24-Jährige von Paris Saint-Germain: „Ich glaube, dass ich viel mehr drauf habe, als ich gezeigt habe.“
Kai Havertz Julian Draxler
wäre ebenfalls auf der 10 zu Hause. Der 19-jährige Leverkusener, von Löw erstmals eingeladen, ist eine Option für die Zukunft.
Setzt Löw auf ein 3-4-3 oder 4-4-2, könnte er auf einen Regisseur ganz verzichten. Dann würden sich im Zentrum neben dem gesetzten Toni Kroos der Neu-Münchner
oder (Manchester City) anbieten. Dass Löw letztere Variante künftig häufiger wählen könnte, deutete Müller an: „Denn den Spielertyp Mesut Özil hat er nicht dabei. Er war ein Ballverteiler.“Gleich im ersten Training habe der Bundestrainer daher defensives Umschaltspiel üben lassen. „Da ging es darum, mit vollem Einsatz, komme was wolle, das Tor zu verteidigen. Das war ein kleiner Fingerzeig, dass wir den Fokus wieder ein bisschen verschieben wollen“, sagte Müller.
Leon Goretzka Ilkay Gündogan Julian Brandt
Oder doch in Doppelfunktion? Als Nachfolger im Trikot und auf der Position? Bei der Nummer kam der Impuls von außen. „Ich hatte da wenig Mitspracherecht. Ich wurde gefragt und habe dankend angenommen“, erläutert der Leverkusener, der bei der WM als Joker ein Lichtblick war. Brandt ist aber Außenbahnspieler, kein Regisseur. Die „10“sei dennoch nicht nur eine Zahl, betont der 22-Jährige, „das ist eine Nummer mit viel Bedeutung“.
Ein furioses Comeback des grollenden scheint übrigens eher unwahrscheinlich. Zudem müsste Löw den Arsenal-Profi dafür erst mal an das Telefon bekommen. Özil blockt und schmollt seit Wochen. Doch klang Löw fast wehmütig, als er jüngst über seinen Ex-Lieblingsspieler sprach: „Mesut Özil war neun Jahre mein Spieler. Wir haben vieles zusammen erlebt, manche Rückschläge und sehr viel Positives. Wir haben den WM-Titel zusammen gewonnen. Und nach wie vor bin ich der Meinung, dass Özil einer der besten deutschen Spieler war, die es in den vergangenen 20, 30 Jahren gab. Ein herausragender Fußballer, der mit seiner technischen Klasse und Spielintelligenz ein Spiel unheimlich beeinflussen konnte. Das wird für immer bleiben.“
Özil